FERGUS
Afghanistan 2012
Die Hitze ist unerträglich. Die Sonne brennt stundenlang auf uns hinab, wie auf Hühnchen in einem Ofen und langsam fühle ich mich auch so. Ausgelaugt und fertig mit den Nerven. Fertig mit diesem Land. Der staubige Boden, dem elendig heißem Wetter und der beschissenen Gruppe, die unser Lager gestern Nacht, in der Nähe von Baglan, angegriffen hat. Ich bin fertig mit diesem verdammtem Land und will nur noch nachhause.
»Noch zwei Wochen, dann trinken wir Tequila in Cancún und klären uns heiße Chicas«, ertönt die lachende Stimme meines Freundes aus dem Funkgerät. Ich stimme mit ein. Auf den Urlaub freuen wir uns seit unserem ersten Abend hier. Neal und ich sind zusammen angekommen und teilen uns ein Zimmer. Er ist mein bester Freund, seit ich denken kann. Wir haben verdammt viel scheiße durchgemacht. Auch wenn wir nicht dasselbe Blut teilen, ist er wie mein Bruder. »Erstmal müssen wir den Auftrag erledigen und wieder zurück. Ich habe gehört heute Abend findet ein Barbecue statt.«
»Auf was du einen lassen kannst, Joe hat Steak in einer der Container entdeckt. Hoffen wir mal, dass er es nicht versaut«, lacht er. Meine Mundwinkel zucken in die Höhe, während ich einen Schalter am Cockpit umlege. Meine Hände halten die Steuerung fest, das Leder ist schon etwas abgenutzt von all den Einsätzen. Aber ich liebe diesen Jet. Er begleitet mich schon seit vielen Jahren. Ich könnte mir niemals vorstellen, ihn nicht mehr zu fliegen. Es gehört zu mir wie die Luft zu atmen. Hier oben fühle ich mich frei, fern von all meinen Sorgen dort unten. Der Ausblick ist gut und die Stille angenehm. Wenn ich könnte, würde ich für immer fliegen.»Schau mal auf neun Uhr«, ertönt Neals Stimme erneut aus dem kratzigem Funkgerät. Ich neige meinen Kopf in die besagte Richtung und entdecke ein kleines Camp auf dem sandigen Boden. »Gehören die dazu?«
»Die Bodentrupps haben sie gecheckt, es sind wohl nur Zivilisten.«
Skeptisch lehne ich mich zurück und schaue auf den Notizzettel, der auf meinem Knie klebt. Dort sind die Koordinaten für unser Ziel. Es ist ungenau, da es mitten in der Wüste ist. Aber eins steht fest, bald wird davon nichts mehr übrig sein. Am Boden meines Jets sind mehrere Tonnen Sprengstoff montiert. Nachdem diese Bastarde unser Camp angegriffen haben und einige der Soldaten in Lebensgefahr schweben, haben wir den Befehl bekommen dieses Problem zu beseitigen, bevor es größer wird. Die Gegend ist seit Jahren von Rebellen und Terroristen besetzt, die sich immer wieder wagen uns anzugreifen. Neal, die anderen Piloten und ich sind dafür zuständig, dass es sich nicht wiederholt.
»Hoffentlich kommen wir bald an. Ich sehne mich nach einem Bier und einer Dusche«, erklingt Henrys Stimme aus dem Jet links von mir. Wir stimmen lachend ein. Den meisten geht es ebenso. Ich hebe kurz die Hand und deute ein okay an, grinse ihm zu und schüttle nur den Kopf. Durch die Scheibe sehe ich wie er seinen Kopf in den Nacken wirft. Sein herzliches Lachen erklingt in meinen Ohren. »Nur noch ein paar Wochen Jungs«, erinnert er und zuversichtlich, »dann gibts Urlaub.«
Ich hoffe es sehr. Nach den letzten Monaten haben wir uns das alle verdient.Auf dem Radar vor mir erscheint plötzlich ein kleiner roter Punkt. Verwundert kneife ich meine Augen zusammen und versuche ihn besser zu erkennen. »Unidentifiziertes Objekt, zwölf Uhr.«
»Das sieht nicht wie ein Jet aus. Was ist das?«, fragt Cole. Er fliegt schräg hinter mir.
»Alpha hier ist Gus, nicht identifizierbares Objekt auf zwölf Uhr, zirka fünfzehn Fuß über dem Boden«, funke ich zurück an die Base. Es beginnt zu rascheln in der Leitung. »Alpha hört. Wir lokalisieren es nicht weit vom Ziel entfernt. Unsere Truppen in der Nähe zeigen uns eine Art.... selbstgemachte Drohne an«, erklärt der Mann uns. Grübelnd werfe ich einen erneuten Blick auf die Koordinaten. Keine fünf Minuten bis zum Ziel.
»Wozu brauchen die Drohnen, Alpha?«
»Anscheinend ist das eine Art Alarmanlage, Gus. Sein sie vorsichtig.«Ich atme aus. Diesen Spinnern traue ich wirklich alles zu. Aber Drohnen mitten in der Wüste?
»Fuck«, ertönt Neals stimme plötzlich. Ich sehe ihn durch die Scheibe des Cockpits rechts von mir. Er starrt geradeaus. Je näher wir dem Lager kommen, desto klarer wird das Bild. »Alpha, kommen. Die Rebellen haben Raketen. Sie haben-«
Nun sehe ich es auch. Ein greller Schein jagt direkt auf uns zu. Keine Sekunde später rauscht sie haarscharf an mir vorbei. Ich kann gerade noch ausweichen.
»Gus an Alpha, wir stehen unter Beschuss!«
Kaum habe ich den Funkspruch abgesetzt schießt schon die nächste auf uns zu. »Verdammte Mistkerle!«, fluche ich und schieße die Rakete ab. Doch solange wir keine Freigabe von der Base bekommen das Lager dem Erdboden gleich zu machen, darf ich nur die Raketen abschießen und versuchen nicht draufzugehen. Ich ziehe den Jet nach oben. Je höher ich steige desto größer sind meine Chancen. Diese Hinterwäldler haben nicht ansatzweise so gute Waffen wie sie denken. Diese Dinger fliegen nicht sehr hoch und weit. Sie sind für den Abschuss von Jets bestimmt, die nicht weit entfernt sind.
»Gus hier ist Alpha, es gibt noch keine Freigabe«, dringt es mir in die Ohren. Ich beiße mir auf die Lippe und fluche leise vor sich hin. Die nächste Rakete fliegt an uns vorbei. Unsere Formation hat sich aufgelöst. Die anderen fliegen weiter vorn. Henry versucht sich aus der Nähe ein Bild über die Lage zu machen. Er feuert ein paar Schüsse ab, während Neal die nächste Rakete abfängt. Krachend zerberstet sie in der Luft, nur wenige Meter unter uns. Ich schaue zu meiner rechten und sehe, wie Neal mich anschaut. Auf ihn kann ich mich immer verlassen.Die nächste fange ich ab. Cole sprengt ein kleines Stück Sandboden in die Luft, nicht weit entfernt. Er will ihnen Angst machen, was offensichtlich nicht funktioniert. Plötzlich fliegen zwei gleichzeitig, direkt auf uns zu. Ich drehe in einem riskanten Manöver ab und feuere zurück. In meinen Adern rauscht das Adrenalin, das ich immer dann spüre, wenn ich hoch über den Wolken bin. Es ist der Kampfgeist, der mich weitermachen lässt. Ich tue das für die Opfer dieser grausamen Menschen.
Ich kann die Rakete gerade so abfangen, bevor sie mich trifft. Doch es tut einen gewaltigen Schlag und ich reiße den Kopf herum. Die zweite ist in Neals Flügel eingeschlagen und der Jet verliert an Höhe. »Neal zieh nach oben!«, schreie ich ins Mikro, während die anderen stimmen in meinen Ohren die Basis anfunken und wirr durcheinander sprechen. In diesem Moment liegt meine gesamte Aufmerksamkeit auf meinem besten Freund. »Ich ... ich versuche es«, ruft er angestrengt und stößt einen Schrei aus. Ängstlich sehe ich zu wie er immer mehr an Höhe verliert. »Du schaffst das! Versuch zu landen. Vor uns ist nur Sand. Komm schon!«
»Fergus ich gebe mein bestes!«, schreit er und ich höre die Geräte im Hintergrund piepen. Er stößt einen barbarischen Schrei aus, Sekunden bevor eine weitere Rakete ihn trifft und direkt in sein Cockpit einschlägt.»Nein!«, schreie ich und beginne auf das Lager zu schießen. Mein Herz bricht und lodert so wie der Feuerball, in dem der Jet meines besten Freundes soeben aufgeht. Tränen rinnen mir aus den Augen, hinab über meine Wangen. Ich will jeden einzelnen dieser Kerle eigenhändig ausweiden. Sie leiden lassen, quälen und foltern, bis sie vor lauter Schmerz nicht mehr flehen können.
Nur schwach bekomme ich mit wie die Basis endlich die Abschusserlaubnis erteilt. Ich zögere keine Sekunde und drücke den roten Knopf so oft ich kann, bis jede einzelne Bombe meines Jets dort auf dem Boden liegt und sie alle dem Erdboden gleich macht. Das Lager verpufft in Rauch und Asche. Ohne auf einen weiteren Befehl zu warten, drehe ich ab und blicke hinab auf die Absturzstelle meines Bruders. »Das Ziel ist ausgelöscht. Conner ist Tod. Ich wiederhole, Neal Conner ist Tod.«
»Copy Gus. Kommen sie zurück zur Basis, die Bergungsteams sind schon unterwegs.«~
Die vergangene Stunde ist die schlimmste meines Lebens gewesen. Als die Triebwerke still stehen hüpfe ich aus meinem Jet und breche am Boden der Basis zusammen. Ich reiße mir meinen Helm vom Kopf und werfe ihn neben mich. Meine Hände krallen sich in den staubigen Boden der Wüste, auf der Suche nach etwas halt. Niemand kann meinen Schmerz lindern. Nichts der Welt könnte rückgängig machen was gerade geschehen ist. Neal ist Tod, gestorben vor meinen Augen.
Meine Tränen fallen wie Bäche auf den Sand. Mir ist egal wie viele Menschen um unsere Truppe stehen. Ich beginne zu schreien, trete den Arzt weg, der mir aufhelfen will. In mir ist so viel Hass und Wut. So viel Herzschmerz und Trauer, das ich drohe zu ersticken. Ich raufe mir die Haare und schüttle meinen Kopf, als würden die letzten Stunden einfach verschwinden. Aber das tun sie nicht. Vor mir schwebt Neals Gesicht. Seine letzten Sekunden spielen sich immer wieder vor meinem inneren Auge ab und erst die Spritze in meinem Oberarm, die meine Welt in Finsternis haucht, setzt dem ein Ende.Neal Conner ist Tod und der alte Fergus ebenso. Nichts wird wieder so wie es war. Nicht ohne ihn. Er war alles für mich.
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Serpent King | 18+
RomanceFergus Duncan, ein drogenabhängiger Ex-Soldat lernt Ludmila Karakov kennen, eine junge Frau die verzweifelter nicht sein könnte und sich in die eisigen Fluten des Meeres stürzen will. Ihr letzter Ausweg vor einer Heirat mit einem Mann, der ihr Vater...