Kapitel 59

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Blaze

Die Wohnung ist nicht sehr groß, aber groß genug. Ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, ein Bad, eine Küche und einen Flur der alles voneinander trennt. Simon hat mich in Wohnzimmer geholt, direkt am Ende des Flurs und direkt neben dem Schlafzimmer, in dem Elea liegt. „Arthur wird sich um 17 Uhr mit dir am vereinbarten Platz treffen. Dort wartet dein Vater, wenn er dich nicht schon vorher wütend anruft. Ab da hab keinen blassen Schimmer, was du tun willst. Also, klär mich auf." Simon verschränkt die Arme vor der Brust. Ness und Nathan stehen ebenfalls verteilt im Raum. Alle Augen auf mir. „Ich bin ehrlich... ich habe keine Ahnung." An Nesrins Blick kann ich erkennen, wie wenig sie davon hält. „Ich weiß nicht, wie mein Vater reagieren wird, nicht was mit Arthur oder meinem Onkel ist. Ich kann es nicht wissen. Ich weiß, ich werde euch nicht ausreden können, mich allein gehen zu lassen, aber ich will, dass ihr wenn es zu einer Eskalation der Situation kommen sollte... ihr an euch selbst denkt. Ich bin sicher, mein Vater wird mir nichts an tun, er kann es nicht." Nesrin stößt sich von der Wand ab. Ihr Blick böse und sauer. „Heute ist nicht der Tag, an dem du alles weg wirfst, Blaze. Nicht heute und nicht morgen."

„Nicht alles, nur ein Rückschlag." Simon schnaubt auf. „Ein gewaltiger." Ich gucke streng durch den Raum. „Ich bereue nichts, ich würde es alles wieder tun. Alles andere wäre nicht gerecht gewesen." Nathan schaut auf, sein sonst undeutbarer Blick, etwas weicher als sonst. „Ich verstehe dich. Ich würde all das für Ness tun. Genau so. Du hast das richtige getan." Er spricht selten, aber wenn er spricht, dann genau das, was man hören muss.

„Wie geht's ihrer Hand?", fragt Simon vorsichtig nach. Ich gehe mir durchs Haar und seufze. Es ist schlimm. Ich sehe immer wieder ihr blasses Gesicht, ihre gebrochene Hand. Höre immer wieder ihre Schreie, ihr Schluchzen. Mich überkommt ein Schauer. „Es wurde getan, was gerettet werden konnte.", antworte ich knapp, aber korrekt. „Wann wird Elias hier sein?", frag ich schnell, um das Thema zu wechseln. „Bald, unter einer halben Stunde. Er wird auf sie aufpassen.", versichert mir Simon sofort. Ich kann es für Elias nur hoffen. Doch ich glaube wirklich daran, muss daran glauben, dass sie es bei ihm gut haben wird. Besser, als sie es bei mir je haben könnte.
Plötzlich ertönt ein Klicken. Ich drehe mich zur Tür, die einen Spalt angelehnt ist. „Hast du das auch gehört?", fragt mich Simon leise. Seine Finger tippen schon gespannt auf seiner Waffe rum. Ich will auch zu meiner greifen, da fällt mir auf, dass sie noch immer bei Elea liegt. Ich nicke, zeige allen anderen aber mit dem Finger auf den Lippen, dass sie leise sein sollen. Nathan reagiert als erster und wirft mir eine Pistole zu, die ich problemlos fange und sofort spanne und halte. Auf leisen Sohlen und langsamen Tritt, schleiche ich zur Tür, die ich dann mit der Hand weiter aufziehe. Simon direkt hinter mir, um mir Deckung zu geben. Ich schreite in den Flur, dort immer weiter den Gang entlang. Am Ende deute auf die Tür des Badezimmers, Simon nickt und geht sofort zur Tür, um das Bad zu überprüfen. Ich hingegen schleiche weiter zum Schlafzimmer. Ich stoße die angelehnte Tür auf. Lasse die Waffe aber sofort sinken, als ich nichts sehe. Nichts.

Keinen Feind, keine Bedrohung, keine Elea. „Fuck"
Ich renne raus, aber Simon schüttelt schon den Kopf. Dann renne ich weiter, zur Eingangstür. Natürlich nicht abgeschlossen. Als ich in Hausflur stehe, beginne ich laut ihren Namen zu rufen. „Elea!" Keine Antwort. Ich eile zum Aufzug, aber der steckt irgendwo fest, also muss ich zum Treppenflur. Die Treppen sind schmal und da wird im 6. Stock sind nicht grade schnell zu überwältigen. Simon folgt mir zwar, ist aber um einiges hinter her. Ich komme grade unten an, um noch zu sehen, wie Elea aus dem Haus tritt. Vor der Tür ein schwarzes Auto, in dem Auto ein Mann. Nicht irgendein Mann, Arthur.

Ich renne los, so schnell ich kann, aber ich bin zu spät. Sie steigt ins Auto, die Tür wird hinter ihr von einem der Bodyguards geschlossen. Ich renne solange, bis das Auto endgültig davon ist und ich völlig außer Atem hilflos da stehe. Dann ziele ich, ziele auf die Reifen des Autos, doch es ist schon außer Reichweite. „FUCK!", schreie ich voller Wut und werfe die Waffe einfach achtlos auf den Boden. „FUCK! FUCK! FUCK!"
Simon kommt hinter mir an, atemlos stützt er sich auf seine Knie ab.
„Warum hat sie das getan?" , fragt er erschöpft , guckt dahin, wo Elea verschwunden ist. Selbst wenn ich die Antwort wüsste, kommt mir Nesrin in die Quere, die jetzt auch hektisch aus dem Haus gerannt kommt. „Er ist frei! Sie sind alle frei! Christian, seine Männer, sie alle sind frei..." Ich gucke völlig verzweifelt zu Ness. „Wie bitte?", fragt Simon ratlos. „Sie hat mit Arthur zwei Mal über dein Handy telefoniert, Blaze. Erst muss sie ihn hier her gelockt haben und dann muss sie verhandelt haben. Dein Onkel wurde grade gefesselt mit seinen Männern in einem Parkhaus abgeliefert. Victor wurde bescheid gegeben, dass du den Deal bereits ausgeführt hat. Er ist oben am Telefon."

Ich schüttle ungläubig den Kopf. Sie hat sich eingetauscht. Ich reibe mir über den Mund. Spüre wie mein Puls immer höher rast. Wie konnte sie nur so leichtsinnig sein?
„Simon, steig auf dein Motorrad. Wir fahren denen hinter her. Alle freien Leute sollen nach einem schwarzen Wagen mit dem Kennzeichen 7PQM014 Ausschau halten." Simon nickt und rennt schon wieder los zur anderen Straßenseite, wo seine Maschine steht. „Blaze, sie wollte es so...", versucht es Nesrin mit einem so gelassenen Ton, dass er mir grade einfach nur noch weiter aufregt.
„Nein! Ich will davon nichts hören! Ich werde das nicht zulassen! Jetzt steig in den Wagen und finde sie!" Ich bin völlig außer mir, völlig in Rage.  Wenn sie damit durchkommt, dann wird sie ihr Leben mit Lügen und in Gefangenschaft verbringen. Sie wird Arthur nie zur Rechenschaft kommen lassen können, nie ihren echten Vater kennen lernen. Sie wird nicht glücklich. Und das nur wegen mir.
„Gib mir dein Telefon." Ich halte ihr erwartungsvoll die Hand hin, ohne zu zögern drückt sie es mir in die Hand und ich wähle Elias Nummer. „Arthur hat sie."

Elea

Ich sitze still neben Arthur im Auto. Er hat nicht damit gerechnet, dass ich zu mehr fähig wäre, als blödes Gejammere. Nachdem ich sicher gestellt habe, dass er auf dem Weg ist und seinen Leute die Nachricht bekannt gemacht hat, dass ich entführt wurde und er mich retten könne, habe ich schnell alles zusammengepackt, was ich hatte. Dann habe ich noch einmal angerufen. Dieses Mal war nichts von dem schüchternen Mädchen zu hören, dass sich vor ihm versteckt hat. Ich hab ihm einen Deal angeboten, man könnte auch das Wort erpressen nutzen.
Ich übergebe mich ihm, dafür entlässt er auf der Stelle die Gefangenen. Blazes Onkel und seine Sechs Männer. Danach wird Victor angerufen, er soll erfahren, dass das alles von Blaze kommt.

Er war so überrascht über meinem Anruf und meine Forderungen, dass ihm die Worte fehlten. Ich hab weiter geredet, ihm gesagt dass wenn er nicht hören würde, er als der Vater in die Geschichte eingehen würde, der seine gefolterte Tochter bei ihrem Entführer lässt. Außerdem habe ich ihm zugesichert, dass keiner weiß, wer mein wirklicher Vater ist. Ich redete so schnell, ich hab sogar gedroht, aufzudecken, dass er meine Mutter ermordet hat.
Er stimmte zu. Er hatte keine Wahl. Es war zu viel auf einmal und er war schon auf dem Weg. Er hatte 15 Minuten sich zu entscheiden. Jetzt oder nie.
Ich weiß nicht genau, warum ich ihn erst unter Tränen angerufen habe. Vielleicht weil ich ganz genau wusste, dass ich nur seine Aufmerksamkeit bekomme, wenn ich ihn anflehe. Vielleicht um ihm noch einmal die dumme, kleine Tochter vorzuspielen. Vielleicht um zu testen, ob doch ein Funken gutes in ihm steht oder ganz einfach um ein letztes und erstes Mal väterliche Worte von dem Mann zu hören, der mein Leben lang den Vater gespielt hat. Ich weiß es nicht. Aber ich hab es getan.

Und jetzt sitze ich neben ihm. Sein Geruch kratzt in meiner Nase. Eine ekelhafte Mischung aus Alkohol und Tabak. „Du weißt alles?" Ich nicke. „Du bist ein Mörder, ein Mörder und Lügner." Er nickt einfach, er bestreitet es nicht, schmückt sich mit den Titeln jedoch auch nicht. „Du wirst vor die Kameras treten. Du wirst alles sagen, wer und was dir angetan wurde und dass ich sobald ich davon erfahren habe, alles getan habe, um dich zu retten. Dein liebender Vater hat dich gerettet." Ich nicke zwar, aber fluche dabei leise vor mich hin. Ich muss mich selbst daran erinnern, für was ich das tue. Für wen.
„Scheiße, ich hasse dich." Er schnaubt auf. „Und ich dich erst. Der Bastard meiner Nichtsnutzigen Frau und ihrem noch dümmeren Lover. Ihrer Jugendliebe." Die letzte Bezeichnung spuckt er förmlich aus.

„Rede nicht so über sie.", gifte ich ihn an und schau ihm zum ersten Mal wieder richtig in die Augen. Seine Aggressionen verstecken sich hinter ihnen und ich warte nur darauf, dass er die Hand hebt. Ich hatte nie was mit diesem Mann gemeinsam, war nie seine Tochter. „Du solltest mir danken. Ich rette dich aus was auch immer für einer komischen Beziehung mit einem Sadisten und habe dich dein Leben lang geduldet. Tag für Tag musst ich dich sehen. Der Beweis dafür, dass meine Frau mit einem anderem geschlafen hat, während wir zusammen waren. Tag für Tag habe ich ihren Bastard ernährt. Ich habe dir ein Leben geboten. Und ich gebe es dir wieder. Du solltest aufpassen, wie du mit mir redest." Meine gesunde Hand balle ich zur Faust, meine Zähne knirschen. „Elender Mistkerl." Er hebt die Hand, ich mache mich auf den Schlag bereit, da schleudert das Auto auf einmal. Ich pralle mit meiner Seite gegen die Tür, mein Kopf knallt gegen das Fenster. Ich höre Reifen quietschen und Rufe.

„Sir, wir sind umzingelt."

„Nur mit dir" |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt