Kapitel 99

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A r e s

Mein ganzes Leben wusste ich nicht, was es heißt, geliebt zu werden. Ich hatte nicht einmal zu hoffen gewagt, jemals wirklich geliebt zu werden. So wie ich war. Es war so unerreichbar für mich gewesen. Wenn du dein ganzes Leben nie etwas Vergleichbares erlebst, vergisst du irgendwann zu hoffen. Du versuchst es nicht einmal, weil es zu sehr schmerzt, jedes einzelne Mal daran erinnert zu werden, was dir nie zuteilgeworden war. Ich hatte mein Rudel, meine Mitglieder, Menschen, denen ich vertrauen konnte und dachte, vielleicht, womöglich, würde es reichen. Doch... ich hatte keine Ahnung. Die Liebe von Percy kam so plötzlich und überschwemmte mich mit einer ungeahnt heftigen Welle. Sie nahm mich vollkommen ein. Jeden Zentimeter von mir überschwemmte sie. Ich hatte nicht einmal den Hauch einer Chance, ihr zu entkommen. Ehe es mir überhaupt bewusst wurde, nahm er jeden Gedankengang von mir ein. Er hatte mich in der Hand, noch bevor ich überhaupt wusste, was mit mir passiert. Mein Herz schlug nur noch für ihn und so fern diese Worte für mich klingen, schaffe ich es nicht, es anders zu beschreiben. Ich hatte immer nur ein Ziel - und das war die bestmöglichen Verhältnisse für mein Rudel zu schaffen. Doch als er kam und nie wieder gehen sollte, hatte sich alles für mich verändert. Vielleicht war es sein Lachen, was unbekannte Gefühle in meinem Bauch weckte oder seine liebliche Art, die alles in mir kribbeln ließ. Gewiss war es sein Strahlen, was mich jedes Mal wie ein Pfeil ins Herzen getroffen hat. Er ist von einem auf den anderen Tag meine ganze Welt geworden. Es gab nichts, rein gar nichts, was ab diesem Moment wichtiger war, als er. Wahrscheinlich war und wird ihm nie bewusst sein, was für eine Macht er über mich hat. Ich würde alles tun, um noch ein weiteres Lächeln von ihm zu erringen, ein weiteres ‚Ich liebe dich', einen weiteren Kuss, der meine ganze Welt zum Stillstand bringt. Wenn er will, dass ich die Welt für ihn niederbrenne, würde ich es tun; wenn er will, dass ich das Rudel aufgebe, würde ich es tun, denn er ist alles, was ich brauche, jemals wollte und mir nie zu hoffen gewagt habe. Mit ihm habe ich alles bekommen, was mir nie zuteilwurde und noch so viel mehr. So viel mehr... Sein Geruch in meine Nase zu inhalieren, ist das Highlight meines Tages. Ihm im Arm zu halten, gibt mir eine Genugtuung, wie ich sie noch nie verspürt habe. Ihn glücklich zu wissen, befriedigt mich mehr, als alles andere auf der Welt jemals könnte. Ich weiß nicht den genauen Tag, die genaue Sekunde, wann ich angefangen habe ihn zu lieben. Jedoch war es bei weitem früher, als ich es mir eingestehen werde. Ihm so leicht zu verfallen, war nicht einmal schwer. Es war so leicht wie atmen. Als Kind hatte ich Angst, zu solchen Gefühlen vielleicht gar nicht in der Lage zu sein, sie nicht zu verdienen, doch wie falsch ich lag, ahnte ich nicht einmal. Percival ist meine ganze Welt. Ich existiere, atme, lebe nur für ihn. Nur für ihn. Es ist nicht fair, dass mir all dies entrissen wird. Es ist nicht fair! Ich bin keine gute Person, doch er ist es. Gott, er ist die beste von allen. Es hätte mich treffen sollen, nicht ihn. Wieso musste er mich retten? Ich kann nach alledem nicht mehr ohne ihn leben. Ein Leben ohne ihn zu führen, ist, als würde man atmen, ohne jemals Sauerstoff zu bekommen. Ein Leben ohne ihn zu führen, ist, als würde man essen, ohne jemals etwas zu sich zu nehmen. Ein Leben ohne ihn zu führen, ist ein Leben, dass ich nicht führen will. Ich glaube nicht an Schicksal, diese ganze Sache mit der Prägung ist mir scheißegal, was mir jedoch nicht egal ist, ist er. Egal wann, egal wo, welche Zeit, welcher Ort, ich würde ihm jedes Mal wieder verfallen. Das weiß ich nicht einfach nur, dies ist eine Tatsache. Sein Blut überströmt meine Hände, während salzige Tränen meine Wangen benetzten. Ich lasse sie strömen, zeige jedem meinen Schmerz, obwohl mir Tränen schon immer eine sehr suspekte Sache waren. Ich kann mich nicht erinnern, jemals wirklich geweint zu haben. Vielleicht war das auch so eine Sache, die ich dachte, nicht zu beherrschen. Und wieder einmal... lag ich so falsch. Ich bereue es zutiefst, ihm diese drei lächerlichen Worte, die meine Gefühle nicht einmal ansatzweise beschreiben würden, nicht schon früher gesagt zu haben. Doch sie fühlten sich nie... verdient an. Seine Liebe, meine Liebe für ihn, war etwas, was ich mir nicht gestatten wollte, jedoch konnte ich mich nicht dagegen wehren. Und um ehrlich zu sein, wollte ich es auch nicht. Er ist das Beste, was mir jemals passiert ist und zu wissen, dass jemand wie er, so rein und gütig, mich liebt, war so unvorstellbar, dass ich es selbst jetzt noch nicht glaube. Diese Welt, in der wir leben, zeigt mir jedoch nur immer, was ich haben kann, bevor es mir entrissen wird. Sei es meine Mutter, mein Vater, die Liebe oder Percy. Doch von allen Dingen, die ich verloren habe, nie erfahren durfte zu besitzen, ist sein Verlust, einer, den ich niemals überwältigen könnte. Ihn zu verlieren würde bedeuten, mich selbst zu verlieren. Und auch wenn ich das weiß, höre ich seine Stimme, seine Stimme, die mir alles bedeutet, wie sie will, dass ich etwas daraus mache. Jedoch kann er mich nicht verlassen und erwarten, dass ich daran nicht zugrunde gehen werde. Dann hätte er mir nie zeigen sollen, wie schön es ist, ihn zu lieben. Aus diesem Grund, weil ich nicht bereit bin ihn gehen zu lassen, presse ich seinen leblosen Körper an mich und schluchze, wie ich es noch nie getan habe. Ich will aus diesem Traum aufwachen. Dies darf nicht die Realität sein. Nein, das darf sie nicht. Bitte. Ich flehe jeglichen Gott an, alle von ihnen, dass sie ihn mir nicht nehmen sollen. Nicht ihn, bitte nur nicht ihn. „Percy...", wispere ich, doch mir wird bewusst, dass ich seine Stimme nie wieder hören werde. Niemals. Dieses Wort ist so endgültig. So vernichtend. So zerschmetternd. Und die Tatsache, dass es die reine, pure Wahrheit ist, dringt kaum zu mir durch. „Percy...", eine bebende Stimme erklingt. Eine bekannte Stimme und als ich aufsehe, blicke ich direkt in das tränenüberströmte Gesicht seines Vaters. Doch bevor der Mann den Jungen berühren kann, ziehe ich ihn von ihm weg, näher an meine Brust. Er hat ihn hierher gebracht. Hierher, und auch wenn es nicht alleine seine Schuld ist, spüre ich, wie die Wut die Trauer überdeckt. Für einen kurzen Moment denke ich darüber nach, was passiert wäre, wenn ich nie zu diesem Treffen im Revier der Blues gefahren wäre. Was passiert wäre, wenn wir jetzt im Bett liegen und einfach herumalbern würden, wie wir es in letzter Zeit öfter getan haben. „Fass ihn nicht an", knurre ich so animalisch, tief und mörderisch, dass selbst ich meine Stimme nicht wiedererkenne. Ich weiß nicht, was in diesem See mit mir passiert ist, doch seitdem pocht eine Macht in mir, die so gewaltig ist, dass ich sie selbst um mich herum beben spüre. Zachary taucht in meinem Blickfeld auf und - warum auch immer - gestatte ich ihm, dass er dem Jungen in meinem Armen durch die Haare streicht. „Gib ihn mir, ich werde versuchen ihn in dieser Welt zu behalten." Mein Herz setzt aus. Hoffnung? „Was?", krächze ich. „Ich kann dir nichts versprechen, doch sein Herz hat noch nicht ganz aufgehört zu schlagen. Ich kann ihn heilen", versichert er mir und ich runzle verwirrt die Stirn. „Wie?" Zachary lächelt und nimmt den Jungen aus meinem festen Griff. „Ich verfüge auch über die Fähigkeit zu heilen." Er legt Percy auf den Boden und legt seine Hände auf seine Brust. „Wir sind verwandt", erklärt er mir und verwirrt mich damit nur noch mehr. „Das Kind, was ich damals ausgetragen habe, ist ein Vorfahre deines biologischen Vaters. Ich habe mich damals von ihm zurückgezogen, denn ihn jedes Mal zu sehen, hat mich zu sehr an den Verlust meines Mannes erinnert. Dies getan zu haben... bereue ich noch heute." Ich setze mich hin, alle Wörter der Welt völlig vergessen und gestatte es mir, ihn für einen Moment einfach anzusehen. Ich wünsche mir so sehnlichst, dass er ihn mir wiedergibt. Mein Blick richtet sich auf die anderen um uns. Sie knien, alle. Selbst die Alphas haben ihre Köpfe gesenkt und die Hexe wird von einigen meiner Wächter festgehalten. Mir fällt die andere Hexe neben ihnen auf. Die, die mir die Kräuter für Percy gegeben hat. Anscheinend hält sie die Macht von Percys Mutter in Schach. Die Wut, noch immer zu präsent, treibt mich an. Ich stehe auf, und gehe auf sie zu, betrachte, wie sie sich windet und zerrt. „Jemand wie du wird immer verlieren", sage ich und sehe in ihr finsteres Gesicht. „Er wird ihn nicht retten können, dafür ist es zu spät." „Dann bist du für seinen Tod verantwortlich." Ich packe sie an den Haaren, zerre ihren Kopf in den Nacken und bin bereit, ihr die Kehle herauszureißen. „Ares!" Eze erscheint neben mir. „Ich verstehe dich, verstehe deine Wut-..." „Du verstehst gar nichts!", unterbreche ich ihn. „Ja, du hast recht, doch überdenke, was du im Begriff bist zu tun. Hätte Percy das gewollt?" Seine Stimme hallt in mir wieder, wie sie mich darauf hinweist, dass keiner den Tod verdient und ich ihm das Gegenteil versichere. Fest presse ich die Kiefer zusammen. „Wir haben niemandem Rechenschaft abzulegen." Der Alpha der Reds tritt hervor, sowie der Alpha der Blues. „Sie hat sich gegen alle Rudel gestellt." „Ich stimme ihm zu." „Doch die Entscheidung liegt bei dir, Alpha. Du trägst die Macht des Uralphas in dir, damit hast du die Macht über uns alle." Das war mir bis zu diesem Moment noch nicht klar. „Der Tod wäre eine gerechte Strafe, für all das Leid, was du angerichtet hast. Ich verurteile dich zum Tode, mögest du dort, wo du hingehst, Frieden finden." „Wie großzügig", spottet sie. Keine Sekunde später wird sie vom Alpha der Blues gepackt, während der Alpha der Reds ihr Genick bricht. Sie ist tot, noch bevor sie auf dem Boden aufschlägt. Und plötzlich strömt all meine alte Macht und noch viel mehr auf mich ein. Erstaunt sehe ich auf meine Hände. Für all diese Macht, war sie bereit zu töten? Was wäre danach gekommen? Wie krank muss jemand sein, sich dies als Ziel zu setzen. All die Whites, die von den Wächtern am Boden gehalten werden, scheinen sich alle mit einem Mal zu beruhigen. Hatte sie wirklich so eine große Macht auf sie? Ich sehe auf, zu der Hexe, die die tote Frau am Boden betrachtet. „Was tust du hier?", frage ich sie. „Das Verwenden von dunkler Magie ist gegen unseren Kodex. Damit hat sie sich selbst zum Tode verurteilt. Alleine hätte ich sie nicht überwältigt können, doch ich musste nur auf den richtigen Moment warten. Glücklicherweise übernehmt ihr Wölfe gerne die Drecksarbeit. Doch denkt nicht, dass ich das für euch getan habe!" Sie grinst mich an, ehe sie wieder auf die Frau sieht. „Sie war eine Schande für unsere Art." Ohne auf eine Erwiderung zu warten, geht sie. Meine Konzentration wird von einem Keuchen beansprucht. Zachary bricht neben Percy zusammen und fällt direkt in die Arme von Eze. Sofort bin ich bei ihnen, am Boden und sehe, wie die Wunde an Percys Brust völlig verheilt ist, anders als bei Zachary, die nicht zu heilen scheint. „Es ist okay", versichert er mir, als er meinen besorgten Blick sieht. „Ich habe meinen Frieden gefunden. Ich sehe meinen Mann und mein Kind wieder." Er lächelt ehrlich und sieht zu Eze hinauf. „Und ich sterbe in den Armen eines hübschen Mannes, was will ich mehr." Traurig lächelnd betrachte ich ihn. „Danke, für... alles." Ich stecke all meine Ernsthaftigkeit in diese Worte, denn ohne ihn hätte ich Percy wohl nie erzählt, dass ich auf ihn geprägt wurde. „Es war mir eine Ehre."

Zachary starb wenige Sekunden später und die Stille um uns schien ewig anzuhalten. Ich habe Percy wieder in meine Arme genommen und warte seit dem darauf, dass sich seine Augen öffnen. Sein Herz schlägt, zwar ganz schwach und leise, doch es ist da. Bitte öffne deine Augen, Bi. Ein tiefer Atemzug erklingt und dann... öffnen sich flatternd seine Lider. Mein Herz rast, mein Bauch kribbelt und in meinen Ohren rauscht es. „Wieso so ein trauriges Gesicht?", krächzt er und lächelt mich sanft an. Erleichtert schließe ich die Augen und ziehe ihn fest in meine Arme. Ich verdanke Zachary einfach meine ganze Welt. „Ich dachte, ich würde dich nie wieder reden hören", murmle ich. „Eigentlich hatte ich vor, dir noch etwas auf die Nerven zu gehen", lacht er und mich überflutet die Erleichterung in Massen. Er löst sich etwas von mir. „Aber mal ehrlich, was ist denn los?" Verwundert sehe ich ihn an. „Was ist das Letzte, woran du dich erinnerst?" Angestrengt runzelt er die Stirn und scheint zu überlegen. Nach einiger Zeit weiten sich seine Augen. „Du hast gesagt, du liebst mich." „Das ist das einzige, woran du dich erinnerst? Nichts von deinem absolut dramatischen Abschied ins Nimmerland?" Percy lächelt. „Ich liebe dich auch", versichert er mir und meine Welt ist, wie sie es hätte immer sein sollen, gefüllt mit ihm und seiner Liebe. Ich wusste, was heute passiert ist, werden wir wohl niemals vergessen können und ihm das mit Zachary und seiner Mutter zu erklären, wird sicherlich nicht einfach, denn so wie ich ihn kenne, wird er sich die Schuld daran geben, doch bin ich zuversichtlich, dass wir es schaffen können. Gemeinsam.




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LEVI

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