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MILA

Ihre Worte hallen mir noch einige Zeit in den Ohren nach. Es dauert zehn weitere Minuten, bis sie geht. Davor hat sie sich erneut nach Fergus' Zustand erkundigt. Ich habe ihr versichert das wir ein Auge auf ihn haben. Sie hat mir ein schmales Rezept gereicht, das ich in der Apotheke einlösen soll. Es sind erneut die Tabletten, die er schon bekommt. Außerdem soll ich ihm ausrichten, dass er sich spätestens in zwei Wochen bei ihr melden soll.
Nachdem sie weg ist lehne ich mich rückwärts gegen die geschlossene Haustür und atme tief durch. Meine Augen sind starr auf die lange Holztreppe gerichtet, die ins obere Stockwerk führt. Es ist verdächtig ruhig im Haus. Einen Moment gönne ich mir, dann laufe ich hinauf, um nach Fergus zu sehen. Man weiß nie.

Tatsächlich ist er nirgends zu sehen als ich das Gästezimmer betrete und mich auf der Stelle herumdrehe. Die Badtür ist abgelehnt, die Dusche steht still. »Fergus?«, frage ich zaghaft und klopfe an. Ich höre ihn sich räuspern, aber nicht antworten. »Ich komme jetzt rein«, lasse ich ihn wissen, bevor ich eintrete. Der dunkelhaarige Schotte mit den braunen Augen sitzt geschafft neben der Toilette auf dem Boden, den Kopf in den Nacken gelehnt, den Rücken gegen die Fließen hinter ihm. Mit angewinkelten Beinen atmet er tief durch und kneift die Augen zusammen. Neben dem Waschbecken sehe ich die Schachtel Tabletten. Schluckend sinke ich neben ihn zu Boden. »Ist alles in Ordnung?«, frage ich besorgt. Keinerlei Reaktion seinerseits. Zögernd lege ich meine Hand auf seinen Unterarm und rutsche näher. Meine Finger verdecken den Beginn einer Schlange, die sich über seinen Arm hinauf in sein Shirt zieht. Seine Haut ist wärmer als gestern Abend. Ein gutes Zeichen. Behutsam streiche ich meinen Daumen über die schwarze Tinte. »Hat das wehgetan?«
»Nein«, brummt er kehlig, mit Schlaf belegter Stimme, »...hat es nicht.«
»Ich wollte mir auch mal eins stechen lassen«, hebe ich zu. Endlich schaut er auf mich hinab. Selbst wenn ich ihn nicht ansehe, spüre ich seine Augen auf mir ruhen. Ein Lächeln zupft an meinen Mundwinkeln.
»Du?«, fragt er ungläubig. Ich nicke bestätigend und drehe seinen Unterarm herum, sodass ich die Innenseite sehe. »Genau da hin«, zeige ich und streife die dünne Haut über seiner Pulsader. Ich spüre sie unter meiner Fingerkuppe pochen. Mutig schiebe ich meine Hand in seine. Fergus umschließt sie fest und zieht sie zu sich. »Du solltest deine reine Haut nicht damit verunreinigen«, rät er mir davon ab. »Wieso nicht? Du hast auch welche...«
»Weil mich jedes davon abgehalten hat mich umzubringen. Wenn die Nadel unter meine Haut schießt und der Schmerz sich in meinen Kopf brennt, hat er die düsteren Gedanken zum Schweigen gebracht. Ich mag sie, keine Frage, aber sie waren nur Mittel zum Zweck«, gesteht er. Ich mag das er so ehrlich zu mir ist. Es fühlt sich gut an endlich mehr über ihn zu erfahren. Vielleicht ist dies der erste Schritt in die richtige Richtung. »Erzähl mir von dem an deinem Hals«, bitte ich und schaue ihm in die Augen. Das warme Bernsteingelb blickt mir müde entgegen. »Die F-35? Hab ich mir nach meinem ersten Einsatz stechen lassen. Ich wusste nicht in was ich mein erstes Gehalt investieren soll«, erzählt er, ohne zu blinzeln, ohne sich abzuwenden. Ich lehne meinen Kopf gegen die Wand hinter mir und ziehe unsere Hände auf meinen Schoß. Meine Finger streifen den weißen Verband, den ich gestern um seine Verletzungen gewickelt habe. Ich will ihm keine Schmerzen bereiten, deswegen bin ich vorsichtig. »Das ist das Flugzeug, mit dem Du geflogen bist?«, versichere ich mich. Von Flugzeugen habe ich genau so viel Ahnung wie vom Autofahren, nämlich keine. Fergus nickt knapp. »F-35b. Die steht noch im Hangar.«
»Hier am Flugfeld?«
»Ja.«
»Wir sollten sie besuchen«, schlage ich vor. Er scheint es nicht für eine gute Idee zu halten. Kaum habe ich die Worte ausgesprochen verwandeln sich seine Lippen zu einer festen Linie. »Ich bin nicht mehr geflogen seit ... ich glaube sie würde nur Erinnerungen wecken, die ich vergessen will«, lehnt er ab. Die Knie anziehend lege ich meinen Kopf schief. Ist es das, was Mrs McMiller gemeint hat? Das ich nun darauf eingehen soll? Er spricht offensichtlich über seine Zeit als Soldat. Wage ich es? Oder mache ich doch einen Rückzieher? Ich werde mich trauen. Mutiger werden, denn im Moment sehe ich das er fertig mit allem ist. Er wird mich nicht anblaffen oder wegstoßen. Dafür hat er keine Kraft.

»Das Modell, das dir so am Herzen lag...«, beginne ich ernst und Kreise meinen Daumen über seinen verbundenen Handrücken, »Das war von deinem besten Freund, oder? Hat Henry es in der Wohnung gefunden?«
»Es steht in seinem Schlafzimmer, da ist es vorerst sicher«, antwortet er. Fergus ist der erste, der unseren Augenkontakt abbricht und ziellos geradeaus starrt. »Und ja, es ist von meinem besten Freund. Er ist bei meiner letzten Mission gestorben...«, gibt er flüsternd zu. Ich sehe den Schmerz in seinen Augen, während er spricht. Ausatmend kneift er sie zusammen und wischt sich mit der gesunden Hand über die Stirn. Es muss ihm wahnsinnig schwerfallen, weiterzusprechen. Seine Hand verkrampft sich in meiner und quetscht meine Finger sachte. Ich kann spüren, wie sehr es ihn mitnimmt.
»Wie ist er gestorben?«, traue ich zu fragen.
»Eine Rakete hat seinen Jet getroffen. Er war sofort Tod. Ich habe gesehen, wie er abgestürzt ist. Es... Ich hätte es verhindern müssen...«
Fergus rauft sich seine Haare und atmet schmerzlich aus. Es zerreißt mir mein Herz ihn so zu sehen. Niemand hat verdient seinen Freund sterben zu sehen. Ich kann mir nicht vorstellen was es für ein Gefühl sein muss so nah und doch so machtlos zu sein. Mitzuerleben wie dein Seelenverwandter stirbt. Kein Wunder, wieso er süchtig war. Er hat versucht seine Erinnerungen und Gedanken in Drogen zu ertränken, ihn stumpf und vergesslich zu machen. Ihm seine bösen Gedanken zu rauben.
Augenblicklich muss ich an meinen großen Bruder denken. Mrs McMiller hat recht. Es ist nur fair, wenn wir beide die Karten auf den Tisch legen. »Ich weiß, wie das ist. Bis jetzt habe ich noch niemandem von meinem Bruder erzählt...«, hauche ich gekränkt und umschließe seine Finger mit beiden Händen, »er war alles für mich. So wie dein bester Freund für dich, nehme ich an.«
Fergus nickt, meinen Blick meidend.

»Er war auch Soldat und ist im Einsatz gestorben. Mein Vater hat mir nie verraten was passiert war, aber ich weiß, dass er vom Himmel aus über mich wacht und dafür sorgt das die Sterne weiter leuchten. Neal war der beste große Bruder auf der Welt. Er hat mich beschützt und mir die Liebe gegeben, die ich nicht von meinen Eltern bekommen habe. Würde er noch leben, würde er nie zulassen, dass mein Vater mich verheiraten will.«

Serpent King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt