siebenundvierzigster Brief I Nah dem Ende

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"Liebste Elisabeth,

wie geht es dir? Ich weiß, du antwortest zwar nicht, aber könntest du dir wirklich vorstellen, dass es in einem Zimmer kälter sein kann als draußen? Es ist aber so. 

Falls du dich fragst, wo ich bin, nehme ich dir nun dieses Rätseln ab. In einem eiskalten Zimmer in Pembroke. Zu erwähnen wäre -vielleicht auch, dass dieses Zimmer eine Stahltür und Gitterfenster hat. Aber das zählt nur ganz am Rande, schließlich sollte man nie zu pessimistisch sein. 

Meine lieben Universitätskollegen teilen sich die Aufsicht. Einen Mörder wie mich sollte man schließlich im Kreise seiner Bekannten hinrichten lassen. Die Polizei wusste vermutlich von dieser Aktion, doch bei einer Ermittlung würde die Chance bestehen, das alles als Unfall angesehen werden würde. Wahr, aber leider nicht die Antwort, welche hier erhofft wird. 

Alles in allem klingt mein Brief vielleicht etwas nüchtern, nicht so sentimental, wie er sein sollte. Doch Tränen oder gar Zittern darf ich ihnen nicht zeigen. Nicht den Menschen, in welche ich all mein Vertrauen gesetzt habe und welche letztendlich mich an den Galgen hängen wollen. Vielleicht wird es zwar nicht der Galgen sein, sondern etwas anderes, aber das ist unwichtig. 

Wahrscheinlich fragst du dich, wie ich so ruhig bleiben kann. Doch Überzeugung spielt dabei die größte Rolle. Auch wenn es natürlich schmerzhaft ist, wie mich die Menschen hier behandeln. Kein Essen, keine Decken und Beleidigungen, wo es nur geht. So als wären sie die Herrscher der Welt. England war in dieser Hinsicht um einiges schöner, auch wenn das hier wohl meine Heimat sein sollte. 

 Gedanklich habe ich mich schon von dieser Welt verabschiedet - immerhin kann ich dich jetzt wiedersehen. Bald gibt es keine Briefe mehr, welche ich in aller Eile schreibe oder Fragen, welche mich stundenlang beschäftigen. Bald gibt es keinen Zweifel mehr. Bald gibt es nichts mehr. 

Wenigstens hat die Jagd nun ein Ende - denn auch wenn die Polizei bei dieser Angelegenheit noch zur Seite schauen wird, so würden noch mehr Tote Aufmerksamkeit erregen. Darcy und Veronica sind nun in Sicherheit. Ich hoffe nur, dass sie erst spät von meinem Tod erfahren. Am Besten wäre natürlich, wenn ich einfach verschwinden würde. 

Entschuldige diesen kurzen Brief, doch ich will nicht wieder in Verzweiflung absinken. Zusammenzubrechen und um Gnade zu flehen wäre das Beste, was ich ihnen tun könnte. Es wäre, als würde ich ihnen das Recht erteilen, sich so zu benehmen. Doch das hatten sie nicht. Und lieber sterbe ich stolz, als diesen Idioten zuzustimmen. 

Vielleicht sehen wir uns bald wieder.

In ewiger Liebe

Dein

James"

Eine einzelne Träne ran ihm über die Wange, auch wenn er sie mit aller Kraft zu unterdrücken versuchte. Hätte er jetzt gesprochen, so hätte seine Stimme gezittert. Doch er saß nur da, die Knie angewinkelt und die Arme verschränkt, während er mit einer Hand seinen Brief zusammenknüllte und achtlos in die kleine Schachtel warf. Die Schatulle mit seinen und Elisabeths Brief war alles, was ihm noch geblieben war. Denn wie es schien, würde er selbst sein Leben bald verlieren. 

Nach dem Ende scheint das Leben manchmal wichtiger zu sein als der Tod--- 

Remember and forgetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt