Alles hat einen Anfang, sogar das Ende---
Als Elisabeth, James' Frau, durch einen Vulkanausbruch stirbt, ist er am Boden zerstört. Doch schon kurz danach erfährt er, dass Lord Fernsby von der drohenden Gefahr Bescheid wusste. Es kommt zum Streit und...
Wie lange schrieb ich dir nicht? Ich kann es nicht genau sagen, bestimmt sehr lange, Elisabeth. Aus 'bald' wird eben oft 'in ferner Zukunft', wenn man sich vornimmt wirklich etwas zum Erzählen zu finden, anstatt sich die Worte aus den Fingern zu saugen. Leider habe ich das auch jetzt noch nicht gefunden. Lenham scheint mir zu ruhig geblieben zu sein.
Wie geht es dir? Eine rhetorische Frage, das kennst du sicher schon. Also ob ich Fragen an eine Tote wenden würde, nicht, dass du eine wärst. Nur Darcy meint so etwas, wenn er sich wieder nicht zusammenreißen kann, wenn ich stundenlang vorm Fenster sitze, um mir den Inhalt dieses Briefes genau zu überlegen. Ich schreibe immerhin nicht an ein totes Buch, was meinen geistigen Zustand wohl über seinen stellt.
Meine tägliche Lektüre kenne ich bald auswendig. Aus dem Gedächtnis kann ich dir jedenfalls mindestens jede dritte Textpassage zitieren. Dieses Lebenswerk ist mit derartiger Langweile und Hoffnungslosigkeit erfüllt, dass man fasst darin ertrinkt. Doch viel mehr steht mir hier nicht zur Auswahl, da sie hier keine Universität haben, an der ich unterrichten könnte.
Niemals hätte ich erwartet, dass ich meine Arbeit nach all dieser Zeit so sehr lieben würde, aber ich tue es. Es gibt wohl nicht viel Positives, das ich daran nennen könnte, doch missen würde ich trotz all den Strapazen die Zeit an den beiden Universitäten nicht wollen. Welche ich lieber mochte, ist dennoch einfach zu entscheiden. Pembroke war nie der Ort, welchen ich über alles geliebt hatte. Ob es jemals solch einen Ort gab oder ob es ihn noch geben wird, kann ich auch nicht sagen. Die Newcastle University war ein recht angenehmer Platz, um seine Zeit zu verbringen. Nicht, dass ich dort viele Genies gefunden hätte, aber wenn man die Abende daheim wegließ, war es im Großen und Ganzen gut.
An meine alte Universität hingegen erinnere ich mich immer noch mit Grauen und sicher kehre ich dorthin auch nicht zurück. Viele meiner Kollegen waren natürlich Seelen von Menschen und einige von ihnen hattest du vor deinem Rückzug aus der Gesellschafft sogar kennen lernen dürfen, wobei sie allesamt nur gute Worte über dich verloren haben. Wäre dich unser allseits verhasster Direktor, würde ich vielleicht mit einem nostalgischen Lächeln an diese Zeit zurückdenken. Allein Mister Haddock, ein kleiner Professor aus dem Nirgendwo, welcher sich mit dem Lord außerordentlich gut verstanden hatte, reicht mir für diese überaus schlechte Meinung über die Pembroke University. Haddock ist einer der wenigen Menschen, denen nicht einmal du eine gute Seite anerkennen konntest. Sein ewiges Geschrei und das Vorhaben, mich vor all meinen Schülern zu blamieren; er war die wohl lächerlichste Person auf den ganzen Welt. Und er schien all das Gelächter über ihn nicht einmal mitbekommen zu haben, selbst wenn ihn meine Schüler mit der Nase darauf stießen. Nein, stets sah er sich als den allseits geliebten Direktor Haddock von Pembroke, wobei sein seltsamer Titel allein schon für verwirrte Blicke gesorgt hatte. Vielleicht hätte ich mich einordnen sollen und seinem Willen gehorchen sollen, doch es war mir partout nicht möglich gewesen. Und erst dieser Aufstand, welcher ihn die Hälfte seines künftigen Gehaltes gekostet hatte; er war niemals jemand gewesen, welchen man auch nur ansatzweise mögen konnte. Dennoch kann ich diese Zeiten nicht vergessen. Ohne diese Erfüllung scheint mein Leben nur noch aus Blicken aus dem Fenster und diesem schrecklichen Tagebuch zu bestehen.
„Die Zeit rennt vorneweg und die Menschheit hinterher. Doch all die Eile, nicht hinter der Zeit zu bleiben, zwischen all den riesigen Schritten vorwärts, verlieren sie ihre Herzen auf dem Weg. Tagtäglich bleiben tausende Herzen auf dem Wegesrand liegen, vergessen, verlassen und nie wieder genutzt."
Was für ein großer Künstler ist unser Darcy doch! Metaphorisch gesehen sollte es Sinn ergeben, doch sowohl medizinisch als auch rational gesehen ergibt es nur offene Fragen. Zeit kann nicht rennen, man kann sein Herz nicht auf dem Weg verlieren und diese werden immer genutzt. Ich könnte beinahe einen ganzen Aufsatz schreiben über diesem einen Absatz, welcher mir zu logisch erscheint wie Shakespeares Ideen für neue Werke. Wüsste ich nicht dank der ersten Seiten seines in so winzig geschriebenen Buchstaben Tagebuchs seine gesamte Abstammungslinie auswendig, hätte ich Darcy für einen direkten Nachfahren Shakespeares gehalten. Talent zum Schreiben hat er mehr als ich, das muss ich ihm lassen. Leser für solch einen Müll wird er jedoch niemals finden. Noch ein Beispiel seines Intellekts, welcher offenbar nicht für so einfach Menschen wie mich geschaffen ist:
„Der Weg mag hier enden, doch die Straße des Lebens führt weiter"
Was soll das bitte heißen? Jemand hat einen Weg nicht weitergebaut, aber irgendwo führt eine Straße weiter? Hat er etwa Architektur studiert? Fast sein halbes Tagebuch, ausgenommen den Eintrag über seine Geschäfte vor wenigen Wochen besteht aus solchen Zitaten, eins unverständlicher als das andere. Die Rätsel häufen sich über dieses unverständliche Werk, mit welchem ich mich schon längere Zeit befasse, wie Darcy sagen würde. Er passt wirklich nicht in dieses Jahrhundert.
Sogar Gedichte verfasst er, eins davon schreibe ich dir gleich auf.
Wie lange braucht man, um einen Menschen völlig zu kennen? Nur einen Tag in seinen Gedanken, denn wenn ein Mensch denkt, weiß er, dass andere davon nichts wissen, und teilt jedes Geheimnis. Und wenn nicht, dann ist er wie aus Eis.
Wie lange braucht man, um zu sterben? Einen Tag, nie mehr.
Wie lange braucht man um zu leben? Einen Tag und dann hat man schon gelebt.
Während alle Menschen denken unendlich viel Zeit zu brauchen, so braucht man für alles nur einen Tag, Einen Tag, voller nutzvoller Sekunden, voller Zeit zum Denken, und wenn man nach einem Tag alles beendet, kennt man dennoch schon die ganze Welt.
Manchmal frage ich mich wirklich, wie man solch seltsame Dinge in den Kopf bekommt! Er ist doch im Grunde genommen immerhin noch ein Mensch, denke ich und demnach sollte er auch Vernunft besitzen. Aber diese scheint bei ihm völlig verschwunden zu sein. Tragik und Tränen erfüllen sein Leben, wenn man es denn Leben nennen kann. Würde ich mich nicht ebenfalls zu verhalten, hätte ich wohl argumentiert, dass allein sein offensichtlich fehlendes Lachen ein Zeichen für seine Abstammung von einer anderen Welt ist. Dennoch ... Zum ersten Mal seit langem fehlen mir die Worte für eine schlüssige Argumentation. Seltsam, wie das Leben so spielt, ich hätte gedacht, dass ich niemals in diese Situation kommen würde. Vielleicht sind Darcy und ich gar nicht so unähnlich, wie wir dachten. Aber nein, welch einen Unsinn rede ich wieder! Ich sollte mich wohl nicht so sehr mit seinem Tagebuch befassen, wie schrecklich wäre es immerhin, würde ich mich tatsächlich wie sein Bruder benehmen, wie er mich auch behandelt. Ich brauche keine Familie, ich brauche keine Freunde und ich brauche Darcy nicht. Wäre nicht die Verpflichtung, so hätte ich ihn hierhin sicher niemals begleitet.
Ich muss aufhören.
In Liebe
Dein
James"
Mit erhobenem Kopf legte James seinen Brief zur Seite. Fein ausgemalte Buchstaben und Schnörkel zierten das Blatt. Arroganz spiegelte sich in seinen Gesichtszügen wieder. Innerliche Kälte erfüllte ihn. Er spürte, wie die Wahrheit an die Oberfläche wollte, doch er unterdrückte sie. Er wollte keine Gefühle zulassen. Er wollte nicht schon wieder seine Familie und seine Freunde verlieren und tief in sich war er sich bewusst, dass Darcy längst dazugehörte.
Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.