61 - Jagen

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Das Vorkommnis zwischen Kai und Lukas warf die Dynamik in unserer seltsamen Gruppe etwas durcheinander. Gespräche mit Lukas Leuten waren von da an angestrengt und schon fast unangenehm.

Kai ließ nie mehr als einen Meter Abstand zu mir und hielt gleichzeitig auch einen großen Abstand zu Lukas und dessen Rudel. Selbst Austin war dem Alpha gegenüber nun noch skeptischer und blieb genauso in Kais Nähe, wobei ich mir in Austins Fall beinahe sicher war, dass das von seiner Schwangerschaft rührte. Unter normalen Umständen würde der Kater weiterhin normal herumlaufen und sich nicht selbst so einschränken, aber die Angst um seine Jungen war wohl größer als sein Drang nach Unabhängigkeit.
Es freute mich irgendwie, dass er sich in unserer Nähe, oder besser gesagt in Kais Nähe, sicher fühlte. Immerhin waren die zwei anfangs ja nicht die größten Freunde.

Da wir aber noch immer einen geeigneten Plan ausarbeiten mussten, mussten wir zwangsläufig miteinander reden. Egal, wie unangenehm die Stimmung war.

„...und weil wir dann einfach–" „Ok, nein", unterbrach Nathan den Delta aus Lukas Rudel, der gerade seinen Plan vorschlug. „Das kann gar nicht funktionieren." Nathan schüttelte resigniert den Kopf, ehe er ein lang gezogenes Brummen ausstieß.

„Hast du einen besseren Plan?!", zischte der Delta daraufhin, der sich eindeutig von Nathans Worten angegriffen fühlte und richtete sich in seiner sitzenden Position ein wenig auf.

„Nein, aber deiner ist zum Scheitern verurteilt", gab Nathan gelassen zurück und ließ sich von der Reaktion des Deltas überhaupt nicht einschüchtern.

„Wir müssen uns über jeden Plan Gedanken machen. Oder ihn zumindest bis zum Ende anhören", ging Alpha Lukas dazwischen, brach damit den Delta, der bereits zu einem erneuten Angriff Luft holte, und warf Nathan einen warnenden Blick zu. Auch das schien den Blondschopf nicht zu stören. Stattdessen drückte er sich einfach in die Senkrechte und streckte sich, ehe er Lukas demonstrativ den Rücken zukehrte und sich dann zu Kai, der neben mir saß, wandte.

„Lass uns jagen gehen. Die können sich derweil diesen Scheißplan anhören." Er machte eine nickende Kopfbewegung in Richtung Wald und Austin sprang sofort voller Tatendrang auf. Den ganzen Vormittag zu spekulieren und ergebnislos Pläne auszuarbeiten hatte den Kater sichtbar gelangweilt, wodurch er jetzt umso froher war, endlich etwas tun zu können.

Kai neben mir zögerte jedoch. Bevor er Nathans Angebot aber ablehnen konnte, war ich längst aufgestanden und hatte ihm zugestimmt. Mir ging es ähnlich wie Austin. Zwar war ich nicht gelangweilt, aber mein Kopf brauchte dringend eine Pause und auch mein Körper wollte wieder ein wenig bewegt werden.
„Ich war zwar noch nie jagen, aber ihr könnt mir das ja einfach beibringen", stieß ich enthusiastisch aus und grinste zu Nathan hinauf, der überrascht wirkte, aber mit einem Nicken zustimmte.

Normalerweise lernten Wölfe, selbst Omegas, relativ früh zumindest die Grundlagen des Jagens, damit man sich im Fall der Fälle selbst versorgen könnte. Meine Geschwister hatten es alle von Eren gelernt, aber ich hatte mich immer davor gedrückt, wodurch ich bis heute kein einziges Mal auf der Jagd war. Bisher hatte ich aber auch nie das Verlangen danach verspürt.

„Nein, wir bleiben hier", kam es direkt von Kai, der mittlerweile auch aufgestanden war. Ihm war es logischerweise im Wald zu unsicher. Hier, umgeben von zahlreichen anderen und vor allem starken Wölfen, war die Wahrscheinlichkeit, dass mir etwas passierte, eher gering. Natürlich wollte er da, dass ich hier blieb.

Ich warf meinem Gefährten einen genervten Blick zu. Ich war ja nicht alleine im Wald unterwegs, sondern hatte ihn, Nathan und auch noch Austin mit dabei. Außerdem waren wir bisher keinem fremden Wolf über den Weg gelaufen, was die Angelegenheit noch sicherer machte, und etwa zehn Wölfe aus Lukas Rudel kundschafteten momentan die Gegend aus und waren somit auch im Wald unterwegs und wären im Notfall schnell zur Stelle.

Die Wölfe dieses fremden Rudels verließen noch dazu ihr Revier nicht, sondern sicherten nur sehr akkurat ihre Grenzen ab. Das hatten wir die letzten Tage und auch Kai bei seinem ersten Aufenthalt bereits beobachtet.

„Es wird schon nichts passieren und wenn, dann habe ich ja euch." Ich zuckte mit den Schultern und bevor Kai noch ein weiteres Mal widersprechen konnte, verwandelte ich mich kurzerhand in meinen Wolf. Mittlerweile ging die Verwandlung auch wieder etwas besser und war weniger schmerzhaft, weil ich mich in den letzten Tag wirklich oft verwandelt hatte. Das war alles nur eine Sache der Übung.

Mein Gefährte seufzte nur hörbar, ehe er es mir gleichtat und mir in seiner Wolfsform noch einen weiteren Blick zuwarf, der mir verdeutlichen sollte, wie wenig er von dieser Idee hielt. Einen Moment später waren auch Nathan und Austin verwandelt und zu viert machten wir uns auf den Weg in den Wald hinein.

Unterwegs erklärte mir vor allem Nathan die wichtigsten Grundlagen, während Austin sich einen Spaß daraus machte, sich in windiger Höhe auf den Bäumen von Ast zu Ast zu fortzubewegen. Kai behielt derweil unsere Umgebung genauestens in Auge.
Wir brauchten lange bis wir überhaupt ein Tier gefunden hatten, welches Nathan gleich erlegte, um mir vormachen zu können, wie es gemacht wurde. Bei dem zweiten Hasen, dem wir dann über den Weg liefen, ließ Nathan mir den Vortritt. Ich sollte jetzt zum ersten Mal in meinem Leben ein Tier jagen, fangen und töten.

Es fiel mir leichter als gedacht, aber während es bei Nathan so einfach ausgesehen hatte, musste ich verblüfft feststellen, dass dieser blöde Hase deutlich flinker war als ich und ärgerte mich darüber wie unvorhersehbar er seine Haken schlug. Als mir das relativ kleine Tier schlussendlich nur knapp durch die Lappen ging, ärgerte ich mich dennoch.

Das war doch schon mal ganz gut schmunzelte Nathan, der angestrengt versuchte sein Lachen zu unterdrücken. Kai rumpelte mit seiner Schulter absichtlich gegen den Delta, ehe er seine Schnauze sanft gegen meine Schläfe drückte.

Für den ersten Versuch war das wirklich gut.
Ich nickte ihm nur munter zu und machte mich dann gleich auf die Suche nach einem zweiten Hasen, in der Hoffnung, dass das Glück diesmal eher auf meiner Seite sein würde. Ich würde Nathan schon noch beweisen, dass auch ein Jäger in mir steckte.

Lass uns am Bach etwas schwimmen gehen.

Wie war das? fragte ich überrascht und drehte mich zu Nathan um, der nur wenige Meter hin mir ging. Er spitzte überrascht die Ohren und reckte seinen Kopf ein wenig.

Ach komm, lass uns am Bach etwas schwimmen gehen wurde plötzlich energischer wiederholt und erst da realisierte ich, dass die Worte nicht von Nathan kamen. Auch Nathan realisierte wohl das selbe und überwand den wenigen Abstand zwischen uns schnell. Auch Kai war von dem seltsamen Verhalten des Deltas gleich in Alarmbereitschaft.

Im Gegensatz zu mir konnte Kai in seiner Wolfsform nicht mit Nathan kommunizieren, da sie nicht zu einem Rudel gehörten beziehungsweise Kai noch immer ein Rudelloser war. Wölfe konnten untereinander problemlos mit ihrem Rudel auch über etwas weitere Strecken kommunizieren, während es nur den Alphas und deren Betas möglich war mit den Alphas und Betas anderer Rudel in ihrer Wolfsform zu sprechen.
Ich dagegen konnte trotzdem mit Kai sprechen, da wir Gefährten waren.

Du hast das auch gehört, oder? fragte Nathan ebenso alarmiert nach und ließ seinen Blick konzentriert durch die Umgebung wandern.

Ich antwortete mit einem leisen Ja, während ich mich automatisch an Kais Seite drückte. Auch Austin schloss schnell wieder zu uns auf, nachdem er bemerkt hatte, dass wir stehen geblieben waren. Er, der in seiner verwandelten Form mit keinem von uns reden konnte, realisierte schnell die angespannte Stimmung zwischen uns und war schlau genug, um zu kombinieren, dass gerade etwas nicht in Ordnung war.

Plötzlich antwortete der ersten Stimme eine zweite. Nein, heute ist es mir echt zu kalt zum Schwimmen. Lass uns lieber wieder zurück zur Siedlung. Ich bekomm langsam Hunger und Mama ist sicher mit dem Kochen bald fertig.

Nathan deutete uns mit einem Kopfnicken an, dass wir uns langsam zurückbewegen sollten, um etwas Abstand zu gewinnen. Wir mussten schnellstmöglich zu Alpha Lukas und seinen Leuten zurück und ihnen hiervon berichten.

Ohne es aussprechen zu müssen, wussten Nathan und ich sofort wie wir die fremden Stimmen einzuordnen hatten und wie dringend wir das den anderen mitteilen mussten.

Jägersmann ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt