Kapitel 69

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P e r c i v a l

Ich fühle mich, als wäre ich mitten in einem Tornado. Alles dreht sich, der Staub wird aufgewirbelt, alles schwebt in der Luft und nur ich stehe mittendrin. Eine einnehmende Kälte erfasst mich und das Rauschen in meinen Ohren wird beinahe penetrant. Mein Herz klopft schnell, unnatürlich schnell, so, dass ich mich bereits frage, ob ich bald einen Herzstillstand erleide. Es kommt mir so unwirklich vor, all die neuen Informationen, all die vergangenen Geschehnisse, die ich nun in einem völlig anderen Licht sehe. „Wie kann es sein, dass Sie so genau über Percy Bescheid wussten? Woher konnten Sie wissen, dass wir zu Ihnen kommen würden und vor allem, warum? Keiner weiß von dieser Mate-Sache, außer diese gottverdammte Hexe, also wie kann es sein, dass Sie davon wissen?", unterbricht Ares meine Gedanken, mit einem barschen Ton in seiner Stimme. Nachdem uns Zachary von seiner Vergangenheit erzählte, war er in die Küche gegangen und hatte frischen Tee aufgesetzt. Ich glaube, dass er so versuchte, all die Gedanken an früher wieder zu verdrängen. Er tut mir schrecklich leid und ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie es ist, sein Seelenverwandten zu verlieren und ein sehr langes Leben ohne ihn weiterzuführen. Zachary sieht zu Ares auf, als er gerade die frische Kanne Tee auf den Tisch stellt. „Durch die Prophezeiung, und ich habe meine Augen und Ohren überall. Ich bekomme sehr viel mehr mit als du denkst, Alpha." Das ist das erste Mal, dass er Ares mit seinem Rang anredet und trotzdem habe ich nicht das Gefühl, als wäre er sich dessen bewusst, dass gerade ein Alpha vor ihm steht. „Prophezeiung?" Ares zieht verwirrt seine Augenbrauen zusammen. Zachary lässt sich mit seiner Antwort Zeit. Gemächlich setzt er sich wieder in seinen Sessel, schenkt sich Tee ein und nippt einige Male daran. Währenddessen blickt Ares ihn ungeduldig an. Seine Arme sind vor seiner Brust verschränkt und sein Gesicht wirkt wie immer kalt, unnahbar. Und doch ist da ein Blitzen in seinen Augen, was entweder an seiner versteckten Wut liegt oder etwas anderes zu bedeuten hat. Wie auch immer, seine stehende Position ist erhaben, dominant und einschüchternd. Doch eine unterwürfige Reaktion darauf bleibt bei Zachary völlig aus. „Ein Kind wird zum Manne reifen, dem es bestimmt ist, mächtiger und stärker zu werden als jeder Andere zuvor. Man wird ihn fürchten, jedermann wird spüren, dass er dazu bestimmt worden ist, alle wieder zu vereinen. Doch muss er selbst sein Herz wiederfinden, um den anderen ihren Weg zu ebnen, ihr Herz zurückzubekommen. Sonst wären sie auf Ewigkeit dazu verdammt, diese Kälte zu spüren", erzählt Zachary in einer Stimme, die mich unweigerlich erschaudern lässt. „Meine beste Freundin, eine Hexe, sagte mir das, kurz bevor sie starb." Sein Blick wird trüb und unweigerlich frage ich mich, ob er die Frau von dem Foto meint, was uns in der Schule gezeigt wurde. „Sie... Sie braute mir einen Trank, der es mir ermöglichte, um einiges älter zu werden, als die Norm." „Ist das nicht dunkle Magie?", fragt ihn Ares. Zachary nickt zögerlich. „Deswegen starb sie auch. Wir wussten beide, dass mit uns die Brücke zwischen Hexen und Wölfen endgültig brechen würde, weshalb wir entschieden, dass ich die Rolle übernehmen sollte, euch beiden zu helfen. Zumal ich wohl der Einzige bin, der am besten über Percys Zustand Bescheid weiß." „Aber was soll diese Prophezeiung überhaupt bedeuten? Das ist doch völliger Schwachsinn und absolut unrealistisch. Es kann jeder andere damit gemeint sein." „Vertrau mir, ich irre mich nicht. Außerdem, du lebst in einer Welt voller Hexen und Werwölfe und trotzdem ist eine Prophezeiung so abwegig, schwachsinnig und absolut unrealistisch?" Zum ersten Mal erwidert Ares darauf nichts. „Und wer von uns beiden ist damit gemeint?", erhebe ich meine Stimme. Es überrascht mich nicht, dass sie dünn, gebrochen und kaum mehr als ein Hauchen ist. Ein kleines Lächeln entsteht auf den Mundwinkeln von Zachary und irgendwie verunsichert mich das sehr. „Nun... Die mächtigere Person von euch beiden." Schwach nicke ich und reibe mir die Arme. Zögerlich stehe ich von meinem Platz auf. „Ähm... entschuldigt mich für einen Moment", murmle ich, ehe ich auch schon schnell zur Haustür eile, sie aufreiße und nach draußen trete. Sofort prallt der eiskalte Wind gegen mich und die kleinen Schneeflocken fühlen sich auf meiner Haut an wie Nadelstiche. Doch ich nehme es kaum wahr, genieße eher die Eiseskälte, die meine glühenden Wangen sofort kühlt. Ich setze mich an die hölzerne Wand und lasse mich auf den Boden sinken. Mein Herz rast noch immer, mein Atem geht schnell und alle möglichen Gedanken preschen durch meinen Kopf. Zitternd schlinge ich meine Arme um meine Beine und versuche normal zu atmen. Es ist zu viel. Es ist einfach alles viel zu viel. Ein unangenehmes Gefühl breitet sich in meiner Magengrube aus, was in mir die Übelkeit aufsteigen lässt. Ich fühle mich erdrückt und gleichzeitig so schmerzlich einsam. Ohne dass ich es überhaupt merke, verlassen immer mehr Tränen meine Augen und ich glaube, hier und jetzt zu zerbrechen. Mate? Hexe? Prophezeiung? Gene? Mein Schädel brummt und ich weiß gar nicht mehr, wo oben und unten ist. Wieso ist mein Leben nur so? Wieso konnte ich nicht einfach als stinknormaler Beta geboren werden, der nicht jeden Tag auf neue Probleme trifft? Es ist, als würde ich ertrinken, als verliere ich den Halt und könnte mich kaum noch über Wasser halten. Ich will, dass das alles nur ein schlechter Traum ist und nichts davon meine knallharte Realität. Keuchend versuche ich nach Luft zu schnappen, schmerzlich presse ich meine Hand auf mein Herz. „Atme." Erschrocken sehe ich auf, direkt in diese sturmgrauen Augen, um die sich nun meine ganze Welt dreht. Ich wende den Blick ab und schüttle hektisch mit dem Kopf, denn, egal wie sehr ich es versuche, es klappt nicht. Mein Herzschlag wird immer schneller, immer qualvoller. Kräftig nimmt Ares meinen Kopf in seine Hände und dreht mich direkt zu sich. „Beruhige dich, Percy." Mein Körper bebt. „Konzentriere dich nur auf mich." Ich schlucke hart und sehe ihn ängstlich an. Ohne zu zögern, nimmt er meine Hand und presst sie sich auf sein Herz. „Ich bin hier." Sehr deutlich spüre ich seinen Herzschlag unter meinen Händen, der ebenfalls um einiges schneller schlägt als üblich. „Fühl, wie mein Herz schlägt." Beinahe sofort verstummen alle wild umherirrenden Gedanken, nur noch dieses gleichmäßige Pochen hallt in meinem Kopf wider. Es ist wie eine Hand, die in dem Wasser, in dem ich drohe zu ertrinken, nach mir greift. Meine Lungen füllen sich mit Sauerstoff und mein Herz beruhigt sich immer weiter. „Atme ein und wieder aus." Ich tue, was er von mir verlangt und ziehe die Luft durch meine Nase ein und stoße sie durch den Mund wieder aus. Mit großen Augen sehe ich zu ihm. „Wieso hast du mir das alles verschwiegen?" Er seufzt. „Lass uns das drinnen besprechen, hier draußen ist es viel zu kalt." Heftig schüttle ich mit dem Kopf. „Nein, ich will es jetzt hören! Ich dachte erst, dass du mich gar nicht leiden kannst, mich abstoßend findest und dann sind all diese Dinge zwischen uns passiert..." Schniefend wische ich mir über die Nase. „Du musst doch gemerkt haben, wie ich zu dir stehe, ich habe doch das meiste sogar initiiert, wie...wieso bist du nie auf die Idee gekommen, mir etwas zu sagen?" Sein Blick ruht ernst auf mir und trotz der Kälte um uns herum, prallt seine wohlige Wärme gegen mich. „Ich bin nicht gut für dich, Percy." Ich schnaufe spöttisch. „Woher willst du das wissen? Und wieso denkst du das überhaupt?! Mal davon abgesehen, dass du mir wenigstens die Wahl hättest lassen können." „Aber die hättest du dann nicht mehr gehabt!", knurrt er und kurz blitzen seine Augen rot auf, ehe er sich seufzend über eben diese fährt. „Du hast gehört, was Zachary gesagt hat, wir haben eine Bindung, ja, doch sie ist nicht der Grund für das." Mit meiner Hand drücke ich gegen sein Herz, das noch immer schnell schlägt und meins beinahe überholt. „Oder das." Sachte hebe ich meine Hand an, lege sie an seine Wange und genieße dabei das Schaudern, was über mein Rücken wandert und spüre die Hitze, die in meinem Bauch entsteht. Mit meinem Daumen streiche ich über seine untere Lippe. „Du hast schlimme Dinge in deinem Leben erfahren, Ares, doch das heißt nicht, dass du nichts Schönes mehr im Leben verdient hast. Du kannst mich von dir stoßen, doch das hilft weder mir noch dir, auch wenn du dir das noch so sehr einredest." Langsam nehme ich meine Hand von ihm und sehe direkt in seine Augen. Noch immer schweigt er und sein Gesicht lässt keine Gefühlsregung erkennen. „Du sagst, du willst mich damit schützen...", traurig verziehe ich das Gesicht, da ich befürchte, trotz meiner Worte, nichts zu ändern, „doch du verletzt mich damit nur noch mehr." Damit stehe ich auf und drücke mich an ihm vorbei, um wieder nach drinnen zu gelangen, wo mich die angenehme Wärme schon erwartet.

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