"Liebste Elisabeth,
mir scheint es, als würde es hier in Winchester nie ruhig werden.
Es fing vor wenigen Tagen an, als ein geheimnisvoller Mann hinter dem Haus stand. Er kam mir auf welche Art auch immer bekannt vor, aber ich konnte mich nicht erinnern, wer er war. Dabei trug er einen langen braunen Mantel mit tiefer Kapuze, was man hier selten sieht. Kaum etwas des Gesichtes war zu erkennen, bis auf die eigefallenen Wangen. Er schien mir abgemagert bis auf die Knochen und hatte einen stechend bösen Blick. Zuerst dachte ich mir nichts dabei, sicherlich war er nur ein Bettler, war meine Vermutung. Doch mit dieser Begegnung begann erst alles. Tote Hunde und Katzen vor unserer Tür, Hassbriefe unter meinem Namen an die Nachbarn, Zerschlagene Fenster und zahlreiche Einbrüche ohne einen einzigen Diebstahl. Einfach grauenhaft.
Die Nachbarn fangen an mich zu meiden, es ist kein gutes Omen derart gehasst zu werden. Doch was soll ich dagegen tun können? Er ist wie ein Geist, lässt sich nicht fangen und hinterlässt keine Spuren, welche auf ihn deuten. Es ist fast, als gäbe es ihn gar nicht oder als wäre er nur meine Einbildung. Doch das kann nicht sein, oder?
Ich frage mich wirklich, wer er ist. Ahnst du es schon? Soweit ich weiß, warst du immer gut im Raten, wie auch in so vielem, meine liebe Elisabeth.
Er verfolgt mich auf Schritt und Tritt, doch wenn ich ihn verfolge, ist er meist nach kurzer Zeit verschwunden. Ich muss es irgendwie schaffen, ihn hereinzulegen! Wenn er ein Spiel spielen will, dann hat er den Falschen erwischt. Gestern hatte er einen Ring verloren, welcher erst keine Bedeutung zu haben schien. Schwerlich konnte ich damit zur Polizei, immerhin hatte ich ihn verfolgt, als er ihn verlor. G. Gilbert, wer könnte das nur sein? Das werde ich noch herausfinden. Leider gibt es zu viele, welche so heißen. Wenn ich nur wüsste, wo ich ihm schon begegnet bin!
Letztens hat er sogar die gesamte Wand zertrümmert, sodass es hereinregnete. Nun steht das Haus unter Wasser, was ich nicht gerade als lobenswert empfinde. So wie er aussieht, sollte er auf der Straße liegen und betteln und nicht herumrennen und anderer Leute Häuser zertrümmern, dieser Rüppel. Bettler haben diese Welt schlichtweg nicht verdient.
Ich weiß, du wärst nie mit meiner Wortwahl einverstanden, doch dann hättest du nicht gehen sollen. Dann hättest du bei mir bleiben müssen! Elisabeth, wieso bist du bloß fort? Es ist besser zu glauben, du wärst nicht weg. Denn ohne dich ist kein Mensch mehr etwas wert. Niemand!
Du bist die Sonne in unserer Galaxie, meine Liebe. Und du wirst immer leuchten, egal, wer dich auch zu zerstören versucht. Du bist alles in der Welt und ohne dich gibt es nichts mehr. Deine Worte sind in mein nun auf ewig versteinertes Herz gemeißelt.
Ich weiß, wie viel ich dir bedeutete. Sonst hättest du nicht auf all das verzichtet, was deine Familie dir bei einer 'guten' Hochzeit hätte geben können. Sonst hättest du dich auch nicht in Armut gestürzt, nur um mir die Chance für eine Karriere zu geben. Du hast alles für mich getan und ich hoffe du weißt, dass dies auf Gegenseitigkeit beruht. Ich konnte dir zwar nie Materielles zurückgeben, doch ich wünsche mir, dass mein Herz dir genug war. Du warst immer so wunderbar zu mir, selbst wenn ich nicht viel geben konnte außer meiner Liebe. Und doch hast du durch mich erst dein Vermögen und deine Familie und später auch dein Leben verloren. Ich wünsche mir so sehr, ich hätte dich beschützen können. Nein, ich hätte etwas tun sollen. Tun müssen! Wieso? Wieso habe ich nichts getan? Wieso konnte ich dir nie das Leben bieten, welches du ohne mich gehabt hättest?
Weißt du, mehrere Jahre lang habe ich diese Gefühle verdrängt. Diese simplen Worte, welche ich hätte sagen sollen. Selbst als du dich von der Gesellschaft fortgedrängt gefühlt hast. Alles war meine Schuld! Nirgendwo gab es mehr einen Platz für dich, außer in meinem Herzen. Ich wünsche mir so sehr, dass du das gewusst hast.
Liebste Elisabeth, nur die Erinnerung an dich hält mich am Leben und niemand wird deiner gerecht werden. Niemand hat soviel Recht auf das Leben wie du und doch bist du nun fort. Somit ist niemandes Leben mehr als einen Penny wert. Niemandes Leben.
Ich liebe dich.
Für immer
Dein
James"
James legte den Brief auf den einzigen Tisch, welcher im Raum noch stand. Trümmer über Trümmer um ihn herum. Und genauso zertrümmert sein Herz.
Dennoch vergaß er etwas Wichtiges - denn zwar war seine Frau, Elisabeth, der wichtigste Mensch in seinem Leben, schon fort, doch es gab noch andere. Und gerade jetzt schien es so, als würde er diese von sich wegstoßen, nur weil er die Vergangenheit nicht akzeptieren wollte. Liebe hatte sich in Hass verwandelt und Vernunft in Wahnsinn. Er konnte sie nicht loslassen, so sehr er es auch wollte und seinen Schmerz verdrängte er mit Wut.
Manchmal bringt es nichts, Vergangenem nachzutrauern, wenn die Zukunft an der Tür klopft---
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Remember and forget
Mystery / ThrillerAlles hat einen Anfang, sogar das Ende--- Als Elisabeth, James' Frau, durch einen Vulkanausbruch stirbt, ist er am Boden zerstört. Doch schon kurz danach erfährt er, dass Lord Fernsby von der drohenden Gefahr Bescheid wusste. Es kommt zum Streit und...