Kapitel 33

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P e r c i v a l

Es macht mich melancholisch, wenn ich daran denke, dass dies die letzten Stunden hier sind. Das Wetter ist schön und die Sonne scheint in das Zimmer herein. Noch immer kann ich es nicht glauben, dass wirklich zwei Wochen ins Land gezogen sind. Mir kommt es so vor, als wäre die ganze Welt nur an einem Tag geschehen. Es dauert nicht lang, bis ich alles Wichtige in meiner Tasche verstaut habe. Den Pullover, sowie sein T-Shirt, konnte ich nicht mehr finden, weshalb ich davon ausgehe, dass er die beiden Sachen gestern wieder mitgenommen hat. Tatsächlich muss ich zugeben, dass mich das traurig stimmt und mein Herz sich sehnsuchtsvoll zusammen zieht. Ein kleiner Teil von mir hat sich gewünscht, etwas von ihm behalten zu können, sei es auch nur ein lächerliches Kleidungsstück. Auch, wenn irgendwann sein Geruch daran vollständig verschwunden wäre, hätte ich mich ihm näher gefühlt und hätte eine Erinnerung an ihn, uns, an die Zeit, die ich hier verbracht habe. Bilder von letzter Nacht kommen mir in den Sinn und ich muss unweigerlich lächeln. Irgendetwas hat sich verändert. Etwas zwischen uns. Es ist beängstigend, doch ist da auch dieses Kribbeln, was von Tag zu Tag stärker wird. Ich kann es kaum beschreiben und doch trachte ich danach wie ein Süchtiger. Jeden Tag hoffe ich mehr davon zu bekommen. Alles in mir sehnt sich nach seiner Nähe und auch, wenn ich mich auf zu Hause freue, tut der Gedanke weh, ihn zum letzten Mal zu sehen. Ob er vielleicht auch nur ein bisschen ähnlich empfindet? Seufzend ziehe ich den Reißverschluss zu und ziehe mir meine Jacke über. Die sorgfältig zusammengelegte Uniform und das von ihm bekommene Tablet, habe ich auf das Bett platziert. Beides wird dann wohl vom Personal eingesammelt, so sagte man uns. Schwer hängt die Tasche von meiner Schulter, als ich zur Tür gehe und noch einen letzten Blick in den Raum werfe. Traurigkeit nimmt mich ein und ich bekomme das Gefühl nicht los, dass irgendwas an alle dem falsch ist. Ich schüttle den Kopf und verlasse das Zimmer. Mit dem Gedanken bald meinen Dad wiederzusehen, füllt sich mein Herz wieder mit Freude, weswegen ich mit einem Lächeln den Flur entlanglaufe. Viele Schüler kommen mir mit ihren Reisetaschen entgegen. Es ist viel Betrieb auf den Fluren und ich mache mir Gedanken, wie die anderen über die zwei Wochen denken könnten. Ist es für sie eine angenehme oder sogar schöne Erinnerung oder war es für sie ein kleineres Übel hierher zu müssen? Ich würde meine Zeit als schön benennen. Das Beste war wohl die Freundschaft mit Ell, die mir mehr bedeutet, als ich es wohl für möglich gehalten hätte. Sowie all die anderen neuen Leute, die ich kennengelernt habe; die Erfahrungen, die ich gesammelt habe; neue Dinge über meinen Körper, die beängstigend, aber auch schön sein können. Und... natürlich Ares. Mit ihm kommen die Gedanken, was ich meinem Alpha sagen werde. Wie ich endgültig entschieden habe. Im Herzen weiß ich es bereits, denn wenn es eine Möglichkeit gibt, ihn irgendwie wiederzusehen, auch wenn nur als mein Alpha, werde ich sie ergreifen. Es ist beinahe eine Art Drang, der mir keine andere Möglichkeit gibt, als ihm nachzugehen. Ich verlasse das Schloss und trete auf die große Außenfläche. Es stehen bereits vier Busse bereit, auf die ich nun zugehe. Wir sollen bereits unsere Taschen beim Busfahrer abgeben. Ich erkenne den alten Mann mit dem gelblichen Bart wieder, so auch meinen Trainer, der davor steht und sich mit ihm unterhält. „Also haben die verdammten Blacks schon wieder gewonnen", grummelt der alte Mann zu meinem Trainer, der nur seufzend nickt. Als ich vor den beiden ankomme, begrüße ich sie und reiche dem Mann meine Tasche. „Finde dich bei den anderen ein, wir werden so ungefähr in einer Stunde losfahren", klärt mich mein Trainer auf und ich nicke verstehend. Ich gehe zu der Menschenansammlung auf der Wiese, ähnlich wie am ersten Tag, als wir hier ankamen. Von weitem erkenne ich den kurzen Haarschopf von Ell, auf die ich schnell zueile. „Hey", begrüße ich sie und nehme sie fest in den Arm. Sie drückt mich ebenfalls fest an sich und lächelt, als wir uns lösen. Neben ihr steht das blonde, lockige Mädchen Rae und ich begrüße sie auch lieb. „So, nun erklär...", auffordern stupse ich gegen ihre Schulter. „Naja, er ist gestern zu mir gekommen und meinte, dass ich in Betracht ziehen sollte, die Ausbildung nach der Schule zu machen. Ich hätte Potenzial...", erzählt sie überglücklich. Es ist schön und vor allem neu sie so zu sehen, aber auf eine sehr gute Art und Weise. „Das freut mich echt!", meine ich ehrlich und lächle sie breit an. „Er meinte, dass ich in den Ferien mal bei den Wächtern Probetraining machen könnte..." „Ferien?" Erst jetzt fällt mir die Reisetasche zu ihren Füßen auf. „Am Anfang des Schuljahres dürfen wir immer wählen, wann wir Ferien haben und die Mehrzahl war dafür, dass sie nach den Wettkämpfen beginnen, macht ihr das nicht so?", verwundert runzelt sie die Stirn und sieht zwischen mir und Rae hin und her. Wir beide schütteln den Kopf. „Nein, leider nicht, ich muss morgen in die Schule...", seufze ich genervt und rolle mit den Augen. „Ja, ich auch, wir haben erst wieder Anfang des neuen Jahres Ferien", erzählt Rae und zuckt mit den Schultern. „Wie kam es eigentlich dazu, dass du noch nicht früher beim Probetraining mitgemacht hast?", frage ich Ell vorsichtig, da es mich wirklich interessiert. Sie atmet schwer ein und entlässt seufzend die Luft. „Mein Vater meinte immer zu mir, dass Frauen nicht dafür gut sind zu kämpfen. Ich wollte schon Wächterin werden, als ich ein kleines Kind war, doch er meinte, das sei nur was für Männer, dementsprechend nur etwas für meinen Bruder. Er hat ihn die Jahre, die er noch konnte, ausgebildet und manchmal durfte ich mitmachen. Malik war immer total eingeschnappt und mein Vater extrem sauer, wenn ich viel besser war als Malik. Deshalb habe ich es irgendwann nur noch heimlich gemacht und mich damit abgefunden, dass ich vielleicht einfach wirklich nicht dafür bestimmt bin", murmelt sie und scheint so, als würde sie sich nur sehr ungern an ihre Vergangenheit zurückerinnern. „Aber diese Sichtweise ist doch völlig veraltet." Es ist für mich unverständlich, wie ein Vater seiner Tochter in diesem Jahrhundert noch sowas vorschreiben kann. Rae pflichtet mir bei und fährt ihr sanft mit der Hand über den Arm, was Ell leicht lächeln lässt. „Ich weiß. Mein Vater hielt noch sehr an veralteten Standards fest. Er war überzeugt von den alten Regeln und hat nie akzeptiert, dass sich die Welt verändert hat", sie zuckt mit den Schultern. „Ich bin froh, dass du deinem Traum folgst." Aufrichtig sehe ich sie an und lächle ihr aufmunternd zu. Sie nickt. Eine bekannte Stimme reißt uns aus unserer Unterhaltung und ich sehe den Alpha der Blacks vor dem Halbkreis stehen. Sein Beta und eine mir unbekannte Frau steht neben ihm. Der Beta, Ezekiel Jax, wenn ich mich recht erinnere, sieht entspannt aus und hat so ein verschlagenes Grinsen auf den Lippen, was in mir die Frage aufkommen lässt, ob das vielleicht seine Art ist. Die Frau ist unglaublich schön. Wirklich schön und das auf eine natürliche Art. Ihre Haare sind rabenschwarz und gehen ihr beinahe bis zur Hüfte. Sie ist schlank, nicht allzu sehr als dass es besorgniserregend wäre, sondern auf eine gesunde Weise. Doch ihr Gesicht ist unleserlich, wirkt kalt und unzugänglich. „Wer ist diese Frau neben dem Alpha?", flüstere ich Ell fragend zu, als der Alpha seine Rede beginnt. „Die zwei Wochen sind um und ich freu mich wirklich sehr darüber, dass die Blacks gewonnen haben und der neuste Pokal einen Platz zu den anderen in der Vitrine findet. Doch haben wirklich alle hart gekämpft und es war ein wirklich interessanter Wettkampf dieses Jahr...", erzählt er. „Sie ist seine Verlobte", klärt mich Ell auf. Mit einmal friere ich ein. Mein Blick zuckt zu Ares und als hätte er gehört, was Ell zu mir gesagt hat, sieht er mir entgegen. Das Atmen fällt mir schwer, die Luft ist dick und ich fühle mich plötzlich so... verraten. Kälte nimmt von mir Besitz, Enttäuschung frisst sich in mein Herz und ich fühle mich, als würde ich erdolcht werden. Er führt seine Rede fort, sieht jedoch trotzdem zu mir, beobachtet mich, durchdringt mich mit seinem Blick, als wolle er meine Gedanken lesen. Ich fühle mich lächerlich. Wieso reagiere ich überhaupt so? Was habe ich erwartet. Wieso ist da plötzlich diese Wut, wieso könnte ich schreien, weinen und um mich schlagen - und das alles gleichzeitig? Ich atme. Atme, wie er es mir gezeigt hat und wende den Blick Richtung Boden. Einsamkeit macht sich in mir breit und ich will einfach nur noch zu meinem Dad, will in seine tröstenden Arme, will, dass er mir eine heiße Schokolade macht. Ich brauche seine Stimme um mich und hoffe einfach, dass er pünktlich an der Schule auf mich warten wird. Ares redet weiter, irgendwas, was mich nicht interessiert, was mich nicht interessieren will.

Black DepthsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt