Kapitel 29

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Harry Hook:

"Herr Lehrer." Ich winkte wild in die Luft während ich neben Carlos kniete. "Lass das." zischte der Wuschelkopf. "Nein." Ich winkte weiter während der Sportclubleiter auf uns zu kam und auch die anderen sich mittlerweile um uns sammelten. Ich hatte mich bereits vergewissert, dass er nicht in Lebensgefahr war. "Du brauchst Hilfe." "Dann hilf mir eben." knurrte Carlos und krümmte sich erneut, mit Aufstehen war wohl nichts. "Vergiss es, ich fass dich doch nicht an, wenn du das nicht willst. Hinterher verbrennst du mich noch." "Harry!" Carlos Stimme klang verzweifelt. Vor Schmerz, Unwollen und irgendwie auch Bitte. Ich seufzte und schob meine Arme um seine sitzende Gestalt. Ich hob ihn hoch. "Ich bring ihn auf die Krankenstation." Ich verließ unseren Platz als der Lehrer gerade schnaufend angekommen war. "Das machst du nicht!" zischte Carlos so laut, dass nur ich es hören konnte und ich sah eine Träne in seinem Auge glitzern. Er sah mich nicht an, aber dadurch, dass sich auf meinen Armen befand, hatte ich sein Profil gut im Blick. 

Ich presste meine Lippen fest aufeinander. "Hast du dir irgendwo weh getan?" fragte ich, setzte ihn auf der Umkleidebank ab und wühlte in seiner Tasche nach einem der Müsliriegel, die er immer dabei hatte. "Nein." Er presste seine Lippen krampfhaft aufeinander und drückte seine Hände immer noch auf seinen Bauch. Ich hielt ihm den Riegel hin und sah mir dann seine Nase an. Sie war noch heil, wahrscheinlich würde er trotzdem ein paar blaue Flecken von seinem Sturz bekommen. "Lass mich los." knurrte Carlos biss aber dennoch gierig in seinen Riegel. Gut so. Ich legte meine Hand kurz auf seinen Bauch, nicht, dass ich das doch missverstand. Er sah mich kauend argwöhnisch an. Ich warf ihm seine Jacke hin und er zog sie an während ich meine Sachen zusammen packte und ebenfalls in meine Jacke schlüpfte. "Du bringst mich nicht zur Krankenstation!" erklärte Carlos bissig als wir draußen waren. 

"Okay. Da gibt es eh nichts zu essen." Ich drückte ihm noch einen Riegel in die Hand. "Kannst du selbst bis zum Haus laufen oder muss ich dich gleich wieder vom Boden aufheben?" "Mir geht es gut! Lass mich in Ruhe!" Carlos knurrte bevor in den Müsliriegel biss. "Geht es dir nicht. Du hast selbst gesagt, dass du Hilfe brauchst also musst du da jetzt durch. Ich lasse nicht zu, dass du irgendwo im Graben landest und erfrierst. Weil du zu stolz bist." Ich ging neben ihm her. Er hatte sich zurück zu den Häusern aufgemacht. "Ich bin nicht stolz!" "Solltest du aber sein." Es war nicht schön, ihn so zu sehen. Selbstzerstörerisch. Aber daran konnte ich nichts ändern, das war sein Ding. Er machte auch ziemlich deutlich, dass er meine Hilfe da nicht wollte. "Auf was sollte ich denn.. Ach egal!" Carlos stapfte einfach weiter. Ich ging zum Kiosk und kaufte etwas. Carlos wollte in den Wald abbiegen, aber ich lenkte ihn wieder auf das Gebäude zu. Mit mangelnder Energiezufuhr hatte er hier draußen nichts zu suchen. 

