fünfundvierzigster Brief I Vergangene Zeiten

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"Liebste Elisabeth,

es ist immer noch eiskalt in Newcastle, wenn auch nicht so kalt wie in Pembroke vor einiger Zeit.

Falls du dich wunderst, eigentlich weiß ich, dass du es tust, kann ich zu meiner Verteidigung nur sagen, dass mir kein besserer Satz einfiel. Improvisation ist zwar kein großes Talent meinerseits, allerdings kann es schon recht unterhaltsam sein, meine originellen Briefanfänge zu lesen. 

Es ist immer noch dasselbe, viel Neues kannst du also nicht erwarten. Aber Mrs Dysentery ist wieder aufgewacht. Wenigstens das. Auch wenn ich normalerweise vor Wut gekocht hätte über das, was Dorothee über mich ausgeplaudert hat. Ich bin neuerdings als Auftragskiller, Massenmörder und sogar Wahnsinniger abgestempelt worden, jedenfalls laut den Zeitungen aus Pembroke. Bestimmte Stellen werde ich jedoch nicht nennen, da du sonst traurig wärst. So viel dazu, dass ich einfach nur nett war. Auch wenn es mir ein echtes Rätsel ist, wie Dorothee auf so seltsame Ideen kam. 

Wenn ich mich frage, was in meinem Leben bisher schiefgelaufen ist, dann höre kaum auf zu zählen. Doch nur die letzten drei Jahre haben einen empfindlichen Punkt getroffen. Wenn ich jedoch die Momente bei Edevan abzähle, welche schiefgelaufen sind, dann komme ich auf sehr viel höhere Zahlen, wenigstens ein kleiner Trost.

Warte einen Moment, Elisabeth. Wie es scheint, sind die Attentäter von Veronica zurückgekehrt. Im Moment stehen sie noch auf der Straße und scheinen etwas zu suchen. Oder jemanden... mich. 

Wieso denke ich nur, dass ich sie kenne? Ich weiß immerhin nicht einmal, wieso sie mich verfolgen! Sie wirken vollkommen unauffällig und wenn sie nicht so oft durch die Gegend blicken würden, wäre ich nie auf sie aufmerksam geworden. Seltsam... 

Gerade sah einer der beiden zu meinem Haus herüber. Hinter diesen grauen Gardinen kann aber auch niemand von der Straße direkt hinein gucken, da ich sie einfach nicht zusammenbinden kann. Dennoch rücke ich lieber ein Stück weit hinter die Vorhänge, sicher ist sicher. 

Nun gehen sie die Straße hinunter. Offenbar scheinen sie noch nicht zu wissen, wo ich wohne. Auf Veronica ist einfach Verlass. Doch - in solch einer kleinen Stadt werden sie mich schnell finden. Es ging hier kein wirkliches Entkommen. 

Gerade blickte einer zu mir herüber. Nun weiß ich auch, woher ich sie kenne. Universitätsleiter Killian Haddock. Mein ehemaliger Chef und guter Bekannter. Und an seiner Seite vermutlich Professor Fenlin, sein ach so treuer Assistent. Und ich hatte ihnen jahrelang vertraut. Und nun wollen sie, dass ich sterbe. 

So viele Erinnerungen teile ich mit Pembroke. Erst als Student, dann als Lehrer war ich insgesamt dreißig Jahre lang an der Pembroker Universität. Und nun das. Ich sagte doch, man kann manchen Menschen nie vertrauen. 

In Liebe 

Dein nun etwas grübelnder

James"

James klappte Ecke auf Ecke und stand auf. Nachdenklich lehnte sich gegen die Wand des weißen Zimmer, welches ihm fast den Verstand raubte. Tränen liefen ihm über die Wangen, auch wenn er sie sich verbieten wollte. Menschen, welche er erst wenige Jahre, manchmal nur Wochen kannte, konnte er mehr vertrauen als seinen ehemaligen Freunden. 

Seine Vergangenheit hatte sich gegen ihn gewandt, auch wenn er auf deren Unterstützung gehofft hatte. Konnte er sich wirklich auf jemanden verlassen? Was, wenn er am Ende ganz allein sein würde? Doch er konnte nur hoffen, denn es gab keinen Weg zurück. 

Manchmal ist das Ende der Anfang - ein Anfang jedoch immer das Ende der Zeit davor---

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