Kapitel 57

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Ich weiß nicht wann ich aufwache oder wann ich wieder einschlafe, aber es fühlt sich nach Stunden an, vielleicht sogar Tage. In diesen abscheulichen Raum kommt nicht ein einziger Funken Licht. Mein einziges Indiz dafür, ob es Tag sein könnte, sind die Stimmen, die von draußen dumpf zu mir dringen. Sonst gab und gibt es nichts.
Ich hab mich eigentlich nicht großartig bewegt, selbst mich nur auf die andere Seite zu rollen, verursacht einen solchen Schmerz, dass ich mir direkt wider die Ohnmacht wünsche. Also bleib ich einfach gekrümmt wie ein Baby auf dem Boden liegen, meine Hand, die ein einziger Schmerzklumpen ist, liegt verkrüppelt vor mir.

Die Momente ziehen dahin. Mal sind die Stimmen da, mal nicht, manchmal lauter, mal leiser. Vor einiger Zeit wurden ein paar Stellen in meinen Fingern taub. Ich kann sie nicht mehr bewegen, selbst wenn ich wollte und auf eine gruselige Art macht mir das noch viel mehr Angst. Auch mein Kopf dröhnt und droht zu Platzen, ich spüre wie mir abwechselnd eiskalt und feurigheiß wird, innerhalb von kurzen Abständen. Mir tropft Schweiß von der Stirn, obwohl der nicht einmal da sein dürfte. Ich tue nichts und hier steht so weit ich das einschätzen kann nirgendwo eine Heizung, die mir Wärme schenken könnte. Wenn ich die Augen schließe, beginne ich ganz wirr zu träumen. Ich träume von einer Welt, in der alles gut gegangen ist. In einer Welt wo meine Mutter auf einmal hier auftaucht, mich hier raus holt. In einer Welt, wo Blaze mir unter Tränen erklärt, dass er nur gelogen hat.

Der Hunger und der noch viel schlimmere Durst in mir, können nur vergessen werden, wenn ich schlafe. Was sollte ich denn sonst tun? Ich kann nichts. Ich bin nichts.

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Ich glaube was zu hören. Schritte, Gepolter, doch mittlerweile verschwimmen Realität und Traum viel zu sehr, als das ich irgendetwas ausmachen könnte. Ich schlage nicht einmal mehr die Augen auf. Und so bleib ich im Halbschlaf liegen. Plötzlich strahlt ein schmaler Grad Licht auf mich. Ich spüre, wie das Licht in meinen Augen brennt und höre Schritte. Schwere Schritte, doch erst als diese direkt vor meiner Nase sind, öffne ich meine brennenden Augen wieder. „Bitte...", krächze ich leise. Ich weiß nicht wen meine Bitte erreicht, weiß nicht worum ich bitte, aber mir kommen die Worte flehend über die gerissenen Lippen. Vor mir geht jemand in die Hocke. Eine Hand legt sich auf meine Stirn, ich würde ja zurückweichen, aber dazu vergeude ich keine Kraft. „Sie hat Fieber. Die Wunden müssen sich entzündet haben. Wenn du sie hebst, pass darauf auf, dass die Hand nirgendwo ran kommt." Die Stimme flüstert. Eine Frauenstimme.

Dann schieben sich zwei Hände unter meinen schwachen Körper. Als ich angehoben werde, stöhne ich vor Schmerzen auf und verdrehe meine Augen nach hinten. „Wir holen dich hier raus.", sagt mir die dunkle Stimme. Mit geschlossenen Augen und offenen Mund, weil mein Kopf halb über seinem Arm hängt, werde ich aus dem dunklen Raum getragen. „Zieh die Leichen in den Raum und schließ ab, wir treffen und auf der zweiten Etage." Ich werde Treppen hochgetragen, Türen werde geöffnet und mal ist dunkler, mal wieder heller. Solange, bis ich frische Luft riechen kann. Das Atmen fällt mir sofort leichter, aber mir wird auch sofort kalt, sodass ich schaudere. „Du hast es gleich geschafft.", meint die dunkle, dumpfe Stimme noch einmal. Ich höre, wie eine Autotür geöffnet sind. Als ich die Augen aufschlage, oder eher einen Spalt mit Krampf versuche offen zu halten, sehe ich noch den Anfang des schwarzen Autos, in das ich dann auf die Rückbank gelegen werde.

Nathan hängt über mir und legt mich richtig auf die Sitze. Als sich unsere Blicke begegnen, macht er was, was er noch nie getan hat. Er lächelt. Dann geht er aus dem Auto und schmeißt die Tür zu. Nesrin steigt hinter das Lenkrad, Nathan daneben. Eine Hand streckt er bei der Anfahrt zu mir nach hinten, um meinen Körper auf den Sitzen zu behalten und hinter uns startet der Motor eines Motorrads. Mir fallen die Augen wieder zu.

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Ein furchtbarer Schmerz schießt durch meine Hand. Nach Luft schnappend schrecke ich aus meinem Tiefschlaf und finde mich in einem Schlafzimmer wieder. Ich lass mich wieder zurück aufs Kissen fallen. Direkt vor mir, an Ende des Bettes steht Nesrin. Als ich Zur Seite gucke, sitzt da ein Mann mit Maske, Brille und weißem Kittel. Meine Hand auf einem silbernen Metalltisch umgeben von blutigen Tüchern und anderem Zeug. „Ich hab leider keinen Anästhesisten.". murmelt der Arzt angestrengt. „Ich gebe Ihnen sofort eine örtliche Betäubung." Bevor ich was fragen könnte, sticht eine Nadel in meine Hand, daraufhin weicht der Schmerz und ich kann mich etwas entspannen und zurück in die Kissen fallen. „Wo..." Ich schlucke, mein Hals fühlt sich unglaublich trocken an. Nesrin eilt sofort zu mir, reicht mir ein Glas Wasser von dem Nachttisch auf der anderen Seite. Das volle Glas trinke ich in großen Zügen leer, dann nimmt sie es wieder entgegen. „Wir sind in einem Unterschlumpf. Einer geheimen Wohnung von Elias. Wir sind erst seit einer halben Stunde hier. Der Arzt versucht das von deiner Hand zu retten, was noch geht. Danach wird dein Vater kommen und dich abholen."

Als ich die Augen aufreiße, schüttelt sie schnell den Kopf. „Nein, nicht Arthur. Elias." Ein wenig kann ich mich entspannen, aber dafür stecke ich noch viel zu tief in der Hölle fest. Obwohl ich nicht nachfragen sollte, nicht mal einen Gedanken an ihn verschwenden dürfte, frag ich auch nach ihm. „Und Blaze?" Nesrin kaut kurz auf ihrer Zunge rum. „Er ist noch bei seinem Vater und regelt restliche vertragliche Sachen mit Arthur. Sein Vater ist solang abgelenkt und wird erst was mitkriegen, wenn er nach dir gucke will und all seine Leute tot im Lager liegen, anstelle von dir."

„Weiß Blaze, wo ich bin?" Nesrin nickt und läuft in strammen Schritt wieder zum Ende des Bettes. „Ja, es war sein Plan. Er hat dafür gesorgt, dass wir rein können, lenkt seinen Vater ab, stellt die Wohnung und den Doktor zur Verfügung und wir haben uns die Hände schmutzig gemacht." Sie betrachtet mich einen Moment. Mein Geist ist noch etwas langsam und ich spüre zwar, wie das Fieber sinkt, man muss mir Medikamente gegeben haben, aber noch nicht vollständig weg ist. „Wir haben Donnerstag, ich denke das wolltest du auch wissen." Donnerstag. Ich lag also um die Vier Tage in diesem Kellerraum. Und ich bin 18. „Ich weiß, ich bin die letzte, die dir das erzählen sollte und Blaze ist der letzte, von dem du hören willst, aber er hat keine Ruhe gegeben, er hat dich nie aufgegeben. Er wollte nur zu dir. Ich musste ihn Fünf Mal zurück halten, nicht sofort los zu gehen und jeden zu töten, bis er bei dir sein würde. Er hat alles gegeben, was er konnte. Es hat ihm das Herz gebrochen."
„Und mir die Hand.", entgegne ich stumpf. Sie nickt. „Ich sollte nicht mit dir darüber reden. Er sollte es. Ich kann nur nicht zulassen, dass du ihn hasst. Er hat einen Fehler gemacht, nicht nur einen. Aber er hat alles aus Liebe getan."

„Aus Liebe zu wem?", frage ich giftend. „Zu dir und zu seinem Bruder, ja. Aber hättest du deine Mutter nicht genauso geschützt?"
„Meine Mutter ist keine Mörderin."
„Nein, aber Nate und Blaze und ich und Simon und Nathan und Elias. Du bist umgeben von Mördern und was haben sie dir gebracht? Mehr als es ein Mann wie Arthur es konnte. Blaze ist nicht wie sein Bruder, er ist kein Monster. Er ist gut. Er tut alles aus einem Grund. Genauer gesagt aus Gerechtigkeit und Liebe. Er wird seine Ehre, das Vertrauen seines Vaters und sein Erbe, all das aufs Spiel setzen und dich sicher zu Elias zu bringen." Ich ziehe die Augenbrauen zusammen.

„Wie meinst du das?"
„Er hat seinen Vater hintergangen, mehrmals als ein einmal, um deine Sicherheit zu währen. Erst hat Lolita dich verraten, er hat seinem Vater eingeredet, ihm Zeit zu geben." Eine Woche. „Doch selbst nach einer Woche, wärest du nicht zu Victor gekommen, sondern wieder zu deinem Vater. Dafür hat Blaze gesorgt. Jetzt hat er dich befreien lassen, heilt dich, bricht den Pakt mit dem Bürgermeister und lässt seinen Onkel hinter Gittern. Wenn du weg bist, haben sie nichts mehr in der Hand und alles ist wie vorher. Er gibt das auf, was er noch hat, um dich zu retten." Als ihre Worte fallen, spüre ich wieder was. Spüre diese abscheuliche Wärme tief in meinem Herzen.

Doch jetzt kann ich es mir nicht mehr leisten Mitleid zu haben. Blaze muss für seine Taten büßen, egal warum er so gehandelt hat. Er hat mich hintergangen.

„Nur mit dir" |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt