49 - Geschwisterliebe

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Owen hatte mich aufs Sofa gezogen, wo ich in seinen Armen in einen unruhigen Schlaf gefallen war. Erst als Phili irgendwann zu uns kam und sich mit dazu kuschelte, wurde ich wach, weil Owen seinem Gefährten leise ein Buch vorlas. Ich lauschte dem Märchen ebenfalls, genoss die Wärme, die von den Katzenwandlern ausging und für einen Moment hatte ich das Gefühl, als wäre wieder alles gut.

Ich wusste natürlich, dass überhaupt nichts gut war, aber gerade in diesem Moment. Mit Owen und Phili auf dieser Couch, unter einer Decke mit einem Märchen. Das gab mir gerade so viel Kraft und so viel dringend notwendige Normalität. Es lockte mir sogar ein kleines Lächeln auf die Lippen.

„Da kommt jemand", kam es plötzlich aus dem Nebenraum, wo Nathan unser Haus beobachtete. „Und er sieht nicht aus, als wäre er zum Kuchen essen hier", fügte er hinzu und rief dann nach Bernard, der nur einen Moment später die Treppen hinunter kam. Auch Owen erhob sich vom Sofa und warf einen prüfenden Blick aus dem Fenster.

„Verdammte scheiße", schimpfte der Katzenwandler dann einen Moment später und wirbelte mit einem wütenden Ausdruck zu mir herum. „Das ist Austin!"

Austin wie in Philis Bruder? Der unhöfliche Katzenwandler, der sich immer mit Hudson angelegt hatte? Der, der gegen die Bindung zwischen Owen und Phili war?

„Mein Bruder?", fragte Phili mit piepsiger Stimme. Erst erschien ein Lächeln auf seinen Lippen, bevor im nächsten Moment große Krokodilstränen aus seinen Augen quollen, ehe er von der Couch rutschte und zu Owen raste. „Er darf mich nicht mitnehmen, Owi", wimmerte das Kind und klammerte sich an seinen Gefährten. Owen drückte ihn gleich fest an sich.

Der Anblick war herzzerreißend und verdeutlichte erst, wie gut es für Owen und Phili war, dass sie mit uns kamen. Dort waren sie sicher und keiner würde sich zwischen sie drängen wollen. Vor allem aber zeigte es, wie sehr Phili vor seinem eigenen Bruder Angst hatte.
Oder eher davor, dass Austin ihn nicht mit Owen gehen ließ.

„Ich werde nicht zulassen, dass er dich mitnimmt, Phili. Das verspreche ich dir", versicherte Owen seinem Gefährten und schob in ein wenig von sich. Er küsste sanft seine Stirn und deutete dann auf mich.

„Versteck dich mit Cosmo irgendwo und bleibt dort, bis ich euch hole, ja?" Phili zögerte einen Moment und nickte dann energisch, ehe er mit einem letzten, traurigen Blick zu Owen schaute. Ich nahm seine Hand in meine und eilte gemeinsam mit ihm die Treppen hinauf. Mein Weg führte kurzerhand in das halbfertige, mittlerweile wieder teilweise eingepackte Kinderzimmer von Annes ungeborenem Kind und den großen, leeren Kleiderschrank, der dort stand. Ich setzte mich hinein, zog den Neunjährigen auf meinen Schoß und zog die Türen hinter uns zu, sodass wir größtenteils in Dunkelheit gehüllt waren. Lediglich ein dünner Lichtstrahl fiel durch den schmalen Spalt zwischen den zwei Türen herein und erhellte zumindest ein wenig das Innere.

Phili drückte sich fest an mich. Ich hörte sein Herz rasen und wie schnell seine Atmung ging. Er hatte Angst. Mir ging es nicht anders.

Austin durfte sich nicht wieder zwischen Owen und Phili drängen. Die Beiden gehörten zusammen und die Beiden gehörten vor allem zu mir. Sie hatten sich entschieden, mit uns zu gehen, mit mir und hatten dafür sogar den Segen von Philis Mutter. Sein Bruder hatte dabei sicherlich kein Wort mitzureden. Hoffentlich konnte Owen ihm das verklickern. Zum Glück waren auch Bernard und Nathan noch da. Gegen die drei hatte Austin niemals eine Chance.

Und ich war auch noch da. Ich würde Phili mit allem, was ich hatte, beschützen.

Es war ruhig im Haus. Ich konnte nichts hören. Keine Stimmen, kein Knurren und zum Glück auch keine Kampfgeräusche. Ab und an fuhr ein Auto die Straße vor dem Haus entlang, aber sonst konnte ich trotz meinem empfindlichen Gehör nichts wahrnehmen.

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