Kapitel 31

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Am nächsten Morgen schwebt die gestrige Nacht wie eine schleierhafte Erinnerung zwischen uns beiden.

Er und ich machen zwar alles wie sonst, Frühstücken, Trainieren, machen und Fertig und führen etwas Small Talk, aber nichts ist wie vorher. Aber es ist nicht schlecht. Ich habe ihn in einer schwachen Position erlebt. Er war halbnackt, verletzlich und kaputt vor mir, aber ich habe nichts gesehen außer sein Leid und einen Menschen, dem ich helfen will. Nichts daran hat mich abgeschreckt, ganz im Gegenteil. Als mir Blaze dann Mittags sagt, dass er noch arbeiten muss, schenkt er mir bevor er geht sogar ein kleines Schmunzeln, das vielleicht als echtes Lächeln gelten könnte, wenn man ein Auge zudrückt. Ein Lächeln, einfach so. Während er weg ist, übe ich noch etwas mit Nesrin weiter, die noch immer nicht aus ihrem engen Schneckenhaus heraus gekrochen ist. Doch heute hab ich keine Lust mich blöd anschweigen zu lassen.

„Wie kommt es, dass du so gut kämpfen kannst?"
„Weil ich es gelernt habe.", antwortet sie knapp und demonstriert noch einmal den Kick an einem Boxsack.Danke, aber das meine ich nicht. Ich mein, wie kam es dazu? Hat Blaze dich ausgebildet? Oder dein Bruder?" Sie tritt einen Schritt zurück und stemmt die Arme in die schmalen Hüften. „Was interessiert es dich? Du bist hier doch eh wieder bald weg."

„Warum sollte es mich nicht interessieren? Ich bin hier, mit dir und glaub mir ich wäre auch lieber wo anders, als hier mit dir und mich von dir auf den Boden werfen zu lassen. Aber wir sind nun mal beide hier und ich glaube du würdest es uns beiden einfacher machen, wenn du mich nicht, wie einen deiner Feinde behandeln würdest. Denn stell dir mal vor, das bin ich nicht." Sie öffnet den Mund einen Spalt, zieht die schwarzen Augenbrauen in die Höhe und kräuselt die Nase. „Schön zu sehen, dass du auch eine Stimme hast."

Ich bin mal wieder völlig überrascht. „Ich hasse Menschen, die keine eigene Meinung haben und bis jetzt, Mädel, warst du einfach nur da, weil es Blaze wollte. Es wird Zeit, dass du erkennst, was du alles in der Hand hast. Angefangen damit, den Mund aufzumachen."

„Darum ging es dir die ganze Zeit? Deswegen hast du mich so scheiße behandelt? Weil ich still war?" Sie zuckt mit den Achseln und knackt die langen, dünnen Finger. „Ich mag wenig Menschen, das stimmt und nur weil ich jetzt mit dir rede heißt das noch lange nicht, dass ich dich mag, aber ja. Ich hab dich so scheiße behandelt, weil du still warst. Weil du andere hast über dich reden lassen, während du dabei warst. Grade als Frau musst du in dieser Welt zeigen, wozu du fähig bist. Naja, und du bringst uns alle in scheiß Gefahr, das spielt auch nh kleine Rolle." Stimmt, den Teil hätte ich beinahe vergessen. Ich schnaube auf und klemm die Hände unter die Achseln. „Ist das dann auch der Grund, warum du so gut kämpfen kannst? Um dich durchzusetzen? Dir eine Stimme zu schaffen?"

„Nenn es so wie du willst. Ich bin hier, weil ich es wollte. Weil ich mich dazu entschieden habe, nicht auf diese dummen alten Säcke zu hören. Ich wollte etwas ändern und hab mir nicht den Ring an den Finger stecken lassen. Stattdessen stehle ich viel lieber Ringe." Sie schnieft kurz und deutet dann wieder auf den Boxsack. „Und jetzt tritt diesen Sack, als würde da der stehen, der dir sagen will, was du zu tun hast." Ich schlucke das Lachen runter, gehe in Position und trete, wie es Nesrin mir zuvor gezeigt hat. „Gut, dreh den Fuß nur zur Seite, sonst knallt dein Knochen direkt auf dein Ziel."

Und mit einem Mal macht mir das Training tausend mal mehr Spaß.

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Als wir nach dem Training gemeinsam in der Wohnung ankommen, steht Blaze mit dem Telefon am Ohr und in seinem schwarzen Anzug schulterbreit vor dem riesigen Fenster. Nesrin läuft unbeeindruckt weiter. Wie oft sie ihn schon so gesehen haben mag? Oder vielleicht noch in ganz anderen Situationen? Doch ich bleibe glaube ich sogar eine Sekunde lang stehen. Selbst von hinten und in Klamotten, die nichts preisgeben sieht er aus wie ein strammer Halbgott, der in der römischen Geschichte auftauchen könnte. Ich kann ihn nicht noch länger wie eine Verrückte anstarren und dreh mich der Küche zu, in der Nesrin zwei Gläser Wasser vorbereitet.

„Nur mit dir" |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt