Kapitel 6

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P e r c i v a l

Essen in großen Speisesälen ist noch nie wirklich mein Ding gewesen. Leider zählt die Mensa des Evermore Colleges dazu. Es ist laut und jeder schubst mich beim Vorbeigehen, sodass ich bei dem Versuch, meinen Pudding zu schützen, behindert werde. Sonst ist die Schule auch überall völlig anders als meine eigene. Die Blackwater Schüler tragen natürlich eine schwarze Schuluniform. Es ist der perfekte Kontrast. Sehr sympathisch erscheinen sie mir auch nicht wirklich. Natürlich bestand schon immer eine gewisse Spannung zwischen unseren beiden Rudeln. Warum genau weiß ich nicht. Also muss ich wohl mit den feindseligen Blicken leben. Auch die anderen Rudel bleiben eher unter sich, nur wenige gesellen sich zu den anderen Rudeln und versuchen eine Unterhaltung zu beginnen. Wir sind jeweils in den vier Farben Schwarz, Weiß, Eisblau und Blutrot eingeteilt worden. Es ist wohl selbstverständlich, dass das Blackwater Rudel dafür bekannt ist, eingebildet - und besonders gefürchtet zu sein. Nun ja, sie haben bis jetzt auch jedes Jahr den Pokal gewonnen, die, wie ich vorhin im Vorbeigehen gesehen habe, protzig ausgestellt wurden. Das Redwater Rudel ist dafür bekannt am wohlhabendsten zu sein. Sie kaufen sich einfach alles und können sich mit dem Blackwater Rudel in punkto Arroganz messen. Einige bezeichnen sie als Snobs, die sie auch ganz einfach sind. Das Bluewater Rudel ist erfinderisch - jedenfalls erzählte man uns das. Ihr Rudel ist Tief im Norden, hoch in den Bergen, wo das ganze Jahr Schnee liegt. Man sieht sie auch nur zu den Wettkämpfen oder irgendwelchen Zusammentreffen der Oberhäupter. Wir, die Anhänger des Whitewater Rudels, sind für unser handwerkliches Geschickt bekannt. Wir wurden vor langer Zeit in diese vier Rudel eingeteilt und irgendwann entstanden dadurch Vorurteile, denen niemand vollständig gerecht werden konnte. Jeder ist verschieden und doch sind alle versucht, ein konstantes Zusammenleben zu gewährleisten, um nach diesem schrecklichen und langen, langen Krieg keinen neuen Zwist zu sähen. Natürlich sind die Blacks kräftiger als die anderen, die Reds wohlhabender und die Blues schlauer. Es sind irgendwie unsere Prinzipien, an denen wir festhalten. Was in den jeweiligen Rudeln passiert, ist Sache der Alphas. Doch gemeinsam halten wir mehr oder weniger zusammen. Nach dem Krieg waren nur noch wenige von uns übrig. Die, die gehen wollten, lebten seither unter den Menschen, die blieben, teilten sich in diese vier Rudel. Es funktioniert und das schon seit Jahrzehnten, warum es also ändern?
„Aschenputtel!" Ruckartig löse ich mich von meinem Fixpunkt, der zufällig bei den Blacks lag und sehe zu meinem Team, direkt zu Hamish. „Ich kann dich zwar nicht leiden, aber es wäre besser für dich, wenn du dich bis zu unserer Abreise an uns hältst. Wir wollen ja nicht unserem Alpha erklären müssen, warum wir mit einem Mann weniger wiederkommen", er grinst fies. „Oder nein, entschuldige...", gespielt betroffen hält er sich seine Brust, während die anderen ihn gespannt ansehen. „Ein Mann bist du nun wirklich nicht und so wie du dich immer kleidest, könnte man meinen, dass du gar kein Junge bist. Bist du ein kleines Mädchen, Aschenputtel?", nun lachen alle und ich senke nur niedergeschlagen meinen Kopf. Was sollte ich auch sagen? Erstens hat er recht, ich kleide mich nicht typisch Männlich und zweitens: Ich bin schlimmere Kommentare von ihm gewohnt. Aber ich mag meinen Klamotten-Stil und es hat lange gebraucht, bis ich ausreichend Selbstbewusstsein zusammengekratzt hatte, mich damit vor die Tür zu wagen, wobei das ständige Gefühl beobachtet zu werden, einfach verdrängt gehörte. Doch unabhängig davon, muss ich an den Anfang seines Geschwafels denken. Mich lieber an sie halten? An sich hatte er vielleicht Recht, aber mein Auftrag würde sich vereinfachen, wenn ich persönlich mit den Blacks in Kontakt trete, um herauszufinden, was für ein Alpha Mr. Cartwright in ihren Augen war. Ohne es runter zu bekommen, schiebe ich mein Hühnchen von mir weg. Leider bieten die hier nur Fleisch an, was hoffentlich nicht die ganzen nächsten zwei Wochen so sein wird.

Nach dem Essen entscheide ich mich dagegen, mit meinen Rudel in die Trainingsanlage zu gehen, da ich dort eh nur zuschauen würde und habe mir lieber mein Buch aus meinem Zimmer geholt. Nun schleiche ich durch die Flure auf der Suche nach dem Ausgang. Manchmal habe ich ein Déjà-vu, wenn ich meine Umgebung betrachte und mich daran zurückerinnere, wie ich in meiner Kindheit jedes Band von Harry Potter in mich aufgesaugt habe. Alles hier in diesem Schloss erinnert mich daran. Irgendwie faszinierend und geheimnisvoll. Es ist gemütlich und soweit modernisiert, dass dem Schloss das geschichtliche Wahrzeichen nicht genommen wird. Ich habe mal grob ein Buch überflogen, worin die Geschichte dieses Ortes thematisiert wurde. Jedoch habe ich es wirklich nur überflogen und es ist auch schon viel zu lange her, als dass ich mich noch daran erinnern könnte. Als ich endlich einen der vielen Ausgänge erreiche, stelle ich mit Freude fest, dass die Sonne scheint. Ich hatte schon die Befürchtung, dass das gestrige nebelige, düstere und schwüle Wetter immer andauern würde. Meine Augen saugen sofort den Anblick des riesigen Anwesens in sich auf. All die Bäume, Hecken, Büsche und Mauern. Es ist wirklich wunderschön. Der Wald scheint, als würde er eine Grenze um uns bilden, fast so, als wolle er uns damit noch einmal verdeutlichen, auf diesem Teil des Gebietes zu bleiben. Wie wohl die Stadt aussieht? Ähnlich wie die unsere? Ich konnte nur einen kurzen Eindruck erhaschen, als wir durch diese gefahren sind, um hierher zu gelangen. Wahrscheinlich war es nur ein kleiner Teil und weit entfernt vom Zentrum. Soviel ich weiß, ist die Stadt im Tal, von der aus man ein stetigen Blick auf das Schloss hat. Am Wochenende können dann auch die Schüler wieder zu ihren Familien, doch in dieser Woche blieben die Blacks hier bei uns - wie auf einem Internat. Noch eine Sache, worüber ich froh bin, dass es bei uns nicht so ist. Wahrscheinlich könnte ich es keinen Monat aushalten, ohne meinen Vater zu sehen. Selbst wenn ich am Wochenende nach Hause könnte, die Entfernung unter der Woche würde für mich und mein Omega-Herz zu viel sein. Ich bin einfach auf emotionale Nähe angewiesen. Die Nähe zu meinem Vater ist für mich eines der wichtigsten Dinge in meinem Leben und geben mir Kraft, das Mobben und Erniedrigen in der Schule auszuhalten.
Ich laufe eine kleine Weile durch den Garten, sehe mir alles an und muss feststellen, dass viele Schüler ihren Sonntag hier verbringen. Es gibt viele Bänke, Pergolen und auch ein Basketballfeld. Interessant. Ich hätte eher gedacht, dass die hier Cricket oder ähnliches spielen. Obwohl, wenn ich darüber nachdenke, würde das wohl eher auf die Reds zutreffen. Und für die Blacks wäre es passend, wenn sie ständig kämpfen und trainieren würden. Ein Kichern kommt mir über die Lippen, als ich darüber nachdenke. Ich sauge all die verschiedenen Eindrücke meiner Umgebung in mir auf, während ich versuche einen guten Platz zum Lesen zu finden. Es sind viele Schüler um diese Uhrzeit draußen und genießen noch einmal die letzten Stunden des Wochenendes. Überrascht halte ich inne, als ich tatsächlich einige sehe, die auf der grünen Wiese mit einem Partner kämpfen. Einige von ihnen halten einen dicken Holzstock in der Hand, während ihre andere hinter dem Rücken ruht. Es ist interessant, wie groß hier das Kämpfen gefördert wird. Neugierig lasse ich mich bei einem nahegelegenen Baum nieder und schlage im Schneidersitz mein Buch auf. Leider kann ich mich kaum konzentrieren, da meine Aufmerksamkeit immer wieder vom Kampfgeschrei und dem Geräusch der aufeinander treffenden Holzstöcke abgelenkt wird. Andere üben sich in Griffen und heben ihren Partner über den Rücken, ehe sie ihn zu Boden befördern. Alleine vom Zusehen bekomme ich Schmerzen. Plötzlich fängt mein Bauch an laut zu knurren und peinlich berührt sehe ich mich um, in der Hoffnung, niemand hat es mitbekommen. Erschrocken zucke ich zusammen, als etwas Hartes gegen meinen Oberschenkel prallt. Ich sehe nach unten und muss feststellen, dass es ein Apfel war. Verwirrt runzle ich die Stirn, als ich nach links sehe und dort eine Person wahrnehme, die mir vorher gar nicht aufgefallen ist. Ein Mädchen. Sie sieht nicht zu mir, liest selbst in einem Buch und scheint wenig Interesse an einem Gespräch zu haben. „Äh... D-Danke", stottere ich und erröte durch meine Unfähigkeit normal zu reden. „Kein Problem", murrt sie leise und blättert eine Seite um. Sie ist hübsch, sehr offensichtlich. Doch erfüllt sie nicht das Standardbild einer langhaarigen Naturschönheit mit dichten Wimpern. Nein, ihre raspelkurzen Haare und die dunkel geschminkten Augen lassen sie rebellisch wie geheimnisvoll aussehen. Doch es ist eher das Buch in ihren Händen, das mich fasziniert. Sie liest ein Buch über Kräuter und ihre Wirkungen. Tatsächlich habe ich erst vor kurzem genau das gleiche Buch gelesen. „Es... Es ist wirklich gut. Viele Tipps konnte ich in meinen Alltag integrieren", versuche ich etwas unbeholfen ein Gespräch anzufangen, da es noch einen entscheidenen Grund gibt, den sie so interessant macht: sie ist eine Black. Verwirrt und leicht genervt sieht sie von ihrem Buch zu mir auf. Ich deute auf dieses, um ihr zu signalisieren, dass ich davon spreche. „Aha", macht sie nur und wendet sich wieder dem Buch zu. „Ich bin Percy", stelle ich mich vor und rutsche etwas näher in ihre Richtung. Sie antwortet darauf nicht. Es war irgendwie zu erwarten, dass es nicht besonders leicht werden würde, ein Gespräch mit einer Black anzufangen. Nachdenklich beiße ich von dem Apfel ab und muss feststellen, dass er wirklich ausgesprochen lecker ist. „Ellery, aber Ell wäre mir lieber", murmelt sie. „O-Okay, freut mich Ell", breit lächle ich sie an, obwohl sie nicht einmal einen Blick auf mich wirft. Ich lasse meine Augen über die Kämpfer gleiten, während ich den Apfel genieße. Ein Kribbeln wandert meine Wirbelsäule hinauf und sofort trifft mein Blick auf Mr. Cartwright. Er steht bei den Kämpfern und unterhält sich mit einem Mann. Wie war noch gleich sein Name? „Zalen Blake", beantwortet mir Ell meine nicht gestellte Frage, weswegen ich sie auch verwundert ansehe. „Du solltest die beiden nicht so anstarren. Blake ist bei sowas sehr empfindlich", erklärt sie mir. Ich nicke, kann aber nicht vermeiden, dass mein Blick erneut zu den beiden gleitet. Wie ein Blitz trifft es mich, als meine Augen auf die des Alphas treffen. Sein erdrückender, stechender Blick lässt mich beinahe zittern. Nicht einmal Mr. Blake bringt ihn dazu sich von mir abzuwenden, obwohl er augenscheinlich energisch auf ihn einredet. Keuchend senke ich meine Augen und sehe auf den Apfel in meinen Händen. Was hat es nur mit diesem Mann auf sich? Wieso muss alles, was er tut, so einnehmend sein? Und wieso reagiere ich so auf ihn? „Mach dir nichts draus, niemand kann seinem Blick standhalten", meint Ell und stößt mich aufmunternd leicht mit dem Ellenbogen an. Schwach lächelnd sehe ich zu ihr. „Du bist wirklich nett für eine Black" „Und du ziemlich klein für einen White", erwidert sie und ich lache leicht verlegen. Es wundert mich, dass sie nicht gerochen hat, dass ich ein Omega bin, denn das würde meine Größe erklären.
Lautes Knurren und Keuchen dringt zu uns vor und unser beider Blick ruckt zu den Kämpfenden. Alle von ihnen haben inne gehalten und sehen jetzt nur zweien von ihnen zu. Der eine ist klobig, groß und verschwitzt, doch der andere... ein schlanker Körper; geschickte Kampfbewegungen; blondes, lockiges Haar; wunderschöne Gesichtszüge und ein siegessicheres Lächeln auf den rosigen Lippen. Mein Atem stockt. Er sieht aus wie ein Bilderbuch-Prinz. Unglaublich hübsch und anmutig. „Der große Kerl ist Novak und Blondie ist Malik", stellt sie mir beide vor. „Malik Roman, die Prinzessin der Schule", spottet sie mit einer gewaltigen Menge an Abscheu. „Auch genannt: Mein Bruder."

Black DepthsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt