P e r c i v a l
Ich atme tief durch, ehe ich den kleinen Hügel hoch schreite, um mit dem grauen, kalten Grabstein konfrontiert zu werden. Mehrmals lese ich die Inschriften, verfolge sie mit meinen Augen, immer und immer wieder, doch ich erfasse absolut nichts. Es fühlt sich unwirklich an, seinen Namen und seinen Geburtstag dort zu lesen. Für meinen Dad war dieser Tag nie etwas Besonderes gewesen, doch ich hatte immer dafür gesorgt, dass er von mir überrascht wurde. Als ich zehn war, hatte ich mich, nachdem er schlafen gegangen war, in die Küche gestellt, um ihm einen Kuchen zu backen. Das Problem war nur gewesen, dass ich absolut keine Ahnung hatte, wie das ging. Heute denke ich schmunzelnd dran zurück, da ich meinen Dad aus dem Schlaf reißen musste, weil die Küche in Flammen stand. Ich hatte den ganzen Tag geweint und ihn um Verzeihung gebeten. An seinem Geburtstag hatte er sich dann mit mir zusammen in die Küche gestellt und mir gezeigt, wie man einen Kuchen machte. Wir hatten mehr von dem Teig genascht, als den Kuchen wirklich zu backen, doch es war ein wunderschöner Tag. Eine Träne schleicht sich über meine Wange. Ich hätte nie gedacht, ihn jemals hier so zu sehen. Mein Dad war ein großzügiger, liebenswürdiger, ehrlicher, wundervoller Mann und er hat dieses Ende nicht verdient. Vorsichtig setze ich mich auf das feuchte Gras und lasse mein Gesicht hinter meinen Händen verschwinden und weine. Ich weine, weil ich es mir gestatte. Für jetzt.
Leise Schluchzer durchdringen die Stille, die für einen Friedhof so typisch ist. Der Gedanke, dass er Ruhe gefunden hat, schmerzlos, sorglos und frei; irgendwo ist, lässt mich besser fühlen. Vielleicht sieht er jetzt gerade auf mich runter und würde mir sagen, dass ich nicht über die Dinge weinen soll, die wir verpassen, sondern glücklich an die Dinge denken soll, die wir zusammen erlebt haben. Doch es ist schwer, so verdammt schwer. Er war meine ganze Familie, die einzige Person, die mich verstanden hat, die mich mit vollen Herzen geliebt hat, egal, wie eigenartig ich bin. Wie viel würde ich geben, um noch ein einziges Mal seine Arme um mich zu spüren. Sein väterlicher, beschützender Duft soll mich völlig verschlingen, seine Wärme, die sich immer nach zu Hause angefühlt hat, soll mich umgeben. Ich will ihn noch ein letztes Mal sehen, sein Lächeln in mir aufsaugen. Ich will noch einmal sehen, wie seine Augen vor Stolz glänzen, so wie sie es taten, als ich die ersten Meter alleine auf dem Fahrrad fahren konnte. Es ist dieser eine Platz in meinem Herzen, der nur ihm gehört und jetzt so verwaist erscheint. Der Schmerz hat nichts Körperliches an sich und doch fühlt es sich an, als würde mich ein Dolch durchbohren - und das die ganze Zeit. Wie soll ich es nur ohne ihn schaffen? Er hat mich immer dazu ermutigt, meine Dinge durchzuziehen. Durch ihn bin ich heute der, der ich bin. Tausend Tränen benetzen meine Hände, tropfen auf meine Kleidung, benetzen den Boden. Ich will schreien, etwas kaputt hauen, ich will, dass es aufhört; ich will, dass er wieder da ist; ich will, dass das alles nur ein böser Albtraum ist. Ein schrecklicher Traum, aus dem ich aufwachen kann und erkenne, dass alles vorbei ist und er für mich da ist, wenn ich zu ihm ins Schlafzimmer renne und ihm mit tränenbedeckten Gesicht erzähle, was für einen schlimmen Traum ich hatte. Beinahe bilde ich mir ein, seine Stimme an meinem Ohr zu hören, wie er eben diese Worte flüstert. Fest beiße ich auf meine Lippe und nehme meine Hände von meinem Gesicht. „Es tut mir so leid...", hauche ich. „Es tut mir so, so, so leid." Schniefend wische ich über meine Nase und stehe langsam wieder auf. Sein Grab wirkt so trostlos und schlicht. Die Erde ist noch frisch umgegraben und keine einzige Blume bedeckt sie. Das wäre meine Aufgabe gewesen. Wieso denke ich an sowas nicht?
Plötzlich spüre ich eine altbekannte Wärme hinter mir und nur langsam drehe ich mich zu ihm um. Er wollte im Auto auf mich warten, wahrscheinlich um mir Zeit für mich zu geben oder aber auch, weil er sich dessen bewusst war, dass ich weinen würde. Ich schätze, er sieht es einfach nicht gerne. Ein Blumenstrauß erscheint in meinem Blickfeld. Nicht unbedingt der schönste, wahrscheinlich auch keiner, den ich jemals so zusammenstellen würde oder auch nur gekauft hätte, doch er ist da, in seinen Händen. Fragend sehe ich zu ihm auf, in sein unnahbares, ausdrucksloses Gesicht. „Für deinen Vater", brummt er. Mein Herz klopf, schnell und stetig. Hat er ihn etwa... für mich... für meinen Dad gekauft? Hart schlucke ich, kann es kaum glauben. Sachte nehme ich ihm den Strauß ab und wende mich zu meinem Dad, sehe auf die Erde hinab. Tränen benetzen meine Wange, als ich sie vorsichtig vor den Grabstein lege. „Ich hab dich lieb, Dad...", flüstere ich leise und hoffe, dass es ihn - egal, wo er ist - erreichen wird. Schnell drehe ich mich wieder um, kann den Schmerz nicht ertragen und presse mich, ohne darüber nachzudenken, an seine Brust. Schluchze, weine und schniefe ihm das T-Shirt voll. Es überrascht mich nicht, dass er sich verspannt. „Danke", wispere ich gegen ihn und ich hoffe, er weiß, dass ich ihn meine. Ein unbeholfenes Klopfen auf meinen Rücken und ein Räuspern entkommt ihm, ehe er sich löst. „Wir sollten gehen." Ich nicke, denn er hat recht. Schnell wische ich die Tränen davon und atme zitternd durch. Es ist Zeit, diesen Teil hinter mir zu lassen, egal, wie schrecklich weh es tut, Vergangenheit ist Vergangenheit, die Zukunft ist alles, was zählt.
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Black Depths
Romance~ Black Depths ~ Ich hatte mir immer vorgestellt, dass mein Leben friedlich und nach meinen Wünschen ablaufen wird. Schon von klein an, wurde ich nicht so akzeptiert, wie ich im Herzen bin. Es war okay, ich lernte damit zu leben, da ich dachte, irge...