Kapitel 55

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"Fang an zu lieben, denn das haben wir alle verdient." Dieser Satz geht nicht mehr aus meinem Kopf und läuft dort wie eine Schallplatte in Dauerschleife. Es war echt schön Mandy wiederzusehen, aber ihr Geständnis hat mich echt ein wenig stutzig gemacht. Klar wusste ich, dass das nicht ihr Traumjob ist, das ist es bei keinem so richtig, aber dass sie so denkt, hätte ich nicht gedacht. Vielleicht kommt es auch daher, dass sie immer im selben Laden tätig ist. Ich komme ja wenigstens noch etwas rum. Ich ziehe meinen Ohrstöpsel aus dem Ohr, um der Durchsage zu lauschen. Noch eine Station, dann bin ich da. Ich sitze gerade im Zug und bin auf dem Weg nach Kiel. Als ich den Kopfhörer wieder in mein Ohr befördere, wechselt gerade das Lied.

Die Melodie gefällt mir. Auch der Text fasziniert mich irgendwie. Ich schließe die Augen und konzentriere mich nur auf die Musik. Wann weiß man eigentlich ob man etwas im Leben ändern sollte? Wie findet man das heraus? Die Musik stoppt und ich wundere mich schon und will nachsehen, doch dann sehe ich, dass ich einen Anruf habe. Ist das jetzt Zufall? Der Mann, der mir in den letzten Monaten so oft meine Nerven geraubt hat, ruft mal wieder an und wird mich wieder verrückt machen. J:"Hey." C:"Hey, wie geht es dir?" J:"Eigentlich ganz gut." C:"Schön, mir eigentlich auch..." J:"Chris?" C:"Ja?" J:"Wie finde ich heraus, ob ich etwas in meinem Leben ändern sollte?" Ich höre ihn Luft holen, bevor er antwortet. C:"Also ich denke, dass findest du nur heraus, wenn du dich fragst ob du glücklich mit dir und deiner jetzigen Lebenssituation bist. Wenn das nicht so ist, läuft, denke ich, irgendwas falsch." J:"Ah..." Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. C:"Warum fragst du dich das?" J:"Ich weiß auch nicht, ich habe mich mit einer Freundin getroffen, die auch sowas ähnliches macht wie ich und die hat mir Sachen erzählt, die mich echt zum Grübeln bringen." Ich stehe auf und verlasse den Zug, da ich in Kiel angekommen bin. C:"Okay..." Warum erzähle ich ihm das eigentlich? J:"Wo bist du?" C:"Wir sind momentan in München." Toller Ablenkungsversuch Jenny. C:"Wo bist du denn?" J:"Ich bin gerade in Kiel angekommen." C:"Ah..." Das bringt doch alles nichts. J:"Sorry, aber mein nächster Termin steht an." C:"Ja, ich muss auch in die Halle und beim Umbau oder so helfen." J:"Okay, tschau." C:"Tschau." Ich verschtaue mein Handy in meiner Tasche und mache mich auf den Weg zu meinem nächsten Auftrag.
J:"Ich wünsche Ihnen auch einen schönen Tag. Auf Wiedersehen!" Puh geschafft. Ich verlasse das Hotel von meinem Kunden, indem er aktuell wohnt und auch gleichzeitig ein wichtiges Geschäftsessen hatte. Draußen sehe ich mich nach einem Taxi um. Das Auto kenne ich doch oder? Auf der anderen Straßenseite parkt ein Wagen, wo jetzt auch jemand aussteigt. J:"Svenja?" Ich überquere die Straße. S:"Hey Jenny." Ich umarme sie. J:"Woher weißt du, dass ich hier bin?" S:"Hab so meine Quellen." Ich muss kichern. S:"Ich wollte mit dir reden." J:"Was ist denn los?" S:"Wollen wir uns vielleicht da in das Cafe setzen? Hast du einen Moment Zeit?" J:"Ja, das können wir machen." Wir betreten das kleine Cafe und schnell sitzen wir auf gemütlichen Stühlen mit zwei Tassen Kaffee vor uns und für Svenja ein Stück Apfelkuchen. Ich rümpfe die Nase und mustere sie. J:"Wird das nur ein gemütliches Kaffeegrenzchen?" Sie verzieht den Mund zu einem Lächeln. S:"Es hat schon einen Grund, weshalb ich zu dir gekommen bin." Ich ziehe die Augenbrauen hoch und warte, dass sie weiter redet. S:"Du sollst nochmal den Standort wechseln." Jetzt wird es interessant. J:"Und wohin? Wieder zurück?" Sie sieht mich an, dann nimmt sie einen Schluck aus ihrer Tasse. S:"Eher nicht." Ich sehe aus dem Fenster, dann wieder zu ihr. Sie überschlägt ihre Beine und lehnt sich zurück. S:"England." Ich verschlucke mich fast an meiner eigenen Spucke. J:"England?" S:"Genauer gesagt: Manchester." Meine Augen werden immer größer und ich habe das Gefühl ich träume. J:"Aber... warum? Für immer?" S:"Eigentlich schon. Du kannst ja gucken, wie es dir gefällt." Ich kann gar nicht antworten. S:"Du würdest nochmal einen extra Arbeitsvertrag unterschreiben und wärst komplett abgesichert." J:"Kriege ich etwas Zeit zum Nachdenken?" S:"Das wird tatsächlich schwierig. Ich habe intern davon erfahren und dich auch schon dafür vorgeschlagen." Ich öffne meinen Mund, schließe ihn aber wieder. J:"Das hast du nicht wirklich getan?" S:"Wieso denn? Du bist perfekt indem was du machst und warum sollst du dann nicht so eine Chance nutzen?" J:"Ich wäre nur gerne vor allen anderen informiert worden, schließlich geht es um mich." S:"Ich habe halt einfach die Initiative ergriffen. Das eröffnet dir ganz neue Möglichkeiten. Denk doch mal, was da auch bei der Bezahlung rausspringt." Da muss ich ihr Recht geben, das ist auf jeden Fall besser als hier. S:"Ich mach dir einen Forschlag: Du fährst mal hin, guckst wie es dir gefällt und dann sehen wir weiter." Neuanfang... Raus aus allem hier... Das hört sich schon gut an. J:"Okay, so machen wir es." S:"Schön, wir müssen uns dann nur hinterher mit dem Unterschreiben des anderen Arbeitsvertrages beeilen, da die dort ziemlich zügig etwas Neues suchen." Ich nicke. England. Wahnsinn!
Sie wechselt daraufhin ziemlich schnell das Thema und wir unterhalten uns über ziemlich Belangloses. Wie ganz nebenbei kommt sie auch auf Herrn Ehrlich zu sprechen. Allerdings lässt sie nur verlauten, dass er nach dem letzten Anruf keine weiteren Unternehmungen gestartet hat. Da hat meine Ansprache wohl doch was gebracht. S:"Naja wahrscheinlich hat er jetzt jemand anderen gefunden, bei dem er seinen Charm und alles andere versprühen kann." Warum stimmt mich ihre Aussage jetzt etwas missmutig? J:"Wir haben es doch schon öfter erlebt, dass Kunden abgesprungen sind. So ist halt das Geschäft." S:"Natürlich, klar.", dabei macht sie eine überschwängliche Handbewegung. S:"Ist vielleicht auch besser so." J:"Wie dem auch sei, ich muss jetzt weiter zum nächsten Termin." S:"Okay, ich muss auch weiter." Ich ziehe mein Portmonaie aus der Tasche und öffne es. S:"Ist schon gut, ich lade dich ein." Ich lächle. J:"Vielen Dank." Wir verlassen das Cafe, verabschieden uns voneinander und ich steige ins nächste Taxi. Sie steigt in ihr Auto und fährt davon. Meine Gedanken drehen sich und ich stecke mir mal wieder meine Kopfhörer in die Ohren und hoffe das die Musik es schafft mich zu beruhigen und mein Gedankenkarussell anzuhalten.

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