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Kapitel 1:

Im Jahr 2020 wurden rund 5,3 Millionen Straftaten begangen.
82.000 davon- mutmaßliche Sexualdelikte. Die Opfer- ein Leben lang traumatisiert.
Aber was passiert, wenn eines dieser Opfer eine emotionale Verbindung zu dem Täter aufbaut? Wenn es sich gegen die Polizei ausspricht und die Fiction mit der Wirklichkeit verschwimmt ?

Kühle,graue Wolken zogen über den tristen Himmel und ließen die normalerweise, im Schein der Abenddämmerung,  goldglänzenden Bäume still am Rande der Straße stehen.
Der Wind pfiff durch die dichten Kronen und hinterließ ein Rauschen.
Ein Tag wie jeder andere, in einem ereignislosen Jahr.

Ben lehnte seinen Kopf gegen die klamme Scheibe des Reisebusses. Heute war sein freier Tag und wie nutzte man einen solchen besser, als sich mit der Historie seiner Heimat auseinander zu setzen ? Ein ganzer Tag voller Führungen und Erklärungen durch die Geschichte Deutschlands.
Von der Inquisition, über die Weltkriege, bis hin zu neuen Erkenntnissen und Archäologischen Funden zu unseren längst verstorbenen Vorfahren. Den Gründern unseres heutigen Lebens. Den Anfängen unserer Evolution.
Von revolutionären  Erfindungen zu den tragischsten Schicksalen der deutschen Nation.
Vom Buchdruck, bis zu dem Schiff, das als unsinkbar galt- und kurz darauf sank die Titanic. Dessen Wrack noch immer auf dem Grund des weiten Meeres verweilt und vergeblich auf die Rettung der armen Seelen wartet.

Die Geschichte unserer Welt. Unseres Landes.
Die Geschichte des nie enden wollenden Egoismus.

Der junge Hauptkommissar starrte aus dem Fenster, beobachtete die vorbei ziehende Landschaft, die unbekümmerten Tiere des Waldes, die wankende Brut der Natur.
Seine Gedanken hingen noch immer an den Erkenntnissen des heutigen Tages.

„Schon spannend, nicht wahr?“, ein recht betagt aussehender Mann hatte neben Ben Platz genommen und verzog die Mundwinkel zu einem breiten Lächeln. Seine tiefen Lachfalten ließen das graue Gesicht aussehen wie jenes eines Shar Pei Hundes.
„Wie bitte?“, Ben drehte seinen Kopf und musterte den Mann.
„Ich sagte ´Spannend, nicht wahr´.“
„Was genau?“, verwirrt zog der junge Mann die Augenbrauen zusammen und nahm einen seiner Kopfhörer aus dem Ohr.
„Na die Führungen, was sonst.“, er gab ein paar undefinierbare Laute von sich und verzog seinen Mund weiter. Es kam Ben beinahe so vor als würde der alte Mann im Kreis grinsen, wenn er so weiter machte.
Der Polizist nickte:“Ja, durchaus.“
„Ist es nicht interessant wie viele Fehler die Menschheit macht, weil sie zu egoistisch ist eine Niederlage zuzugeben? Wie sie sich immer weiter in das Verderben stürzt, nur weil die Menschen nicht zusammen, sondern gegeneinander arbeiten?“, der alte Mann seufzte, „Denken Sie viel über die Vergangenheit nach, junger Mann? Oder leben Sie gänzlich im Hier und Jetzt, den Blick in die Zukunft gerichtet?“
Ben nahm seinen zweiten Ohrstecker nun ebenfalls aus seinem Gehörgang und drehte sich vollends zu seinem Sitznachbarn um. Er hatte sein Interesse geweckt und die Fragen, die dieser stellte, waren durchaus berechtigt.
„Ähm…“, er überlegte was er darauf antworten sollte, „Ich …“
„Wissen Sie, junger Mann, viele Menschen richten den Blick immer nach vorne und nie zurück. Aber wenn sie nie nach hinten gucken, dann werden sie die bereits lauernden Gefahren nicht erkennen. Erst viel zu spät, wenn sie ebenfalls in der Gegenwart angekommen sind. Wenn Sie ein Problem haben ist es gut in die Zukunft zu schauen, aber wenn Sie sich nie umdrehen, dann werden Sie nicht bemerken, dass Sie das Problem irgendwann einholt.Wenn Sie verstehen was ich meine.“

Der Angesprochene verstand den Punkt des Mannes durchaus:“Das ist schon wahr. Sehr weise, aber dennoch stigmatisierend, oder nicht ?“
„Sie gefallen mir, junger Mann. Heinz mein Name. Vollzeit Rentner und Hobby Historiker.“
„Ben, sehr erfreut.“
„Ben ,also….Wissen Sie, Sie kommen mir bekannt vor. Waren Sie zufällig schon einmal im Fernsehn, oder in der Zeitung?“, Heinz kratzte sich am Kopf und seine Pupillen rollten von rechts nach links.

Der junge Beamte zögerte mit seine Antwort. Der Mann war ihm durchaus sympathisch, allerdings stellte dieser auch wirklich komische Fragen.
So ganz koscher war er nicht.

„Ähm...“, Ben räusperte sich, „Ich …“
Gerade als er zu einer Antwort ansetzen wollte, ging ein Ruck durch den Bus, sodass der Polizist mit seinem Kopf ungebremst gegen die Fensterscheibe stieß.
Er zischte .
Ein Knall.

Der Reisebus schlingerte kurz und blieb mit quietschenden Reifen stehen.
Mitten im Nirgendwo.
Umgeben von unzählig vielen Bäumen.

„Was zum ?!“

Wenn Angst - zu Liebe wird Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt