Kapitel 66

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P e r c i v a l

Es ist ein sanftes Schnaufen, was mich am nächsten Tag aus dem Schlaf weckt. Müde schlage ich meine Augen auf und für einen kurzen Moment bin ich völlig orientierungslos. Ich reibe mir über meine Lider und gähne kräftig, ehe ich überhaupt realisiere, wo und vor allem bei wem ich bin. Völlig erstarrt sehe ich in das Gesicht von Ares, das nur wenige Zentimeter von meinem entfernt ist. Es überrascht mich ihn neben mir liegen zu sehen, gleichzeitig erfüllt es mich auch mit Wärme und Geborgenheit. Mir fällt die auffallend starke Hitze um mich herum auf und der dominante Geruch, der von Ares völlig ungefiltert auf mich eindringt. Zu sagen, er riecht göttlich, wäre noch eine völlige Untertreibung. Sein kräftiger Arm ist um meine Mitte geschlungen und es erfreut mich, wie er meinen Körper beinahe besitzergreifend an seinen drückt. Ich kann ihn an jeder Stelle spüren, wo wir uns berühren. Sie kribbelt aufregend und ist noch um einiges wärmer als die anderen. Sein Gesicht direkt vor mir zu sehen, schlafend, ist eine neue, völlig unbekannte Erfahrung, die ich sofort in mein Herz schließe. Er ist wunderschön und egal wie oft ich das schon gedacht habe, das Wort ‚wunderschön' wird ihm nicht einmal ansatzweise gerecht. Wahrscheinlich wurde das Wort, was ihn perfekt beschreiben würde, noch gar nicht erfunden. Die Stoppeln an seiner Wange sind etwas länger als noch gestern und mir ist nie aufgefallen, wie lang seine Wimpern sind. Dicht und dunkel, während sie seine grauen, verschlossenen Augen umranden. Es ist beinahe erschreckend, wie schön er ist. Die Luft, die aus seiner Nase dringt, prallt im gleichmäßigen Takt gegen meine Wange. Es kitzelt ein bisschen, was mir ein Schmunzeln auf die Lippen treibt. Ich freue mich über die Maßen, dass ich früher wach geworden bin als er, sonst wäre mir dieser Anblick wohl nie zuteil geworden. Mit einer meiner Hände fahre ich über den dünnen Stoff seines Tanktops und ein Brummen entflieht seinen Lippen, ehe ich mich zurückhalten muss, dass mir kein erschrockener Laut entkommt, als er mich plötzlich noch fester packt und ich mich nun Millimeter vor seinem Gesicht wiederfinde. Meine Brust presst sich an seine und ich kann seinen Herzschlag spüren, der meinem erschreckend ähnlich ist. Das Glücksgefühl, was durch meine Adern saust, und dieses Flattern in meinem Magen verstärken sich um jede Sekunde, in die er keinen Millimeter von mir ablässt. Sein Körper fühlt sich unter meinen Händen fest und männlich an und sofort kommt in mir das Wort ‚unzerstörbar' auf. Ich würde vielleicht nicht behaupten, dass er eben dies ist, doch er gibt einem das Gefühl, dass er jede Hürde meistern könnte. Sanft streiche ich meine Nase gegen seine, da in mir einfach das Bedürfnis aufkommt, ihm zu zeigen, dass er mir so viel bedeutet und ich nicht einmal Wörter finden kann, die beschreiben würden, was er mir bedeutet. Was ich in seiner Gegenwart empfinde, habe ich noch nie empfunden, all diese neuen Eindrücke, Gedanken und Taten, die ich nur mache, um ihn zu beeindrucken, verwirren mich, gleichzeitig richten sie ein völliges Chaos in mir an. Ich neige meinen Kopf etwas nach unten und drücke ihn in den Stoff seines Tanktops. Die Schwerelosigkeit, die dabei in mir entsteht, berauscht mich, genauso wie das Bedürfnis nur noch diesen Duft einzuatmen. Immer und überall. Wie in Trance schließe ich meine Augen, genieße das Gefühl und suhle mich darin. Die Wärme von ihm ist so einlullend, beinahe bringt sie mich dazu, erneut einzuschlafen. Als ich wieder aufsehe, starren mich blau-graue Augen an und in ihnen herrscht ein wütender Sturm. Sein Duft ist nun wieder völlig verschlossen, trotzdem kann ich immer noch Reste in der Luft riechen. „Du hast geschlafen", hauche ich. Er erwidert nichts darauf, sondern sieht mich einfach weiterhin an, mit so wunderschönen Augen, dass ich unweigerlich schlucken muss. „Ich glaube, du hast noch nie neben mir geschlafen." Mein Daumen fährt über sein Kinn, zur Seite und seinen Kiefer rauf, ehe ich wieder runterfahre und knapp unter seinen Lippen anhalte. „Du kannst es einfach nicht lassen, mich zu berühren, hm?" Die Tiefe seiner Stimme erschreckt mich kurz. Sie ist tiefer als gewöhnlich und rauer. Ist sie immer so, wenn er gerade erst aufgewacht ist? Wenn ja, dann bin ich wahrscheinlich dem Untergang geweiht. „Es tut mir leid", sage ich und ich meine es auch so, nehme jedoch meine Hand nicht von seinem Kinn, im Gegenteil, ich fahre weiter hoch, zu seiner Wange. „Anscheinend ja nicht wirklich." Ein Schmunzeln entsteht auf meinen Lippen. Ich kann es einfach nicht lassen ihn zu berühren, es ist wie eine Droge und wenn ich sie einmal genommen habe, will ich immer mehr. „Darf ich dich küssen?" Neugierig sehe ich zu ihm auf. Sein Kiefer spannt sich an, doch weder bestätigt noch verweigert er es mir. Meine Augen richten sich auf seine Lippen. Sie sind einladend - beinahe fordern sie mich dazu auf, sie zu berühren. Dieses Drängen in mir, genau dieser Forderung nachzugehen, bringt mich dazu, meine Lippen sachte auf seine zu legen. Es ist eher ein kleiner, unscheinbarer Kuss, denn ich traue mich nicht, mehr daraus zu machen. „Guten Morgen", flüstere ich, als ich mich wieder löse und sehe wieder in seine Augen. Tatsächlich erschreckt es mich nicht, dass sie dunkelrot aufleuchten, eher berauscht es mich und bestätigt mich in meiner Hoffnung, dass es ihn auch nicht kalt lässt. Erneut erwidert er darauf nichts, jedoch hebt er seine Hand leicht an und legt sie an mein Kinn. Seine Augen richten sich auf meine Lippen und sein Daumen streicht über eine Stelle, etwas unterhalb meines rechten Mundwinkels. „Du hast da ein Muttermal", stellt er das Offensichtliche fest. Ich schnaufe belustigt und lächle ihn an. „Das habe ich, ja." „Es ist schön." Das Raunen in seiner Stimme lässt eine Gänsehaut auf meiner Haut entstehen. Kann er auch nur erahnen, was er mit mir anstellt? Wir sehen uns eine ganze Zeit einfach nur an, während seine Hand sich auf meine Wange legt und kaum merklich mit dem Daumen über meine Haut streicht. Es ist ein intimer Moment zwischen uns beiden und ihn so nahe vor mir zu wissen, dass unsere Nasen nicht mehr als wenige Zentimeter voneinander entfernt sind, berauscht mich. „Darf ich dich was fragen?", hauche ich so leise, da ich diesen Moment nicht zwischen uns zerstören will, jedoch schwirrt, seit wir hier sind, diese Frage in meinem Kopf herum. Er schweigt einige Zeit, vielleicht weil er selbst diesen Moment nicht unterbrechen will, doch schließlich brummt er zustimmend. Ich zögere einige Momente, denn ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, ihm diese Frage zu stellen. Möglicherweise hätte sie Konsequenzen oder sie wäre ein weiteres Indiz für ihn, dass ich viel zu neugierig bin. „Was...", ich blicke in seine Augen und drücke mich etwas in seine Hand, die noch immer kaum merklich meine Wange berührt. „Was ist mit deiner Mutter? Lebt sie auch wie dein Vater unter den Menschen?" Kühle Leere bleibt auf meiner Haut zurück, da, wo eben noch seine Hand lag. Ein Schleier legt sich über seine Augen und der Sturm in ihnen wütet nun umso mehr. Er wendet sich von mir ab und dreht sich auf den Rücken. Innerlich kommt mir der Gedanke, dass ich wohl von Glück reden kann, dass er nicht aufgestanden und gegangen ist, wenn man die Art und Weise berücksichtigt, wie er auf meine Frage reagiert hat. Seine Augen sehen zur Decke hinauf und ich vermisse sehnlichst den geringen Abstand zwischen uns, denn auch wenn er immer noch kaum von mir wegliegt, scheint er nun wieder Welten entfernt. Ich bereue es diese Frage gestellt zu haben und würde mich am liebsten selbst für meinen Leichtsinn schellen. Entschuldigend und auch weil ich ihn einfach wieder spüren will, rutsche ich näher und drücke meinen Kopf in seine Halsbeuge. „Du musst mir nicht-..." „Sie ist tot", unterbricht er mich und bei seinen Worten muss ich hart schlucken und in mir kommt das Bedürfnis auf, ihm all den Schmerz zu nehmen, der in seinen Worten mitschwingt. Ich drücke mich näher an ihn, lege ein Bein völlig unbedacht über seinen Körper und versuche ihm Trost zu spenden, da es ihn wohl noch immer sehr zu treffen scheint. Meine Lippen öffnen sich keinen Millimeter, da sich jedes Wort auf meiner Zunge falsch anfühlen würde und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Anteilnahme kaum Trost spendet, zumindest half sie mir nicht, als mein Vater gestorben war. Eher empfand ich es als unangenehm, was weniger an den Worten, sondern eher an der Gesamtsituation lag. Ihm jetzt zu sagen, dass es mir leidtut, wäre zwar wahr, es würde ihm aber nicht helfen, jedoch hoffe ich mit meiner Nähe, diesen Schmerz auszugleichen, der in seiner Stimme so klar mitschwingt. „Es ist schon sehr lange her", brummt er und irgendwie habe ich das Gefühl, dass er damit seine Trauer überspielen will. Dass er so tun will, als wäre das längst Vergangenheit, doch ein Teil von mir weiß, dass, egal wie lange es her ist, es für Ares noch immer allzu präsent ist. „Sie..." Sein Blick wird leer, wie ich bemerke, als ich mich etwas zurücklehne, um sein Gesicht zu betrachten. „Sie hat mich gehasst." Auffällig stark tritt sein Kiefer hervor und seine Augen schließen sich für einen Moment. Mit seiner linken Hand streicht er sich seufzend übers Gesicht, ehe er sich plötzlich mit mir wieder auf die Seite dreht und sein Kopf nun in meiner Halsbeuge liegt. Kurzzeitig bin ich so perplex, dass ich einfach nur da liege und kaum glauben kann, was hier passiert. Mein Herz rast und als der leichte Schock verfliegt, schlinge ich meine Arme um ihn und fahre mit meiner Hand in sein Haar. Ich führe sanfte, kraulende Bewegungen durch, um ihn wieder etwas zu entspannen, denn sein kompletter Körper scheint völlig unter Spannung zu stehen. Sein Atem ist heiß an meiner Schulter und ein Schauer läuft mir über den Rücken. Ich weiß nicht genau, was ich darauf sagen soll. Zwar bezweifle ich sehr stark, dass seine Mutter ihn gehasst hat, doch woher sollte ich das wissen? Er löst sich etwas von mir und unsere Köpfe liegen wieder nebeneinander. Meine Hand ist noch immer in seinem Nacken und krault seinen Haaransatz. „Ich kann mir das nicht vorstellen", murmle ich dann schließlich ehrlich. Er sieht mich an, mit seinen grauen Augen, in denen nun nur noch ein kleiner Sturm wütet. Ein Schnaufen entflieht ihm. „Mein Vater ist biologisch gesehen nicht mein Vater. Sicherlich hat er mich aufgezogen und ich würde meinen Erzeuger auch nie als Vater bezeichnen, doch meiner ist es ebenso wenig. Deswegen konnte sie mich nie ansehen und hat mich für das gehasst, was ich bin: Sein Nachkomme." Verwirrt ziehe ich die Stirn kraus. Ihn so zu sehen, mit dem Schmerz in seinen Augen und der Mischung aus Wut und Abscheu in seiner Stimme, schmerzt mich zutiefst. Vorsichtig rutsche ich näher und lege meine Stirn an seine. Ich schließe meine Augen und inhaliere seinen Duft, mir dessen sehr wohl bewusst, dass seine Augen mich stetig beobachten. „Konstantin? Er hat dich aufgezogen?" Ares nickt. „Ich dachte zwanzig Jahre lang, dass er mein Vater ist", brummt er. „Dann ist er dein Vater, ob biologisch oder nicht." Sein belustigtes Schnaufen streift meine Lippen. „Du hast recht, trotzdem fühlt es sich falsch an, nun hier zu sein, bei ihm und ihn um Hilfe zu bitten. Er schuldet mir nichts." „Er sieht dich wie seine anderen Söhne an, das kann ich dir mit Gewissheit sagen und Väter würden alles für ihre Kinder tun, da spreche ich aus Erfahrung. Sicherlich freut er sich, dich nach so langer Zeit wiederzusehen." Er schweigt einige Zeit und auch wenn ich gerne wüsste, was mit seiner Mutter passiert ist, ebenso mit seinem Erzeuger und den Grund erfahren will, wieso ihn sein Vater verlassen hat, ist jetzt nicht der richtige Moment dafür. Der Umstand, dass er sich mir überhaupt bis hierher geöffnet hat, ist nicht selbstverständlich und ich sollte das auch nicht weiter strapazieren. Ares ist keine offene Person und ich frage mich, ob er sich überhaupt jemals jemanden wirklich geöffnet und über seine Sorgen geredet hat, die sich alleine auf ihn beziehen und nicht aufs Rudel. Für das Rudel hat er Eze, doch was ist mit ihm? Redet er über solche Dinge mit Cora? Der Schmerz, der mich bei diesem Gedanken trifft, beschämt mich. Dazu habe ich kein Recht. „Denkst du, Cora würde mich hassen, wenn sie davon wüsste?", kommt es über meine Lippen und ich deute auf uns zwei. Belustigung macht sich auf seinem Gesicht breit. Sein Mundwinkel zuckt und ich sehe überrascht dabei zu, wie ein entzückendes Grübchen auf seiner linken Wange entsteht. „Belustigt dich das etwa?" Empört sehe ich ihn an. Er schüttelt den Kopf. „Dein Gesichtsausdruck ist amüsant und deine unbegründete Besorgnis ebenso." Ich knuffe ihn leicht in die Seite. Er macht sich tatsächlich lustig über mich. „Das ist nicht komisch." Ehrlich verletzt sehe ich ihn an. Sein Gesicht wird wieder ernster. „Ich und Cora sind nicht wirklich zusammen. Es ist ein Pakt, den ich mit ihr vor einigen Jahren beschlossen habe. Sie weiß, dass ich keinerlei Gefühle für sie habe, sowie ihre Gefühle mir gegenüber wahrscheinlich auch rein platonisch sind." Mit großen Augen sehe ich ihn an. „Was besagt der Pakt?" „Wie immer neugierig." Das Schmunzeln auf seinen sündigen Lippen lässt mein Herz um einige Takte schneller schlagen. „Der Anfang meines Amtseintritts war nicht unbedingt so leicht, viele misstrauten mir, einige hatten sogar Angst. Cora bot mir ihre Hilfe an, wenn sie als Gegenleistung die Luna wurde. Mich störte das nicht sonderlich, da ich nicht vorhatte, überhaupt eine Luna zu finden oder zu ernennen." Ich höre ihm aufmerksam zu und sehe ihn mit großen Augen an. „Sie wollte nur Luna sein?" „Und Kinder." Mein Herz hört auf zu schlagen. Die Vorstellung, dass er mit ihr Kinder hat oder haben wird, schmerzt so extrem, dass ich unweigerlich meine Hand von ihm nehme und sie auf meine Brust legen muss. Er mustert mich, verzieht dabei jedoch keine Miene. „Steht das noch?" Die Worte kommen mir nur schwer über die Lippen und die Betroffenheit, die man dabei offensichtlich raushört, wird wohl auch er bemerkt haben. „Nein, jedenfalls war das so nicht möglich." Er zieht die Augenbrauen zusammen und sieht von mir weg. Nun kommen mir Bilder in den Kopf, wie er Cora genauso anfasst wie mich und der Schmerz in meiner Brust nimmt mir beinahe den Atem. „Sie bestand deswegen auf eine Heirat." Betrübt sehe ich weg und lasse meinen Blick über seine Brust gleiten. „Du wirst sie heiraten...", murmle ich und es fühlt sich einfach nur falsch an. „Die Situation hat sich geändert und es gibt andere Wege, wie ich meine versprochene Gegenleistung erfüllen kann."

Beta: hirntote

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