Kapitel 3

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„Endstation", kommt es durch die Lautsprecher im Bus. Ich kann sehen, wie der Busfahrer mich durch seinen Rückspiegel anguckt. Ich bin tatsächlich für eine kurze Weile eingeschlafen. Als ich mich im Bus umschaue, fällt mir auf, dass ich die einzige bin. Mit meinem Rucksack über den Schulter erhebe ich mich von meinem Sitz und laufe zu einer der geöffneten Türen. „Schönen Abend noch!", rufe ich dem Fahrer zu, der nur träge die Hand hebt. Sein Abend ist wahrscheinlich schon vorbei, denn wir haben schon 02 Uhr.
Hier am Ende der Stadt gibt es kaum Laternen und wenn ich meinem Vater und seinen Partnern glauben darf, sind hier nicht selten Kriminelle, Prostituierte und sogar Klan und Gang Mitglieder unterwegs. Ich weiß über diese Gangs nur, dass es drei große gibt.

Crytsal Tears, die kleinste und einflussärmste. Sie besteht aus ein paar der größten Dealern, die alle hauptsächlich mit Chrystal Meth dealen, wie der Name schon andeutet. Man hört immer mal wieder von ihnen, weil irgendein Idiot an einer Überdosis gestorben ist. Dann taucht deren Gang Name in den Zeitungen und im Fernsehen auf.

Katthaka Killers, eigentlich reicht schon Katthaka. Die sind dafür bekannt, dass sie einfach mit fast allem Geld machen. Eine Familiengang. Ein Klan. Prostitution, Drogen, Waffen, beinahe alles steht auf deren Liste. Mein Vater hat einen unglaublichen Hass auf diese Leute. Natürlich, es ist seine Aufgabe für Sicherheit zu sorgen, aber dieser Mann hat alles und jeden verfolgt und verurteilt, der nur ansatzweise mit ihnen zu tun hatte. Wirklich verübeln kann ich es ihm nicht. Aber sollte ich hier auf jemanden stoßen, der ein Katthak ist, dann ist es um so wichtiger, meine echte Identität zu verheimlichen.

Und dann gibt es noch die Snyders. Einfach nur Snyders. Sie brauchen keinen Titel, ihr Familienname reicht völlig. Sie sind die gefürchtetsten von allen und haben es geschafft in den letzten Jahren alle anderen an Macht zu übertreffen. Nur die Regierung noch nicht. Auch außerhalb der Stadt haben sie ihre Finger in Spiel. Ihr Anführer ist Victor Snyder, über den ich genauso wenig Ahnung habe, wie über seine Gang. Das interessante ist das Geheimnisvolle. So genau weiß ich nicht was bei ihnen abläuft, ob mein Vater das weiß? Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich mich von allen fern halten sollte, insbesondere von den Snyders.

All das ist sozusagen Grundwissen. Ein bisschen hab ich von den Essen mit meinem Vater aufgeschnappt, andere Informationen erzählt man sich einfach so. Auf dem Schulhof, im Internet, mit Freunden. Es ist wie Tratsch, aber in der Ecke wo ich lebe, gelebt habe, hat man sonst nicht wirklich was davon mitgekriegt. Alles ist wie ein großer Mythos. Wir hatten einmal einen Schüler auf unserer High School, der angeblich Klanmitglied war. Seit letztem Sommer kommt er nicht mehr zu Schule und die Gerüchteküche war lange heiß am kochen, bis dann irgendeine Cheerleaderin schwanger wurde und alle sich darauf gestürzt haben. Belangloses Getratsche, aber unterhaltsam. Teenager lieben es sich das Maul über andere zerreißen zu können. Und auch Erwachsene tun es, sie geben es einfach nur nicht zu.

So viel dazu, jetzt hab ich aber ganz andere Probleme. Realistische Probleme. Ich sitze nämlich auf der Straße. Soweit ich sehe, ist kein Motel in der Nähe, nicht mal ein richtig olles. Entweder sind auch deren Lichter schrott oder hier gibt es einfach keine. Muss ich meine erste Nacht in Freiheit wirklich unter freiem Himmel auf der Straße verbringen? Ich beschließe einfach los zu laufen. Dabei ziehe ich mir die Kapuze meines Pullis tief ins Gesicht. Ich will nicht gesehen geschweige denn erkannt werden. Meine Hände vergrabe ich in den Jackentaschen. Doch auch nach Fünf Minuten Laufen kommt kein Motel. Und als wäre es nicht schon alles beschissen genug, fängt es an zu regnen. Und nicht einfach irgendwelcher Nieselregen oder leichte Tropfen. Nein. Es schüttet wie aus Eimern. Meine Kleidung hält dem Wasser nicht mal Zwei Minuten stand. Und schon bin ich durchnässt und am frieren. Die Tropfen brennen tatsächlich noch leicht auf meiner Wange, wo die Wunde beim abstützen mit der Hand etwas aufgerissen sein muss. Ein leichter Schmerz, der furchtbare Erinnerungen hochholt.

„Hey, Süße." Ich komme zum Stehen, weil ich beinahe gegen einen Körper laufe. Ich hätte nach oben gucken sollen und nicht vor mich hinträumen. „Entschuldigung", murmle ich und will an ihm vorbei. Doch die Hand die sich um meinen Oberarm legt, sagt mir, dass er was anderes im Sinn hat. „Lassen Sie mich los.", zische ich so gut ich kann. „Was hast du bei dir?"
Selbst als ich nach oben in sein Gesicht gucke, erkenne ich ihn nicht wirklich. „N- Nichts", stottere ich dumm. Noch in der Sekunde, in der ich das sage, zieht er was, es macht klick und ich spüre was Hartes an meinem Bauch. „Gib mir dein Geld, Kleine und ich tue dir nichts."

Alles in mir sträubt sich dagegen mich auch nur einen Zentimeter zu bewegen, nur auch nur ein bisschen nachzugeben, aber er muss nur ein klein wenig Druck ausüben, grade genug, dass ich die Klinge durch den Stoff des Oberteils spüren kann und ich setz mich in Bewegung. Mir bleibt nichts anderes übrig. Mit zittrigen Hände greife ich nah den Schnallen meines Rucksacks und lass ihn von meinen Schultern rutschen. Meine einzige Hoffnung hier ist, dass jemand vorbei kommt, aber selbst wenn, stehen die Chancen schlecht, dass sich jemand dazu überwindet, mir zu helfen. "Schneller. Los." Mein Herz rast und Schweißtropfen bilden sich auf meiner Stirn. Ich bin keine Memme, aber ich weiß, wann es aussichtslos ist. Genau jetzt ist es das. Als ich den Rucksack in den Händen halte, ziehe ich nervös am Reisverschluss. Ich brauche ganze drei Versuche, bis er sich endlich öffnet und ich nach dem verdammten Portmonee kramen kann. Als ich es endlich gefunden habe, wird es mir auch schon aus der Hand gerissen. Ich denke, dass es jetzt vorbei ist, aber da irre ich mich. "Danke sehr.", kommt es ironisch von meinem Gegenüber und ich kann mir ein leises "Arschloch" nicht verkneifen. Im nächsten Moment kriege ich eine Faust gegen meine Lippe. Der Schlag ist so fest, dass ich zwei Schritte nach hinten taumle. Den Rucksack lass ich fallen, meine Hände schlag ich vor meinem Mund, in dem ich schon Blut schmecke zusammen. Mir steigen bei dem Schmerz sofort Tränen in die Augen. Als ich nach oben gucke, ist die Straße leer. Ich kann nur grade noch sehen, wie ein schwarzer Schatten hinter einem Haus verschwindet. Vorsichtig entferne ich meine kalten Finger von meinen Lippen und gucke bestürzt auf das rote Blut, das an ihnen klebt. Prüfend fahre ich mir mit der Zunge über die Zähne, alle da und keiner scheint zu wackeln. Nur ein sehr schwacher Trost in dieser Situation.

"Fuck.", fluche ich leise. Das Blut, was sich gesammelt hat, spucke ich gekonnt neben mir auf den Gehweg. Mein Blick fällt auf meinen offenen Rucksack, der vor mir liegt. Er hat das Portmonee natürlich nicht zurückgelassen und sich nicht nur an meinem einzigen Geld bedient, sondern an allem anderen wichtigen auch noch. Meine gut gefälschten und außerdem sehr teuren Dokumente sind mit den 500$ einfach weg. Jetzt stehe ich wirklich mit leeren Händen auf der Straße, alleine in einer der gefährlichsten Gegenden überhaupt, ohne jegliche Ahnung, wohin ich soll. Ein Handy hab ich auch nicht, wofür auch? Frustriert wische ich mir Spucke und Blut von den Lippen und Mundwinkeln, um es dann an meiner Jeans abzuschmieren. Vielleicht nicht die beste Idee, wenn man bedenkt, dass ich nur zwei Hosen insgesamt besitze. Aber wen interessiert schon eine verfickte Hose, wenn man damit kämpft die Nacht im Ganzen zu überleben?

Ich muss weiter. Hier zu verweilen bringt niemanden was, besonders nicht mir. Und Lust darauf herauszufinden, ob es hier noch mehr Diebe gibt, hab ich auch nicht. Ich schnappe mir also wieder meinen Rucksack, ziehe den Reisverschluss zu, setze ihn auf und trete den Rest meiner Reise an. Die Tränen, die mir gekommen waren, sind schon wieder getrocknet, aber mein Gesicht fühlt sich jetzt umso mehr dreckig an. Ich hasse das Gefühl des getrockneten Salzes auf der Haut. Es ist eine ständige Erinnerung daran, dass man geweint hat und warum. So war es die letzten Tage schon oft genug. Allein der Gedanke daran, sorgt wieder für dieses schmerzhafte Ziehen in meiner Brust. Ob dieser Schmerz je vergehen wird? Ich glaube es wirklich nicht.

Nach einer Weile des ziellosen Gelaufe, höre ich plötzlich Musik. Club Musik. Ich folge den Geräuschen. Zwei Straßen weiter entdecke ich den Grund für den Lärm. Ein Club. Ein Stripclub. Der erste Laden weit und breit. Und der leuchtet auch, und wie. Er sieht sogar richtig schick aus irgendwie. Vor der Tür stehen sogar zwei breite Männer in schwarzen Klamotten und einen Seitenparkplatz kann ich von hier auch erkennen. Über der Eingangstür steh in roten Leuchtbuchstaben Club 6Y.

Die einzigen Anzeichen dafür, dass es ein Stripclub ist, ist die halbnackte Frau, die in einem Fenster ganz links des großen Gebäudes tanzt. Man sieht nur ihre Silhouette und laut der, scheint es sogar so, dass sie komplett nackt ist. Ich kann nicht Unterschlupf in einen Stripclub suchen. Ich bin keine 18, zusätzlich sind die meisten Clubs eh erst ab 21, ich habe keinen Ausweis, kein Geld und einen Platz zum schlafen werde ich darin auch nicht finden. Ein dunkler Gedankenblitz schleicht sich in mein Bewusstsein. Vielleicht kein Schlafplatz, aber ein Arbeitsplatz... Nein. Ich kann nicht innerhalb von drei Stunden zur Tochter des Bürgermeisters und einer der reichsten Männer des Landes zur Stripperin werden. Nein. Aber was dann?! Was, du kleines Genie?!

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