Liebe Elisabeth,
heute schreiben wir den 13.12. Auch wenn du dich vermutlich nicht einmal erinnerst, es ist ein Tag nach meinem Geburtstag.
Mittlerweile kann ich mir wirklich sicher sein, mich in Newcastle eingelebt zu haben, wo doch elf Leute erschienen sind. Ich weiß nicht, woher sie es wussten, doch gefreut habe ich mich. Selbst wenn ich weiß, dass ich niemanden davon zu meinen Freunden zählen kann.
Seit zwei Jahren habe ich nicht mehr Geburtstag gefeiert, vermutlich nur deshalb, weil es nichts Gutes daran gab. Es ist zwar immer noch seltsam, ohne dich zu feiern, aber Fred hat sich wirklich viel Mühe gegeben.
Das gesamte Kollegium war da und irgendwie war es so, als würde wirklich ein Teil von mir an Newcastle hängen. Diese Stadt ist trotz aller meiner Erwartungen und der gefundenen Unterschiede fast wie unser kleines Dorf. Ein Zuhause.
Und ich denke auch, Fred hält mich für einen seiner wenigen Freunde hier, auch wenn ich nicht sicher sein kann, ob ich das von derselben Seite sehe. Natürlich, er und seine Familie sind sehr sympathisch und die Kinder sind sehr höflich und gut erzogen. Aber ich glaube nicht, dass es gut wäre, wenn ich mich hier eingewöhne und Freunde finde. Schließlich werde ich mit Sicherheit niemals hier bleiben. Nicht in hier, nicht in England und sicherlich werde ich sowieso nur jeden enttäuschen, auch wenn sich alle noch so große Mühe geben.
Newcastle mag wunderschön sein, ein Ort, welcher dir bestimmt auch gefallen hätte, aber ich darf mich nicht einfach zu sehr daran gewöhnen. Nicht jetzt. Nicht ich. Und Fred erinnert einfach zu sehr an Edevan, auch wenn sie noch so verschieden sein mögen.
Jeden Tag sehe ich Veronica im Fenster gegenüber. Immer Veronica, welche die Straße wechselt, wenn ich komme. Und ich kann es ihr noch nicht einmal übelnehmen. Wie viel einfacher war es, als ich einfach nur überheblich war und eine schlechte Meinung von allen Menschen hatte? Wie viel einfacher war es, als ich noch die gesamte Welt hasste? Wie viel einfacher war alles, als ich meine Angst, meine Nervosität und meine Gedanken hinter meinem sinnlosen, verletzenden Gerede versteckt habe? Muss das Leben etwa immer so kompliziert sein? Muss jede Entscheidung so schwer fallen? Und wieso, wieso erinnert mich alles was ich mache an mein ehemaliges Leben? Es ist vorbei!
Früher hättest du mir sicherlich jede einzelne meiner Fragen beantwortet, du warst immer da, wenn ich Rat brauchte. So wie ich dich in allen deinen Entscheidungen von Herzen unterstützt habe. Doch wen soll ich nun fragen? Wo doch niemand da ist, welcher mir zuhören würde.
Natürlich, Fred und auch die anderen vom Kollegium, welche mich vermutlich zu ihren Freunden zählen, sind sehr nett und zuverlässig, wenn es um Alltägliches geht. Man kann mit ihnen stundenlang reden, aber ich kann ihnen nach so langer Zeit nicht einmal verraten, wer ich bin. Nein, Edevan konnte ich vertrauen und selbst Dorothee konnte man viel erzählen, auch wenn man nicht gerade auf ihre Verschwiegenheit zählen konnte. Aber meinen Kollegen konnte ich nicht vertrauen, ich weiß auch nicht, wieso.
Ich würde sogar annehmen, dass ich Veronica hätte vertrauen können. Sie hätte niemals gesprochen, es wundert mich bis jetzt, wieso sie nicht einfach aufsteht und zur Polizei läuft. Sie hasst mich immerhin nicht, weil ich ein Mörder bin, sondern nur aufgrund der Tatsache, dass ich gelogen habe, etwas, was ich mir in letzter Zeit leider zu sehr gewöhnt habe.
Lügen. Mein gesamtes Leben seit deinem Tod war darin aufgebaut. Nur der Haken an allem hier ist, dass diese Lügenmauer langsam bröckelt. Und wenn alle Lügen niederfallen und in der Woge der Wahrheit untergehen, weiß ich wirklich nicht mehr, was ich tun soll.
So viele Fragen und keine einzige Antwort. Doch vielleicht, ich erhoffe es sehr, wirst du sie mir eines Tages nennen können.
Auf immer und ewig,
Dein
James"
Weinend kippte sein Kopf auf das schon durchnässte und zerknüllte Stück Papier. Er weinte fast nie, außer wenn wirklich etwas Schlimmes geschah. Im Moment war alles gut, oberflächlich gesehen.
Doch die Tatsache, dass niemand mehr an seiner Seite stand, brachte schon langsam seine Schutzmauer aus Lügen zum Brechen. Wie gern würde er allen einfach nur die Wahrheit erzählen, aber er wusste einfach nicht, was dann geschehen sollte. Weiter in die Lügen hinein ging es nicht, denn dort führten immer alle Wege zu Ende. Doch..
Er hob den Kopf. Ein Gedanke kam ihm in dieser Verzweiflung durch den Kopf. Vielleicht war er nicht so allein, wie er dachte...
Es ist einfach, die Wahrheit zu erzählen, doch schwer, sich den Folgen entgegenzustellen---
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Remember and forget
Mystery / ThrillerAlles hat einen Anfang, sogar das Ende--- Als Elisabeth, James' Frau, durch einen Vulkanausbruch stirbt, ist er am Boden zerstört. Doch schon kurz danach erfährt er, dass Lord Fernsby von der drohenden Gefahr Bescheid wusste. Es kommt zum Streit und...