Ich drückte ihm den Schokomuffin in die Hand. Er sah mich an. "Essen." sagte ich nur und sah wieder geradeaus. Ich wollte ihn nicht länger ansehen als nötig... "Ich hab keinen Hunger mehr." sagte er. "Trotzdem." Satt gemacht konnten ihn die zwei Riegel nicht. "Dann wird mir schlecht!" Carlos fuhr mich an. Er hatte sich herum gedreht und funkelte mich wütend an. "Dafür kann ich nichts." knurrte ich. Ich war nicht an allem Schuld. Er sah mich drohend an bevor er auf unseren Schlafflur abbog. Ich folgte ihm, zumal ich noch seine Tasche trug. Es war still, alle waren noch anderweitig beschäftigt. Ich schubst ihn in die Aufenthaltsnische an der Seite. Hier standen mehrere Sofas und Regale. "Hey!" "Setz dich bevor du umkippst!" Jetzt knurrte ich mal. Er war schon seit längerer Zeit kurzatmig und er hatte auch angefangen zu schwanken. Außerdem war ich noch nicht fertig. Er wollte nicht, dass ich ihn in die Krankenstation brachte, dann stand er eben unter meiner Beobachtung. Allerdings waren unsere Zimmer nicht der richtige Ort dafür. Carlos kam etwas zu Ruhe als erst einmal sämtliche Bewegung aus ihm genommen worden war. 

"Die Meditation hilft also nicht mehr?" fragte ich ihn und sah an ihm vorbei aus dem Fenster hinter ihm. Ich spürte Carlos Blick kurz stechend auf mir. "Deine Arme und hast du vergessen, dass ich dich vorletzte Nacht aus deinem Albtraum geweckt hab?" Ich sah auch ohne ihn direkt anzusehen, wie er etwas rot wurde. Hätte gedacht, dass er das unter Kontrolle gebracht hatte, wie viele seiner liebenswürdigen Eigenschaften. Er musste mich nicht mehr dauernd ansehen oder nach meinem Geruch atmen, wenn er in meiner Nähe war. Meine Hand landete auf meiner Jacke neben mir und ich sah ihn doch kurz an. "Das war eine Ausnahme! Es geht dich gar nichts an, was ich mache." 

"Du träumst also nur schlecht, wenn ich da bin?" Ich runzelte die Stirn. "Nein!" Er funkelte mich an. "Ist doch egal. Lass mich einfach in Frieden." Dann schien ihm was anderes einzufallen. "Du hast dich mit Jay geprügelt!" Sein Blick wurde vernichtend. Ich zuckte mit den Schultern "Ja." Es brachte nicht es abzustreiten, außerdem hatte ich mir geschworen ehrlich zu ihm zu sein, wenn wir uns wiedersahen. "Ich hatte dir gesagt, du sollst meine Freunde nicht angreifen! Das darfst du nicht! Und zwar nicht, weil du dann direkt wieder von der Schule fliegen wirst, sondern, weil ich dir dann die Hölle heiß machen werde!" Er beugte sich angriffslustig vor. Das machte ihn wirklich wütend. "Vielleicht will ich das ja?" Ich sah wieder an ihm vorbei, "Momentan kannst du dich noch nicht mal lange auf den Beinen halten. Schlafmangel gibt auch seinen Teil dazu." 

"Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!" Carlos wurde ungehalten. Ich sah ihn an. Unser Blick traf sich. Dann löste ich die Verbindung wieder. "Du hast keine Ahnung was ich kann! Du warst nämlich nicht da." "Alle sprechen darüber, also hast du nicht einem davon erzählt." verbalisierte ich meine Beobachtung. Sein 'Es geht dich nichts an, was ich sage.' blieb aus. "Dazu gab es keinen Grund." Ich nickte langsam. "Das glaub ich gern." Diesmal warf ich ihm einen bösen Blick zu. Ich konnte gar nicht anders. Er war wirklich nicht gut mit sich umgegangen. Ich verschränkte meine Arme. Ich hatte keine Lust noch weiter zu reden. Carlos schien das Thema feurige Gabe auch nicht weiter vertiefen zu wollen. "Rühr sie noch einmal an und ich grill dich." drohte er mir doch noch. Ich schluckte. Ich hatte ihm schon mal gesagt, dass ich nicht lebensmüde war, das war auch nach den Monaten noch so. "Ich werde mir Mühe geben." Carlos schnaubte. Er glaubte mir nicht. 

Stimmen wurden im Haus laut. Wir standen auf. Carlos hielt seinen Muffin immer noch in der Hand. Ohne mich anzusehen ging er zu seinem Zimmer. Er drehte sich, an seiner Tür, zu mir um. Er streckte fordernd seine Hand aus. Ich hatte seine Schlüssel. "Meine Sachen." verlangte er. Ich gab ihm seine Sporttasche und wandte mich meiner Tür zu. Schweigend ging ich hinein.

Unexpectedly 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt