"Liebe Elisabeth,
gestern kam ein Brief von Veronica an und außerdem fand vorgestern ein Fest in Lenham statt, dessen Ehrengäste wir waren. Eigentlich wollte ich nicht hingehen, aber besser, als das Gejammer von Darcy zu ertragen, war es allemal.
Doch beginnen wir erst einmal mit Veronicas Brief. Ich kann zwar nicht verstehen, weshalb sie mir andauernd schreiben muss, wo sie eigentlich auch mit ihren Freunden in Newcastle sprechen könnte. Ich vergaß, sie hat leider keine Freunde, wie ähnlich sie mir in dieser Hinsicht ist. Bei ihrem fortgewährenden Gerede kann sie auch niemand ertragen, wie ich zugeben muss, doch eine solch sture Person kann und will ich nicht ändern.
"Hallo Jamie,
ich kann nicht annähernd verstehen, wieso sie mich Jamie nennt, aber das ist auch unwichtig. Sie ist sowieso dermaßen seltsam, da nützt es nichts, wenn ich eine Sache mehr nicht verstehe.
In der Stadt ist nichts sonderlich Aufregendes geschehen.
War auch abzusehen, typisch Newcastle. Wenn nicht gerade die Smiths spazieren gehen oder Veronica aus ihrem Fenster jemanden erblickt, muss es ruhig sein in diesem Städtchen. Wie gerne wäre ich gerade dort, anstatt mich hier um Edevan kümmern zu müssen. Als ob er nicht alt genug wäre, für sich selbst zu sorgen. Sogar zu der Beerdigung von Theodora werde ich ihn morgen bringen müssen. Aber so ist es, wenn man an solche Menschen gerät; erst scheinen sie vollkommen normal zu sein, bis sie sich zu einem nicht entfernbaren Anhängsel entwickelt haben. So als hätte man einmal einen Dornenbusch gestreift und muss nun einen Dornen auf ewig mit sich tragen.
Hat es viel genützt, dir diese Informationen zuzusenden?
Ich verstehe auch nicht, wieso sie mich duzt, aber es ist ihr wahrscheinlich beim besten Willen nicht auszureden. Sie wird Dorothee immer ähnlicher, was man nur negativ betonen kann. Bis die Geisteskrankheit mit dem Alter eintritt, wird es wohl nur ein paar Jährchen dauern, doch schon jetzt kann ich sie mir vorstellen, wie sie über die Straßen läuft, den Weg nicht findet und allen Menschen halbvergessene Geschichten über alles nur Mögliche erzählt.
Misses Smith hat wieder eine Stelle bekommen und Tante Smith ist wieder im Gefängnis. Der Älteste ist jetzt außer Landes, man weiß nicht, wohin. Der Onkel hat sich das Bein gebrochen und der Hund der Familie Johns wurde von den Nachbarn zwei Straßen weiter totgefahren. Das alte Haus am Stadtrand, welches deinem guten Freund gehört, wird abgerissen. Ach ja, deine Stelle als Lehrer hat nun der Junge aus Haus 68, also fast am Ende der Straße, bekommen, welcher erst gerade mit seiner Ausbildung fertig ist.
Ich weiß wirklich nicht, wie man meine Stelle einem derart ungebildeten und ungehobelten Menschen geben konnte. Ich hatte ihn kennengelernt und wenn ich jetzt dort wäre, wäre er durch die Prüfung gefallen. Niemals hätte ich ihn bestehen lassen, niemals. Sobald ich zurückkomme wird alles wieder seine Ordnung haben und dieser Junge wird dahin zurückkehren, wo er hingehört, nämlich ans Ende der Straße irgendwo im Nirgendwo.
Schreibe mir, was in deinem Dörfchen passiert ist. Es ist wirklich langweilig und wenn es weitere Morde gibt, komme ich dich bald besuchen. Besser als mich hier zu Tode zu langweilen, ist es mit Sicherheit. Du freust dich sicher schon.
Weitere Morde und besuchen? Diese Frau ist wirklich regelrecht wahnsinnig! Ich jedenfalls kenne niemanden, welcher jemanden nur deshalb besuchen kommt, weil man einen Mord erwartet. Aber bei ihrem Charakter würde sie sogar ihre eigene Ermordung als einen riesengroßen Spaß empfinden, nehme ich an. Manche Menschen kann ich beim besten Willen nicht verstehen. Und weshalb ich mich freuen sollte, ist mir auch ein Rätsel.
Viele liebe Grüßchen
Grüßchen? Diese Frau wird abstrakter, je länger ich sie kenne. Aber vielleicht sollte ich nicht über sie lachen, wenn sie vermutlich zu den wenigen Leuten gehört, mit welchen ich auskomme oder besser gesagt, welche mit mir auskommen. Ich komme nämlich nur deshalb mit den Leuten nicht aus, weil sie einfach zu wenig intelligent sind, um höflich ihnen gegenüber zu bleiben, und weil sie nicht annähernd an mein Talent heranreichen.

DU LIEST GERADE
Remember and forget
Mystery / ThrillerAlles hat einen Anfang, sogar das Ende--- Als Elisabeth, James' Frau, durch einen Vulkanausbruch stirbt, ist er am Boden zerstört. Doch schon kurz danach erfährt er, dass Lord Fernsby von der drohenden Gefahr Bescheid wusste. Es kommt zum Streit und...