"Liebe Elisabeth,
heute ist sehr viel geschehen. Ich hoffe, du warst nicht zu beunruhigt, aber ich hatte viel zu tun. Es tut mir leid, falls meine Schrift schlecht zu lesen ist, aber meine Hände sind fast eingefroren.
Pembroke ist wohl immer noch der Ort der größten Ereignisse. Der Ort, an welchem die Welt ihren Mittelpunkt hat, jedenfalls für mich.
Es war neun Uhr, als ich hinausging. Draußen waren Minusgrade, mein Atem fror fast ein und außer mir waren nur wenige Leute draußen. Aber was hätten Menschen auch auf den Straßen gewollt? Es ist Samstag, zwei Tage vor Weihnachten und viele würden sich bei diesen Temperaturen nicht auf die Straße wagen, nur um letzte Einkäufe zu machen.
Ich lief ziellos durch die engen Gassen. Mittlerweile freue ich mich, dass ich in Pembroke immer nur im Sommer und Herbst war, wenn die kleinen Lücken zwischen den Häusern von Schnee und Eis gefüllt sind und man nirgendwo laufen kann.
Die meisten Familien saßen vermutlich gemütlich beim Essen oder verbracht einen schönen Tag zusammen in ihren warmen Haus vor dem Kamin. Nur Menschen, welche fast genauso aussehen wie ich, als ich hier das erste Mal ankam, laufen hier herum. Obdachlose ohne Arbeit, wie ich vermute.
Viele fragende und auch ungläubige Blicke trafen mich. Was wohl so ein Schnösel wie ich auf den Straßen einer so heruntergekommenen Gegend zu suchen hatte, konnte ich daraus lesen.
Ich stopfte meine Hände tief in die Taschen und zog meine Schultern höher. Mein Hut verrutschte etwas, sodass die Kälte auch darunter kroch. Ich musste durch knietiefen Schnee stampfen, welcher meine Schuhe und Hose vollkommen durchnässte. Doch nach all den Jahren mit der Kälte in meinem Herzens machte es mir weniger aus, als es sollte.
Winter. Während ich mich das nächste Stück Straße entlangquälte, musste ich wieder an meinen Zusammenbruch im Winter vor zwei Jahren denken. Wenn ich länger nachdenke, glaube ich, es war genau zwei Jahre her. Zwei Jahre, in denen sich alles so sehr verändert hat. Nein, in dieser Zeit hatte sich nichts außer mir verändert. Und dennoch fühlte es sich wie alles an.
Kurz stolperte ich und wurde aus meinen traurigen Gedanken gerissen. Urplötzlich fiel mir ein, wo Darcy sein würde. Wieso war ich nicht längst darauf gekommen? Zielstrebig begann ich zu laufen, teilweise zu rennen. Schneller und schneller, bis ich fast da war. Wenigstens war mir jetzt nicht mehr kalt, etwas Positives immerhin.
Und da war Darcy, so wie ich vermutet hatte. Er hatte seine Jacke eng um sich geschlungen und kauert auf dem eisigen Boden inmitten von Schnee. Ich hätte nie gedacht, dass ich ihm jemals so begegnen würde. Der reiche und immer so gepflegte Geschäftsmann. Das perfekte Vorbild. Und doch ein einsamer Mensch.
Von der Seite blickte ich auf Darcy nieder. Sollte ich ihn ansprechen oder sollte ich gehen? Es war ihm anzumerken, wie sehr ihm das Wetter zu schaffen machte. Doch auch er selbst schien unglaublich traurig zu sein. Zitternd umklammerte er seine Jacke, als sei es das Letzte, was ihm noch geblieben war. Vielleicht war es auch in diesem Moment so.
Seine erstarrten Züge blickten einfach zu Boden. Vermutlich hatte er einfach schon viel zu lange dorthin gesehen und nachgedacht. Vielleicht über ein tragisches Zitat, welches perfekt zu seinem Leben passte. Vielleicht aber auch über das Leben an sich.
Wenigstens zu Weihnachten sollte ich mich mit den Leuten versöhnen, auch wenn ich sonst mehr aus Streit anlegte. Immerhin etwas. Für ihn.
„Darcy?", mir fiel einfach nichts Besseres ein. Was sollte ich auch jemandem sagen, welcher mich vor einer Verurteilung als Mörder geschützt und dessen Tagebuch ich dann aus Lust und Laune durchgeblättert hat und alles ins Lächerliche gezogen habe? Mir fiel nichts ein.
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Remember and forget
Mistero / ThrillerAlles hat einen Anfang, sogar das Ende--- Als Elisabeth, James' Frau, durch einen Vulkanausbruch stirbt, ist er am Boden zerstört. Doch schon kurz danach erfährt er, dass Lord Fernsby von der drohenden Gefahr Bescheid wusste. Es kommt zum Streit und...