sechzehnter Brief I Alte Zeiten

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"Liebe Elisabeth,

diesmal schreibe ich dir aus Lenham und ziemlich in Eile. Dennoch wird dieser Brief mit Sicherheit länger als die anderen zuvor, vermutlich, weil ich viel mehr zu erzählen habe, obwohl mein Briefpapier mir langsam ausgeht. Außerdem werde ich lange nicht mehr viel Zeit haben, also schreibe ich lieber jetzt, als dich zu lange warten zu lassen. 

Viel war geschehen und wir waren beinahe angekommen, als er sein schon einem Tag währendes Schweigen brach. Er war immer noch völlig außer sich, aber wenigstens fähig zu reden, auch wenn ich ihn dort lieber stillsitzend gesehen hätte, bei seinem Zustand. Er war so bleich, wie man nur sein konnte und sein Blick wirkte auf mich, als läge dieser in einer vollkommen anderen Welt und nicht hier. 

Wir waren gerade auf dem Weg ins Stadtinnere, als Mister Edevan mit brüchiger Stimme anfing zu sprechen. 

"Tut mir leid, wenn ich Ihnen Probleme bereitet habe." Seine Stimme klang kratzig und monoton. 

"Durchaus nicht." Mein Ton war so kalt wie immer. Was erwartete er auch? Was sollte ich denn tun? Ja, er hatte mich Probleme bereitet, so wenig er auch dafür konnte. 

"Es tut mir leid, James, wirklich. Es hätte nicht so kommen sollen, so kommen dürfen." Zum Ende hin war er wieder ins Weinerliche abgerutscht. 

Wut stieg in mir auf. Auf wen oder was ich wütend war, wusste ich nicht einmal, ich war es einfach. "Lassen Sie es, Edevan." 

"Wirklich, ich hätte nicht so sehr meine Kontrolle verlieren dürfen. Sicherlich werden Sie es aber verstehen könne, ich meine, Theodora hat mir wirklich viel bedeutet ..." 

"Was meinen Sie damit?", fragte ich mit bedrohlicher Stimme nach. Mein Körper verspannte sich. Was wollte er mir nur damit mitteilen? 

"Nun, Sie waren auch einmal verheiratet ..." 

"Erstens geht Sie das nicht im Geringsten etwas an und zweitens ist ... war Elisabeth niemals so seltsam wie Ihre Frau." Ich war stehen geblieben und funkelte ihn wütend an. Ich hatte die Hände in die Hüften gestemmt und konnte mich kaum zusammenreißen, nicht beleidigend zu werden. 

"Ich finde die Wortwahl ein wenig unpassend, James." 

"Ich finde sie vollkommen korrekt, oder wie wollen sie ihr Verhalten sonst bezeichnen? Normale Menschen springen nicht von Häusern, sondern wohnen darin." 

"Sie hatte schon ihre Gründe, weshalb ein solches Verhalten zu Tage trat." Er war einen Schritt nach hinten gewichen, als hätte er plötzlich Angst vor mir bekommen. Ich lachte nur höhnisch, obwohl ich ganz genau wusste, dass ich es nicht sollte. 

"Ach, dann erklären Sie es doch einmal. Erklären Sie mir doch, wieso sie es für normal empfinden, von Hausdächern zu springen. Na los, erzählen Sie schon, Sie können doch so gut reden." Immer mehr war ich ins Sarkastische hineingeraten und hatte begonnen, wirklich gemein zu sein. Es war, als hätte sich eine Schaltung in mir umgelegt und als ob ich keine Kontrolle mehr über meine Worte hätte. 

Ich weiß nicht, wie ich dazu kam, so zu reden, doch eigentlich war er selbst Schuld. Er hätte niemals sagen dürfen, was er gesagt hatte und überhaupt wollte ich niemals, dass ich ihm oder sonst irgendeinem Menschen auf dieser Welt so verpflichtet bin. Ich hasse es einfach, immer jemandem zuzustimmen, welcher nur in Selbstmitleid verfloss. Vielleicht war ich keinen Deut besser, aber was zu viel war, war zu viel. 

"Glauben Sie etwa, ich hätte es mir gewünscht?" Er antwortete erst nach einer kurzen Pause. 

"Nein, natürlich nicht. Sie versuchen doch alles und jedem zu helfen. Wissen Sie was? Sie sollten ihre Firma umbenennen in 'Edevan's ich-helfe-euch-allen-industries'. Nur noch der Name fehlt, ansonsten müssen Sie rein gar nichts ändern. Sie helfen allen, Sie verstehen alles und doch sind Sie immer verzweifelt." Hätte ich ihm die Firmenidee in einem anderen Kontext vorgeschlagen, so wäre es sicher begeistert gewesen, doch außer wenn ich es ironisch meine, hätte ich so etwas nie gesagt. Das Leben ist nicht dazu da, anderen zu helfen und selbst nur am Abgrund zu stehen. Wenn man nur für sich selbst sorgen kann, sollte man es auch tun. 

Remember and forgetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt