Kapitel 25

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Ich denke ich sollte vorne anfangen."

„Lass dir Zeit." Ich nicke und falte wieder meine Hände zusammen. Und dann beginne ich. Beginne am Anfang meines Lebens. Bei meiner ersten Erinnerung, die wichtig ist und lasse nur die aus, die mir und meiner Mutter gehören. Erst ist nichts wirklich besonders, aber Blaze unterbricht mich nicht, sagt nicht, dass ich Stellen überspringen soll, nein, er hört einfach zu. Es wirkt beinahe so, als wäre er wirklich daran interessiert, was ich zu sagen habe. Irgendwann komme ich an dem Punkt an, an dem ich mehr verstand, mehr begriff und mehr erlebte.

„Mein Vater war noch nie der Familienmensch, aber als ich älter wurde und meine Fehler nicht mehr nur darin bestanden, Sachen umzustoßen oder etwas dreckig zu machen, änderte sich sein Verhalten. Jede Kleinigkeit, die ich falsch machte wurde auf die Wage gelegt und es folgten Konsequenzen. Ich hatte das Gefühl mit jeden Tag, den ich älter wurde und ihm unter die Augen trat, wuchs sein Hass."
Ich erzähle ihm davon, wie ich heraus gefunden habe, dass er meine Mutter schlug, wie ich das erste Mal bei Geschäftsessen dabei war. Wie er vor seinen Kollegen über mich geredet hat, wie er mich bloßgestellt hat. Wie diese alten Männer mich angeguckt haben und es meinem Vater scheiß egal war. „Ich war jung, aber ich war nicht blind. Keiner in diesen Sälen war es. Nur hatte keiner den Anstand etwas zu sagen. Zu sagen, dass ich nicht irgendein Stück Dekoration bin, das mein Vater mitgebracht hat, um es an zu gaffen."

Ich erzähle ihm sogar davon, wie er meine Sachen verbrannt hat, bis zu dem Punkt, wo die Polizisten vor der Tür stehen und die Hölle endgültig ausbrach.
Meine Stimme bricht, als ich ausspreche, was ich ihm schonmal erzählt habe. Der Abend, an dem mich die Schläge und Tritte trafen, die Mum seit Jahren erleiden musste. Ich schlucke Tränen runter und halte inne. „Ich hatte mal eine Backpfeife oder einen Klaps von ihm abbekommen, wenn er außer sich vor Wut war, aber... aber dieses Mal war es anders." Da spüre ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter. Ich fahr grade auf und starr in die grauen Augen. Der Anblick der Kälte sollte mich zum stoppen bringen. Das, was ich jetzt erzählen würde, ist nicht mehr an Relevanz für ihn, aber grade jetzt. Grade jetzt, wo seine warme Hand auf meinem Bein ruht und er mir seine volle, kühle Aufmerksamkeit schenkt, spreche ich weiter. Spreche etwas aus, was ich bis jetzt noch nie getan habe.

„Er hat mit geschlagen. Getreten und geschubst. Daran war nichts eine kleine Buße. Er hat seine Wut an mir ausgelassen und ich weiß er hätte es weiter getan. Er hätte nicht aufhören können, wenn ich bei ihm geblieben wäre." Ich atme durch und zwinge meine schwitzigen Hände im Schoß zur Ruhe.
Ich erwarte, dass Blaze so etwas sagt, wie dass das alles hilfreich war, noch eine weitere Frage stellt oder einfach das Gespräch für beendet erklärt, aber er tut etwas viel überraschenderes.

„Es tut mir leid, was du erleben musstest. Und selbst wenn du nie den Beweis dafür findest, dass er Schuld trägt am Tod deiner Mutter, wird er für jede Sekunde, die er dich verachtet hat, büßen. Und für noch viel mehr." Ich kenne den Mann, der vor mir sitzt und mir verspricht, meinen Vater zu quälen nicht. Und trotzdem flüstere ich das absurdeste Wort, dass mir hätte über die Lippen kommen können. „Danke"

Die warme, große Hand zieht sich langsam wieder zurück und Blaze lehnt sich zurück, während ich mich wieder sammle. Es herrscht nicht lange Stille. Das Essen, das vor einer Stunde geliefert wurde, steht kalt auf dem Tisch, aber keiner von uns beiden denkt daran oder bereut es nicht angerührt zu haben. „Ich glaube das reicht für heute. Wir sollten uns morgen über die wichtigen Details unterhalten und darüber, wie wir vorgehen." Wieder nicke ich nur. Blaze hat sein leeres Glas schon auf den Tisch gestellt und streckt sich grade. „Iss noch etwas, bevor du ins Bett gehst."

„Trainieren wir morgen früh wieder?" Blaze lächelt auf einmal und dieses Mal wirkt es überhaupt nicht leer. „Da vermisst mich ja jemand." Ich verdrehe schnell die Augen. „Nein, morgen wird dich Nesrin in die Kunst des Kampfes und der Selbstverteidigung einweihen. Donnerstag ist Simon wieder dran."

„Nur mit dir" |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt