52 - Austin

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Kai hinter mir schnarchte leise und Phili atmete laut. Sonst lag das Haus in völliger Stille. Ich wusste, dass jemand noch Wache hielt und unser Haus im Auge behielt, obwohl die Wahrscheinlichkeit, dass Hudson dort auftauchte gleich null war.

Ich war hundemüde, aber ich konnte nicht einschlafen. Meine innere Unruhe ließ mich nicht einmal meine Augen schließen, sodass ich seit Stunden an die dunkle Decke starrte. Irgendwann konnte ich einfach nicht mehr liegen und wandte mich vorsichtig aus Kais Armen. Ich drückte meinem Gefährten einen Kuss auf die Stirn, zog mir noch einen dicken Pullover und Socken über und tapste gähnend die Treppe hinunter.
Auch hier lag das Haus in völliger Dunkelheit. Die Küche, die mein Ziel war, war durch den niedrig stehenden Mond hell erleuchtet, sodass ich das Licht nicht einschaltete, sondern mir in der sicheren Dunkelheit einen Tee zubereitete.

Ein leises Seufzen kam über meine Lippen, als meine Hände sich um das warme Porzellan der Tasse legten. Mir war zwar eigentlich nicht kalt, aber die Kälte, die anhaltend in meinem Inneren herrschte, ließ auch meinen Körper frieren. Ich wusste, dass ich dieses Gefühl nicht mehr so schnell losbekommen würde. Die Schuldgefühle über Josies Tod, die Tatsache, dass Hudson wahrscheinlich ein Gefangener war, dass Dad schwer krank war und die Sorge über Papa und mein ungeborenes Geschwisterchen. Das alles ballte sich in meinem Bauch und ließ mir von innen heraus kalt sein.

„Du hältst Wache?", fragte ich überrascht, als ich Austin auf dem Sessel vor dem Fenster erblickte. Ich dachte irgendwie, dass es Bernard oder Nathan waren, aber der Katzenwandler überraschte mich tatsächlich.

Der Blonde brummte nur zustimmend. Sein Blick fest auf meinem Elternhaus fixiert.

Ich setzte mich zu ihm auf den gepolsterten Fußhocker und nippte an meinem Tee, während der Kater mich nicht weniger beachten konnte. Ich wusste auch gar nicht, warum ich mich zu ihm setzte. Aber lieber saß ich hier mit ihm, als alleine im Wohnzimmer.

„Denkt du, ihm geht es gut?", fragte Austin plötzlich und durchbrach damit die fast unheimliche Stille im Haus. Sonst hörte man nachts zumindest noch Nathan oder Bernard laut schnarchen, aber heute war es unnormal still.

Seine Stimme war matt, klang kraftlos und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass es eine ernst gemeinte Frage war, auf die er auch eine ernsthafte Antwort wollte. Kein Spott, keine Amüsement, kein genervtes Augenrollen. Einfach nur eine richtige Frage.

„Hudson?", fragte ich flüsternd nach und klammerte mich augenblicklich fester an meine Teetasse.
Austin brummte erneut zustimmend.

„Ich hoffe es." Ich hoffte es wirklich. Ich hoffte, dass er gut behandelt wurde, dass er keine Schmerzen hatte und gutes Essen bekam. Vielleicht hatte er sogar ein bequemes Bett und wurde nicht in einer kalten Zelle festgehalten.

Es kam wieder Stille auf. Austin löste nicht ein Mal den Blick von unserem Haus, während meine Tasse sich immer weiter leerte.

„Wir waren zusammen", wisperte Austin plötzlich und überraschte mich damit so sehr, dass ich mich schlagartig verschluckte und laut hustete. Es dauerte einen Moment, bis ich mich wieder einkriegte.

„Also nicht wirklich zusammen zusammen", fuhr der Katzenwandler fort, als ich mich wieder erholt hatte und nicht mehr hustete. „Eher etwas ungezwungenes irgendwie."

Was? Ich verstand irgendwie nicht, was mir der Kater damit sagen wollte? Sie waren zusammen? In einer Beziehung? Das konnte nicht sein. Das hätte Hudson mir erzählt oder ich hatte zumindest etwas bemerkt.
„Ich verstehe nicht."

Austin seufzte und wandte sich erstmalig vom Fenster ab und sah mich an. Seine Augen schimmerten traurig und sein Gesicht war verzogen, als hätte er Schmerzen.
„Wir haben miteinander geschlafen. Ein Jahr lang."

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