Kapitel 5

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Die nächsten Tage trainiere ich von 9 bis 11 mit Chloe und Dorothee bringt mir bei, wie ich blaue Flecken abdecken kann. Das ganze Training ist so anstrengend, dass ich schon am zweiten Tag unglaublichen Muskelkater hatte und Dorothee meine Schicht Dienstags übernommen hat. Meine ersten Auftritte sind noch keine besonderen und privat buchen kann man mich auch noch nicht, wofür ich ziemlich dankbar bin. Es hat mich erstaunlich wenig Überwindung gekostet am Monat Abend vor einer Menge von Männern zu tanzen. Ich war Tänzerin auf einer größeren Tribüne zusammen mit Maeve und Gloria, die beide nach mir am neusten sind. Fünf Monate und sie tanzen immer noch nicht alleine, haben noch immer nicht die Auftritte, die am begehrtesten und am besten besucht sind. Und die, die am besten besucht sind, sind dementsprechend auch besser bezahlt. An einem Samstag und Freitag Abend reißen sich die Männer darum eine der Stripperinnen für sich alleine zu haben oder Chloes berühmte Cowgirl Show zu sehen. "Und wenn man ihnen genug Alkohol andreht fliegen die Scheinchen nur so auf die Bühne.", erklärt mir Chloe grade. 

Es ist Donnerstag, kurz vor Showtime. Meine Muskeln schmerzen zwar immer noch, aber ich kann es mir nicht erlauben, faul rum zu sitzen. Ich wage es auch nicht nachzufragen. Lolita hat mir mehr als einen Schlafplatz gegeben und ich werde alles dafür tun, zu beweisen, dass sie keinen Fehler gemacht hat. 200$ im Monat, von dem das ich verdiene geht an sie, für mein Zimmer. Ich schlafe noch immer mit Dorothee und Chloe zusammen. Auf einem kleinem Schlafsofa, dass mir zusätzlich zum Muskelkater noch Rücken und Nackenschmerzen beschert. Aber all die Schmerzen, die Arbeit und das Training lenken mich von meinen Gedanken und Schatten ab, die mich sonst einholen würden. "In einem Monat denke ich bis du bereit private Striptease zu geben. So lang dauert es im Schnitt eigentlich immer, bis Lolita dich befördert.", erklärt mir die schwarzhaarige Tänzerin, die grade eine völlig normal Jogginghose und Shirt trägt. "Wie lange hast du gebraucht?" Sie lächelt frech und steht dann elegant vom Boden auf. Alls an ihrem Outfit ist normal, bis auf die hohen, schwarzen Pumps an ihren Füßen, die auch an meinen stecken. Es ist scheiße schwer in diesen Dingern zu laufen, geschweige denn zu tanzen und sind nichts im Gegensatz zu den schmalen Sandalen mit Absatz, die ich manchmal zu Partys angezogen habe. "Zwei Einhalb Wochen. Rekordzeit hier im Club. Und soweit ich weiß auch in allen anderen."

"Andere? Es gibt mehr Clubs als diesen?" Chloe hält mir die Hand von oben hin, um mir aufzuhelfen. Ich nehme sie nickend an und ziehe mich an ihr hoch. "Sechs Clubs in dieser Stadt. Dieser hier ist der größte und wichtigste, aber es gibt andere. Lolita kümmert sich um alle und auch um alle Mädchen."

"Sie ist aber nicht der Chef?", frag ich nach, als mir die Gespräche von Sonntag Nacht in den Kopf kommen. Chloe seufzt und schüttelt den Kopf. "Nein, all diese Clubs gehören zum Snyder Imperium." Meine Kinnlade kippt nach unten und ich glaube, dass mein Herz einen Moment aussetzt. Ich arbeite nicht einfach nur in irgendeinen Stripclub. Ich arbeite in einem Stripclub von niemand geringen, als den Snyders. Der Gruppe von Monstern, über die man überall Schreckensgeschichten hört. "Keine Sorge, sie benehmen sich, meistens. Es ist nicht ihr Chef selbst, der hier das sagen hat. So war es auf jeden Fall bis jetzt." Sie klingt etwas deprimiert, aber mein Kopf hängt noch immer beim Fakt, dass ich für Kriminelle arbeite und tanze. 

Plötzlich schallt Lolitas laute Stimme vom Flur aus zu uns rüber, sodass wir beide sofort in ihre Richtung gucken. "Es ist mir egal, wie Sie das schaffen! Victor ist grade nicht in seiner besten Laune und er wird sich bestimmt nicht mit der billigen Ausrede abgeben, die Sie mir hier grade auftischen wollen. Wenn sie ihren Job, geschweige denn ihr Leben behalten wollen, dann würde ich mich ran machen, dass die Lieferung bis Sonntag hier ist verdammt!" Es ist nicht das erste Mal, dass ich sie so aufgebracht erlebe, dabei bin ich nicht mal eine Woche hier. Dennoch weiß ich schon, dass man sie lieber nicht reizen sollte. Lolita knallt das Telefon laut auf den Tresen, hinter dem sie stehen geblieben ist und lässt einen Moment den Kopf hängen, sodass ihr die gelockten Haare vor das alte Gesicht fallen. 

"Was ist es heute?", ruft Chloe fragend durch den leeren Saal. Lolita guckt träge, aber noch immer mit Hitze in den braunen Augen. "Der verdammte Whiskey aus Schottland soll erst Montag ankommen, obwohl ich Samstag angegeben habe und unser Viktor schon Sonntag wieder zurückkommt!", berichtet sie laut. Chloe macht eine Schnalzgeräusch mit ihrer Zunge. "Wo ist denn das Problem?" Beide Frauen schauen mit großen, geschockten Augen zu mir. "Dann soll er eben einen Abend ohne seinen Whiskey auskommen, es gibt doch bestimmt noch anderen." Ihre Gesichter sehen so aus, als hätte ich ihnen grade erklären wollen, dass Schweine fliegen könnten. Lolita lässt ein leeres "Ha" von sich. "Das ist die dümmste Idee, die ich je gehört habe. Du hast ihn noch nie erlebt, Kind. Selbst wenn sein ältester Sohn nicht grade vor Zwei Wochen erschossen worden wäre und er Sonntag von seiner Beerdigung zurück kommt, würde er drei Leute erschießen lassen, dafür, dass nicht sein liebster goldener Trank auf seinem Schreibtisch auf ihn wartet." Jetzt steht mir wieder der Schock ins Gesicht geschrieben. "Aber ich mag dein Denken, Eve. Wirklich. Der Sack hätte es verdient."

"Viktor Snyder hat einen Sohn?", frag ich leiser, vorsichtig nach. Obwohl hier kein anderer ist, außer wir drei und ein Bodyguard, fühle ich mich seltsam beobachtet. Jedes Wort gegen Victor könnte für mich tödlich enden, ich bin nicht dumm genug, um etwas anderes zu glauben. "Er hat einen, Hatte Zwei. Zwei verwöhnte Jungs, die mit Macht spielen, als wären es sinnlose Murmeln."

"Nate hat die Aufgabe von Victor bekommen sind unteranderem um die Clubs zu kümmern, aber der hat die Aufgabe wiederum an seine Mutter abgegeben, für ihn gab es wichtigeres, als sich um Stripperinnen zu kümmern.", erklärt Chloe weiter. "Sein Sohn, Nate, er ist tot?" Chloe nickt und bekreuzt sich doch tatsächlich. "Er wurde erschossen, es gibt noch keine offiziellen Berichte, keine Bekenntnisse oder Rachezüge. Victor war die letzten Zwei Wochen mit seiner Familie weg, aus der Stadt, um seinen Sohn zu beerdigen. Sonntag kommen sie wieder. Ich will nicht wissen, wie böse dieser Mann ist, wenn er einen Grund dafür hat." Ich bete zu Gott, dass ich es nicht erfahren werde.

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In dieser Nacht gehe ich es immer wieder in meinen Kopf durch. Ich werde auf Victor Snyder treffen. Okay, vielleicht nicht wirklich treffen, aber ich werde ihn sehen. Chloe und Dori, wie ich Dorothee jetzt nennen soll, haben mir heute Nachmittag noch ein wenig mehr erzählt. Victor, seine Frau und seine Söhne leben hier ganz in der Nähe, in einer etwas edleren Gegend in einem riesigen Hochhaus mitten in der Stadt. Doch er führt seine Geschäfte von hier aus. Hat sein Büro hier, viele seiner Männer und viel seines Besitztums. Ich will umso weniger wissen, was sich im Keller verbirgt, nachdem ich jetzt weiß, wer hier Chef ist. Nate war wohl täglich hier, hat sich von vielen der Frauen hier entertainen lassen, nicht dass er es nötig gehabt hätte. Natürlich nicht, als Sohn einer so einflussreichen Person fallen einem Mädchen bestimmt zu Füßen. Selbst wenn es die Angst vor dem Tod ist, die sie dazu bringt. Sein kleiner Bruder hingegen ist eher selten präsent. Blaze, so heißt er. Blaze Snyder. "Ein typisches Arschloch.", so hat ihn Dori genannt. "Aber ein heißes.", hat Maeve eingeworfen und damit den Mittagstisch zum Lachen gebracht. Alle außer mich. 

Mir gefiel das ganze immer noch nicht. Ich habe einfach zu viele grausame Geschichte über diese Familie gehört dafür, dass ich jetzt über sie lachen könnte. Doch mit der Angst vor den Snyders, kam noch eine ganz andere. Die Angst des Auffliegens. So einflussreiche Personen kannten ihre Mitspieler, ihre Gegner und Feinde und Verbündeten. Ich hab keine Ahnung, was genau mein Vater für sie sein würde, aber wenn nur die kleinste Möglichkeit bestand, dass sie Kontakt zu ihm hatten, oder mich schon einmal gesehen hatten, dann machte diese mir große Sorge. Und so halten mich zwei Sorgen in dieser Nacht wach. Die Sorge um Sonntag und meine Sorge um meine Mutter. 

Weinen tue ich nicht, ich kann es mir nicht erlauben. Es reicht schon, dass Dori und Chloe meine blauen Flecken und meine geschwollene Lippe und Wange gesehen haben, die ich mir jetzt jeden morgen ganz ordentlich abdecke. Ganze 20 Minuten brauch ich dafür. Keiner von ihnen hat nachgefragt woher ich die Wunden habe, sie haben mir nur geholfen etwas gegen sie zu tun und den Kopf geneigt, wenn, wenn sich unsere Blicke begegneten. Eine Geste, die mir etwas sagte wie "Ich weiß, was du durchgemacht hast. Ich war da selbst." Ein Zeichen der Solidarität, so könnte man es auch nennen. Doch ich werde ihnen nicht auch noch meine Tränen zeigen, nicht auch noch meine inneren Wunden, die jede Nacht, wenn ich keine Ablenkung mehr finde und mir nichts anderes übrig bleib, als mich meinen Gedanken zu überlassen, aufs Neue aufreißen. Ich musste schon mein ganzes Leben eine Rolle spielen, dann werde ich jetzt auch weiter spielen können.

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