"Liebe Elisabeth,
heute war der Tag von Theodoras Beerdigung und ich verstehe, wieso ich keine Beerdigungen mag, auch wenn ich zuvor nie auf einer gewesen bin und alles darüber aus Erzählungen von anderen weiß. Für dich war keine nötig gewesen. Du hättest es sowieso nicht gewollt, wenn alle Verwandten mit falschen Tränen vor einem Grabstein stehen würden, nur unnütze Worte aussprechend. Dein Leben war mehr wert gewesen, als sich in einigen Stunden verabschieden zu müssen. So wirst du wenigstens ewig leben.
Die Beerdigung war grausig, da alle Teilnehmer am Weinen waren, der Priester, die Sargträger und ich einmal ausgenommen. Außerdem gab es nur wenige Gäste dort, besser gesagt nur Darcy und mich. Viel mehr Besucher wären aber auch maßlos übertrieben, denn wenn man einen Menschen, welcher lebt, nicht mag, kann man ihn meiner Meinung auch nicht nach dem Tode feiern. Und außer Edevan hat sie keiner richtig gemocht. Es mag vielleicht kalt und gefühlslos klingen, wenn ich das sage, aber ich meine es auch so. Und kalt und gefühllos bin sowieso, was sollte schon dabei sein?
Also, ich bin wohl wieder vom Thema abgekommen, so wie immer, wenn ich dir schreibe. Wir waren allesamt in unsere feinsten schwarzen Anzüge gekleidet und taten möglichst bedrückt über den Todesfall. Darcy schien wirklich traurig zu sein, denn seine Tränen schienen nicht zu versiegen. Verübeln kann man es ihm jedoch nicht, immerhin musste er mit dieser Frau mehr als zehn Jahre verbringen.
Feierlich schritt die kleine Prozession bis zum Grab. Mit feierlich schritt, meine ich, feierlich stolperte die kleine Prozession, da immer irgendjemand stehenblieb. Eine übermäßig traurige Melodie erklang passend dazu aus dem Grammophon, das etwas abseits im Gras stand. Die vier Sargträger brachten den Sarg zum Grab und ließen ihn herunter, dann gingen sie auch schon. Vielleicht wären sie länger geblieben, hätten nicht genau in diesem Moment die Wolken ihre Schleusen geöffnet.
Wie gerne wäre ich ebenfalls gegangen, doch das wäre Darcy gegenüber nicht fair gewesen. Zudem wäre es nicht von Vorteil gewesen, so aufgelöst, wie er währenddessen gewirkt hatte. Tränen flossen an ihm während der kurzen Grabrede des Priesters herunter und er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Hätte ich meinen restlichen Glauben nicht über all die Jahre verloren, so hätte ich gebetet, dass er nicht dort zusammenbrechen sollte. Doch so hoffte ich nur und hielt ihn so gut am Arm fest, wie es mir nur möglich war.
Als alles endlich vorbei war, machten wir uns ohne Umschweife auf den Weg nach Hause. Gefragt habe ich ihn dabei nicht, doch viel länger hätte ich ihn nicht halten können. Es ist mir immer noch ein Rätsel, wie Darcy in der angebrochenen Dunkelheit im strömenden Regen nicht sämtliche Laternen mitnahm, welche seinen Weg kreuzten. Und trotz einiger Unfälle zwischendrin erreichten wir halbwegs heil das Haus. Ohne ein weiteres Wort stellte ich ihn in seinem Zimmer ab und begab mich in meins. Was er dann tat, weiß ich nicht und um ehrlich zu sein, es interessierte mich auch herzlich wenig. Ich hatte genug getan und mehr konnte er nicht erwarten.
Sicherlich hätte er von mir ehrliche Anteilnahme erhofft. Aber wer war Mrs Edevan schon, dass man über sie weinen konnte? Ein Nichts, ein Niemand. Jede einzelne Träne, welche man für sie vergoss, war hoffnungslos verschwendet. Ein Leben wurde heute beweint, welches nicht einmal ein Leben war. Ich finde nicht einmal die richtigen Worte, um diese Sinnlosigkeit zu unterstreichen.
Ich entschuldige mich für den kurzen Brief und schreibe morgen einen längeren.
Dein
James"
Voller Hass und Verzweiflung saß er in seinem Zimmer in Lenham. Er tat, als würde er Darcys Benehmen aufs Übelste verurteilen, da es von außen betrachtet nur lächerlich wirkte. Er tat, als wäre er allen Menschen und allen Gefühlen überlegen und ignorierte dabei das, was sich wirklich in ihm abspielte. Eigentlich hätte er schreiben können, wie sehr er sich wünschte, es wäre nichts geschehen, nicht nur wegen all dem Ärger. Eigentlich hätte er beschreiben können, wie sehr er den Schmerz von Darcy nachvollziehen konnte und tief in seinem Herzen mit ihm litt. Eigentlich hätte er allem sagen können, was ihm alles bedeutete, anstatt darüber zu grinsen oder nur den Kopf zu schütteln. Eigentlich ... eigentlich wollte er nicht so herzlos sein und lügen, doch er tat es. Es war so, weil es ihm leicht fiel. Und über all die Lügen hinweg bemerkte er nicht, wie schwer er nun zu ertragen war.
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Remember and forget
Misterio / SuspensoAlles hat einen Anfang, sogar das Ende--- Als Elisabeth, James' Frau, durch einen Vulkanausbruch stirbt, ist er am Boden zerstört. Doch schon kurz danach erfährt er, dass Lord Fernsby von der drohenden Gefahr Bescheid wusste. Es kommt zum Streit und...