Kapitel 23

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Harry:

Ich wischte erneut Blut von meinem Mund und sah Carlos nach. Eine weitere Faust schlug mir ins Gesicht. „Mir egal was er sagt. Er ist trotzdem noch mein bester Freund und den verteidige ich." Jay sah mich wutschnaubend an als ich meinen Kopf wieder drehen konnte. Ich bewegte meinen Kiefer. Ich kam mir seltsam kindlich vor während ich auf dem Boden saß und alle anderen standen. Ihre Blicke waren nicht weniger anklagend als Jays. Der Schwarzhaarige sah mich an, als warte er nur darauf, dass ich ihm eine Einladung geben würde, sich auf mich zu stürzen. Ich rappelte mich zwar auf, aber die gab ich ihm nicht. Ich hob meinen großen Seesack wieder auf, den ich die ganze Zeit mit mir getragen hatte. Abschätzend sah ich die anderen an als ich an ihnen vorbei humpelte. Erst musste ich das mit Carlos regeln, dann kamen sie dran. So ungefähr sagte ich das auch Gil, der nicht aufgehört hatte mich vor den Schlägen zu bewahren. Aber sie waren wohl nur gerechtfertigt, so wie Carlos mir das gerade gesagt hatte. 

„Kommt wir gehen Mittagessen. Heute Nachmittag ist Sport. Die Kakerlake rennt entweder wieder weg oder ist nachher auch noch da." sagte Jay und forderte die anderen auf ihm zu folgen. Mich alle noch mit einem weiteren, finsteren Blick bedenken gingen sie mit. Sobald sie weg waren trat ich gegen die Bordsteinkante und streckte mein Bein aus. Was auch immer war als Diego sich so völlig auf mich geworfen hatte jetzt war es wieder eingerenkt. Mit nur leichtem Schmerz im Oberschenkel ging ich weiter und trat gleich gegen den nächsten Baum als ich den Wald zwischen Ort und Prep erreicht hatte. Carlos war gestorben? An dem Tag als ich weg war? Der Kerl gab so schnell auf? Nichts mit stark und hartnäckig sein, kein kämpfen, kein wollen...er gab einfach auf. Ließ es sein! Was hatte er sich nur dabei gedacht?! Ich sprang wieder hoch und trat erneut gegen den Stamm. Meine Hand folgte. Dieser verdammte Kerl! Mann. Er war einfach 'gestorben'. 

Und das sagte er auch noch! Wo war mein Kampfstarker, siegeswilliger Traummann? Mein Babe? Mir war bewusst, dass ich da ganz viel Schuld dran trug. Oder sozusagen der Auslöser war. Mir war auch klar, dass nicht alles wie vorher war. Mir war selbst klar, dass ich ihn zerstört hatte. Meine Stirn fiel gegen die raue Rinde. Ich hatte doch selbst gewusst, was ich tat. Oder hätte ich, wenn ich darüber nachgedacht hätte. Ich wusste, wie sensibel Carlos war. Wie stark er auf etwas baute, dass er liebte. Wie mein Feuerteufel den Halt brauchte. Ich dachte an den Feuerring zurück. Ich hatte ihn nicht gesehen, aber ich hatte mitbekommen, dass da Hitze war. Nur hatte es mich nicht interessiert während ich versucht hatte Diego auch eine rein zu hauen. Hatte ich geschafft, aber nicht so doll, wie er mir. Ich wollte mich dafür rächen, dass er das zugelassen hatte. Wollte seine Worte damit Lügen strafen. Aber hatte ich nicht. 

Carlos war...Ich wusste nicht, was mit Carlos war, aber ich würde es heraus finden. Ich würde nicht zulassen, dass er sich komplett aufgab. Das war auch nicht seine Art. Carlos Art war es, bis zum Ende zu kämpfen. Bis zu seinem Lebensende! Vielleicht also war das auch so, vielleicht versteckte er das nur sehr gut vor sich selbst. Denn, dass er das glaubte, was er sagte, das hatte ich ganz deutlich gesehen. Aber an die Hoffnung würde ich mich klammern. An Hoffnung klammerte ich mich schon die letzten Wochen seit ich hier hin aufgebrochen war. Ich setzte mich wieder in Bewegung. In Richtung Schule. Jetzt musste ich mich da erst mal zurück melden, den heutigen Unterricht hatte ich offensichtlich dann doch verpasst. Auf dem Schulgelände verglich ich meine Uhr mit der Schuluhr. Hatte ich wohl die Zeitumstellung verpatzt. Noch ein schlechterer Eindruck auf Carlos. Hatte mich wohl doch nicht so viel verändert seid ich von der Insel weg war.

„Was soll das?!" Harriet kam auf mich zu gerannt. „Ich schreibe gleich meine zweite Abschlussklausur." Sie verdrehte mir die Arme auf den Rücken und trat mir in die Beine, sodass ich vor ihr auf die Knie fiel. „Tauchst hier einfach wieder auf, nachdem du einfach abgehauen bist und sagst nicht Bescheid!" Sie fletschte die Zähne und drückte schnaufend mein Gesicht ins Gras. „Du gehörst zu unserer Familie. Du Idiot." Sie zog meinen Kopf an den Haaren wieder nach oben, als sie um mich herum gegangen war, sodass ich sie ansehen musste. „Das machst du nie wieder!" Ich sah ihr in ihr wütendes Gesicht. Ein Kieselstein traf mich an der Schulter. „Sie hat Recht." sagte CJ. Ich stürzte mich auf sie und schnappte sie mir unter meinen Arm, 

„Das kommt von der, die als wir uns das letzte Mal gesehen haben, gar nicht mehr zur Familie gehören wollte." Ich begann sie zu kitzeln während ich sie so herum trug. Ich brauchte jetzt zumindest ihr Lachen, zumindest sie durfte nicht böse auf mich sein. „Das zählt nicht." wehrte sie zwischen ihrem Lachen. Irgendwann klang ihr Lachen mehr nach weinen. Ich setzte sie ab und sah sie an. Ihr standen Tränen in den Augen. Ich zog sie in meine Arme. „Ich bin ein großer Mann." sagte ich ihr und ging vor ihr in die Hocke, damit ihr Kopf an meine Schulter passte. Sie drückte sich an mich. Ich passte auf mich auf. Zumindest meistens. Also eigentlich baute ich ziemlich viel Mist, wie ich gerade sah. Als ich aufsah war Harriet weg. Sie musste also wirklich eine Prüfung haben. Nicht, dass sie diesbezüglich lügen würde. 

„Macht sie sich gut in den Prüfungen?" fragte ich CJ, um sie auch etwas abzulenken. Meine kleine Schwester zuckte mit den Schultern. „Ist jetzt die Dritte. Zwei kommen noch. Sie meint sie kann es schaffen, wenn sie genug lernt." Ich sah CJ an „Lernt sie?" CJ grinste breit. „Ausnahmsweise schon. Hätte ja gedacht mit Gil wird das nichts, aber anscheinend hab ich mich geirrt." Im nächsten Moment schlug sie mich gegen die Schulter. „Aua." Das war dann aber auch erst mal alles, was sie dazu sagte, wie sauer sie auf mich war. Ich ließ zu, dass sie sich noch mal an mich drückte und mich dazu brachte, ihr einen Kuss auf den Kopf zu hauchen, wie als sie noch klein war, und dann ging auch sie wieder. Ich nahm erneut meinen Seesack und betrat das große Gebäude des Geländes wieder. Lang ists her.

Ich ging über den Flur und bog in das Zimmer ein. Es war das gleiche Zimmer wie letztes Jahr, zu Anfang. Das hatte ich schnell heraus bekommen, zumal der Name auch an der Tür stand, am Schild daneben. Überall lagen auch Carlos Sachen. Es kam mir vor als wären es weniger geworden. Ich zuckte mit den Schultern. Aber sie waren da und geordnet. Auch Dudes Bett stand da. Ich sah mich weiter im Zimmer um. Die Badezimmertür ging auf und ein Junge sah mich verwirrt an. Ich sah zurück. Stimmt, da ich nicht da war, hatten sie Carlos einen neuen Zimmerkameraden zugeteilt. „Bin schon wieder weg. Hab mich vertan." Ich machte auf dem Absatz kehrt und ließ den armen Jungen alleine. Also doch direkt zur Guten Fee und mich anmelden. Ich presste meine Lippen aufeinander. Ich wettete nicht, dass mein Besuch sie überraschen würde.

Die Nummer vom Zettel hatte mir den Weg gewiesen. „Direkt bei deinem ursprünglichen Zimmer letztes Jahr." hatte die Gute Fee gesagt. Ja, hier war es. Ich ging hinein. Ganz direkt nebenan.

Unexpectedly 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt