Kapitel 50

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Meine Hände greifen zur Hand, die so groß ist, dass sie auch meine Nase halbwegs bedeckt. Ein starker Arm schlingt sich um meinen Bauch, sodass ich auf keinen Fall weg kann. „Halt still, ich bin's.", zischt Simon mir leise ins Ohr. Ich beruhig mich, aber nur so wenig, dass ich ihn nicht mehr kratze und nicht mehr um mich trete. Ich spüre, wie Tränen schon jetzt in meinen Augen brennen. Zu groß ist die Angst davor, mir nur vorzustellen, was da grade draußen los ist.

Schüsse fallen. Schreie und Stimmen mischen sich. Die Klingel klingelt und dann herrscht beinahe komplette Stille. Simon wartet noch einen langen Moment, bis er vorsichtig, die Hände weg zieht. Dabei flüstert er mir noch ins Ohr, dass ich still bleiben soll, aber ich springe schon auf. Sein Fluchen hinter mir. Ich stolpere durch den Vorhang, blind an der Theke vorbei, um kurz stehen zu bleiben und wieder die Hände vor den Mund zu schlagen. Blaze liegt in einer Pfütze seines eigenen Blutes auf dem Boden. Nesrin kniet daneben, drück mit all ihrer Kraft auf den seitlichen Bauch. Elias, hilft einem verletzten Mann auf einen der Stühle. Die anderen Menschen im Raum, es müssten noch Drei weitere sein, nehme ich gar nicht mehr richtig wahr. Ich renn los und gehe direkt neben Blazes Kopf auf die Knie. Meine Knie in seinem Blut.

Seine Lippen sind schon jetzt blass und trocken und stehen offen, wie seine Augen zum Glück noch ein Stück. „Oh Gott, Blaze!", jammere ich völlig verzweifelt. Fasse erst mit einer Hand seine Wange an, dann schau ich an seinem Körper herab. Sein Hemd ist nass, Nesrin drückt weiter auf seinen Oberkörper. „Nathan?!", schreit sie fragend. Nathan taucht hinter ihr auf. „Der Arzt ist bereit, wir treffen uns mit ihm." Ich hab keine Ahnung, was für ein Arzt. „Halb so wild." Ich gucke wieder zu Blazes Gesicht, als seine Hand sich auf mein Knie legt und seine schwache Stimme, die Worte zu Stande bringt. Er guckt zurück. Unkontrollierbar, rollen jetzt die Tränen los. „Du darfst nicht sterben.", flenne ich zittrig. Er schließt die Augen mit dem Hauch eines Grinsens. „Tue ich doch gar nicht.", krächzt er trocken.

Doch seine Augen bleiben zu. Ich krieg sofort Panik. Greif nach seiner Hand, die auf meinem Knie ruht und beug mich näher über ihn. „Du darfst die Augen nicht schließen, Blaze. Bleib bei mir. Bleib wach." Er atmet, aber die Augen bleiben zu. „Blaze, ich brauche dich! Ich schaffe das nicht! Ich schaffe das nicht ohne dich!", weine ich bitter und eine meiner Tränen tropft auf seine bleiche Wange. Meine Hand tätschelt seine Wange. Ich höre nicht, was Nesrin ruft, nicht was Nathan befiehlt und ich währe mich auch gegen Simon Hände, die wieder nach mir greifen. „Ich kann das nur mit dir! Nur mit dir!" Ich schluchze laut. Der Schmerz, der mein Herz droht zu zerreißen, ist unbeschreiblich. „Ich liebe dich doch auch. Ich liebe dich." Als das Gesagt ist, hat mich Simon endgültig wieder im Griff und zieht mich auf die Füße. Und Blaze... Er schlägt sie Augen auf. Sein Mundwinkel zuckt. Ich höre noch einmal seine Stimme, bevor Nathan sich zwischen mich und ihn drängt, um ihn anzuheben. "Ich wusste es.", sagt er halbtot.

Nathan trägt Blaze mit der Hilfe von Max, der mit einem Stück Stoff weiter die Wunder abdrückt. Nesrin hält ihnen Blut besudelt die Tür auf. Draußen wartet ein Wagen. Simon hält mich immer noch. Ich weiß nicht, ob ich ohne seine Hilfe fallen oder den dreien hinter her rennen würde. "Sie bringen ihn zu einem Notfallarzt. Die sind auf sowas vorbereitet. Wäre der Schuss sofort tödlich, wäre er schon tot." Ich höre ihm gar nicht richtig zu. Spüre nur, wie Tränen fließen. Als sie in den Wagen eingestiegen sind, Blaze auf der Rückbank und davon fahren, drehe ich mich in Simon Arm um, um mein Gesicht in seiner Brust zu vergraben. Und er hält mich weiter. Eine Hand ruht nun auf meinem Kopf. "Er wird wieder, er wird wieder.", murmelt er wie ein Mantra. Wahrscheinlich, um uns beiden Mut zu zusprechen. "Ich will zu ihm.", schaffe ich undeutlich zu jammern. "Wir fahren, sobald, du dich etwas beruhigt hast." Wie könnt ich mich jetzt beruhigen?! Bei all dem? Oh Gott...

"Sie hat einen Schock. Sie sollte hier bleiben." Elias meldet sich vorsichtig zu Wort. Ich schüttle den Kopf, aber Simon hat nichts der Gleichen im Sinn. "Ich bin hier, um sie nach Haus zu holen, nicht um sie hier zu lassen.", giftet er streng und pflichtbewusst. "Eve... ich mein, Elea-"

"Ich will gehen, bitte." Ich guck Tränen verschmiert und wahrscheinlich total rot zu Simon auf, der mich mit seinen Haselnussaugen zurück anguckt. "Wir gehen." Ohne auf den kleinen und sehr schwachen Versuch von Elias zu reagieren, lässt er mich aus der Umarmung, oder eher Klemme, stütz mich aber auf dem Weg nach draußen weiter hin. Draußen ist mir die frische Luft willkommen, es riecht nicht nach Blut und Schreie oder Schüsse höre ich hier auch nicht. „Blazes Motorrad steht hier, wir fahren damit."

Simon muss nur seinen Namen nennen und mir kommen sofort all die schrecklichen Bilder in den Kopf. Neue Tränen kommen sofort, ich wische sie mit dem Ärmel meines Hoodies weg und nicke. „Ich hasse das Ding.", brumme ich, aber steige bereits auf. Es gibt nur einen Helm, den krieg ich auf. Simon setzt sich vor mich, ich schlinge die Arme um ihn. Als er fährt weine ich weiter. Der Schutz des Helms dämmt hoffentlich auch meine weinenden Töne und Tränen ein. Die Fahrt dauert viel zu lang, viel zu Zeit, in der ich denke und wenn ich denke, mach ich mir Sorgen, so große, dass mir die Lift weg bleibt, weil meine Brust so eng wird. Schlimmer macht es auch der Fakt, dass ich nicht einmal weiß, wohin mich Simon bringt.

Nach Hause? Zu Blaze? Ganz woanders hin?

Ich kann mich nur weiter an ihn und den Gedanken an Blaze klammern. Der Gedanke daran, dass er leben muss. Denn wenn er sterben sollte, ergibt nichts mehr einen Sinn.

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