Alles hat einen Anfang, sogar das Ende---
Als Elisabeth, James' Frau, durch einen Vulkanausbruch stirbt, ist er am Boden zerstört. Doch schon kurz danach erfährt er, dass Lord Fernsby von der drohenden Gefahr Bescheid wusste. Es kommt zum Streit und...
ich sitze jetzt im Zug nach Lenham im Südosten Englands. Es ist eine lange Geschichte, wie es soweit kommen konnte. Neben mir sitzt Mister Edevan, welcher schon seit einer ganzen Stunde starr einen Punkt auf der gegenüberliegenden Wand anstarrt, ohne einen Menschen zu bemerken. Er scheint nichts um sich herum zu bemerken. Dass ich jetzt auf ihn aufpassen muss, ist zwar nervig, aber leider unabdingbar.
Alles fing an, als ich zu den Edevans zu Besuch kam. Es war ein ganz normaler Frühlingstag und ich lief seelenruhig über die ausgetretenen Wege mit den Blumen am Wegesrand. Die Sonne schien hinter den Federwolken hervor und es waren noch zwei Stunden Zeit, bis ich zur Arbeit musste. Ich hatte Misses Edevan schon Wochen nicht mehr gesehen; die alte Heimat schien ihr nicht zu bekommen. Manchmal wirkte es, als wäre sie wieder eine junge Dame, welche über die Wiesen tollen konnte, wie sie nur wollte und manchmal, als wäre sie nicht wirklich da. Beinahe wie ihr Mann gerade. Beinahe, so wie du an schlechten Tagen gewesen warst. So als wäre die ganze Welt untergangen und es gäbe nichts, was man nur tun konnte. Du kannst mir glauben, wenn ich sage, dass es damals nichts gegeben hat, was ich mehr gehasst habe. Aber sie war nicht du und sie würde es niemals sein.
Mister Edevans Haus steht am Ende des Weges, fast eine halbe Meile weg von den anderen Häusern, ich verstehe nicht, wieso. Wahrscheinlich das einzige Haus im der näheren Umgebung, das weder grau noch klein ist, nein, es ist etwas größer und weiß. Eine alte Fabrik, wie ich vermuten würde. Vielleicht die Fabrik seines Vaters.
Plötzlich sah ich Mister Edevan auf das Haus zu rennen, ohne mir noch etwas zu denken, und erst als ich um die Ecke kam, erblickte ich das volle Bild. Mrs Edevan, auf dem Dach, in ihrem besten Kleid und bereit zum Sprung. Diese Ausdruckslosigkeit in ihren Augen, einfach nur erschreckend. Entschlossenheit und doch Angst in einem. Es jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken.
Mister Edevan rannte die Treppen hinauf, so schnell er nur konnte. Auch ich begann, schneller zu laufen. Sie sollte nicht springen! Sie durfte nicht springen! Es würde Edevan das Herz brechen, das wusste ich. Beinahe war ich beim Haus angekommen. Doch es war zu spät. Mrs Edevan sprang und stürzte die sieben Stockwerke des ehemaligen Fabrikgebäudes hinunter. Ein Schrei, ein dumpfer Lärm und Stille. Es war vorbei.
Kurz schloss ich die Augen und zuckte zusammen. Wieso musste sie es ausgerechnet jetzt tun? Wieso überhaupt? Wieso nur? Vor meinem inneren Augen sah ich sie immer und immer wieder fallen. Ich konnte es nicht fassen. Natürlich, ich hatte sie noch nie gemocht, aber das ...
Ohne dass ich bemerkte, wie er die Treppen hinunter kam, war Edevan neben mich getreten. Nur wenige Meter vor uns ihre Körper, seltsam verzerrt und blutend. Genauer möchte ich hier darauf nicht eingehen, es ist nicht wirklich etwas, das man in einem Brief detailliert beschrieben sollte. Wenn du eine weitere Worte dazu möchtest, kann ich nur sagen, es war grauenhaft und entsetzlich. Ich hatte so vieles in meinem Leben erlebt, doch der Sprung und alles drehte mir dennoch den Magen um. Sie hatte nur einen einzigen Schritt getan und doch hatte sie damit alles wieder durcheinandergewirbelt.
Edevan ging ein Stück nach vorne und ließ sich auf die Knie sinken. "Nein", flüsterte er ungläubig. "Steh auf, Theodora, bitte. Ich flehe dich an, steh auf. Theodora ..." Erst streichelte er sanft ihre Wange, dann rüttelte er an ihrer Hand. Tränen liefen ihm über die Wangen.
Ich ließ mich neben ihn sinken. Ich wünschte mir in diesem Augenblick, ich könnte etwas tun, doch das konnte ich nicht. Ich hockte einfach nur da, während er in Tränen versank, bettelte, schrie und letztendlich auch um sich schlug. Nach Stunden waren die Tränen versiegt und die Worte verschwunden. So, als wäre auch er mit Theodora Edevan fortgegangen. Grauenhaft.
Lange Zeit wird Edevan diesen Ort wohl nicht betreten können, denke ich. Also fahren wir jetzt nach Winchester, um einfach den Ort zu verlassen. Irgendwo da sollte ein kleines Ferienhäuschen stehen, in welchem man wohnen kann. Eigentlich schade, denn es gefiel mir sehr in Newcastle. Doch ich konnte nicht so herzlos sein und ihn alleine wegschicken.
Zudem waren wir heute am Nachmittag kurz vor der Abfahrt bei der Polizei, um den Ablauf zu protokolieren. Man könnte sagen, dass der Inspektor der Gegend eindeutig etwas gegen Reiche hat, was man durchaus verstehen kann. Aber dass er so tat, als hätte Edevan seine Frau ermordet, war unerhört. Ich jedoch hatte keine Zeit, mich in einen meiner Wutanfälle hineinzusteigern. Vermutlich hätte es alles nur verschlimmert.
Wie soll ich mich jetzt um Edevan kümmern? Ich bin wirklich nicht der verantwortungsbewussteste Mensch und es macht mir schon genug Mühe, auf mich selbst aufzupassen. Aber wenn ich ihn nur einen Moment aus den Augen lasse, weiß ich nicht. was geschieht, nicht nur, dass er überall gegenläuft. Grauenhaft, dieser eine Nachmittag. Wäre ich bloß nie gekommen. Wäre ich ihm bloß niemals begegnet ...
Jetzt heiße ich ganz offiziell James Edevan, was jeder geglaubt hat. Der Zug hält. Mehr schreiben kann ich nun nicht.
Auf Wiedersehen.
Auf ewig
Dein
James"
James blickte ein letztes Mal aus dem Zugfenster und seufzte. Schnell packte seinen Koffer am Henkel und stand auf.
"Mister Edevan, wachen Sie auf!" James' Stimme war kalt, als hätte ihn alles nicht annähernd gestört, doch auch wenn ihn die Verantwortung nervte, so nahm ihn auf Edevans Zustand mit. Er wünschte sich zum ersten Mal seit langer Zeit, wirklich etwas für jemanden tun zu können, doch er war machtlos. Hoffnungslosigkeit und Wut über all die schlechten Wendungen erfüllten ihn. Er hasste alles. Er hasste jeden. Und letztendlich hasste er auch sich selbst.
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