MILA
Als ich aufwache, muss ich feststellen, dass der Himmel genauso ausschaut wie gestern. Das kann kein Zufall sein. Gott will mir etwas sagen. Er will mich wissen lassen, dass ich schleunigst so weit wie möglich von meiner Familie verschwinden sollte. Und da hat er nicht mal unrecht. Seit ich hier gelandet bin, hat nicht einmal die Sonne geschienen. Das hätte mir schon spanisch vorkommen müssen. Vermutlich hätte ich mich nicht mal vom Flughafen entfernen dürfen. Selbst wenn das Flugzeug meiner Familie gehört. Aber das allerbeste wäre gewesen, hätte mich dieser unfreundliche Schotte gestern nicht aus den eisigen Fluten des Atlantiks gerettet. Dann hätte ich schon meinen Frieden. Doch das ist mir nicht vergönnt.
Zugegeben habe ich gut mit dem Wissen geschlafen, das mein Vater mich hier nicht finden wird. Das Bett, in dem ich genächtigt habe, ist bequem, die Decke und das Kissen weich wie Federn. Ich habe so gut wie seit langem nicht mehr geschlafen.Selbst jetzt, als ich mit einem Becher Joghurt auf dem Sofa sitze und aus dem Fenster neben dem Fernseher starre, hat sich sowas wie Frieden in mir breitgemacht. Dieser Mann, mit dem merkwürdigen Namen Fergus, muss noch schlafen. Ich habe ihn heute noch nicht gesehen. Ob er überhaupt wiedergekommen ist? Ich weiß es nicht. Es ist mucksmäuschenstill hier oben. Den Becher auslöffelnd schaue ich mich in den vier Wänden um. Bilder entdecke ich weit und breit nicht. Keine Familienfotos oder Bilder mit Freunden. Im Flur auf der Kommode, unter der sich Schuhe stapeln, liegen Schlüssel und Kleinkrams. Jacken hängen gleich daneben an der Wand. Unter dem Fernseher im Wohnzimmer steht eine silberne Nachbildung eines Kampfjets. Doch selbst die schaut schon alt aus und ist mit Staub bedeckt, so als hätte er sie seit Jahren nicht mehr angerührt. Er scheint nicht oft hier zu sein.
Mit dem Löffel zwischen den Lippen, lehne ich mich in die weichen Polster des Sofas zurück. Was soll ich nun tun? Meine Handtasche aus meinem Hotelzimmer zu bekommen, ist fast unmöglich. Es ist gut bewacht und mein Vater wird seit meinem Verschwinden alle Hebel in Bewegung gesetzt haben, um mich zu finden. Aber ohne Geld, sitze ich auf der Straße und er wird mich noch viel schneller finden, als mir lieb ist. Mir bleibt nicht viel Spielraum.
Verzweifelt raufe ich mir meine langen, braunen Haare. Ich scheine nur so von einer in die nächste Misere zu rutschen, so als hätte man mir so mein Leben ausgelegt. Verdammt, ich komme mir wie in einem Teufelskreis vor. Mit dem Unterschied, das min Vater sicher keinen Finger für den Teufel rühren würde. Er ist so besessen davon, dass ich diesen Mann heiraten soll. Nur weil er viel Geld und Einfluss hat. So wird es in meiner Familie schon seit Anbeginn der Zeit praktiziert. Es ist altmodisch und ich fühle mich allein gelassen. Niemanden interessiert, was ich selbst möchte. Wie ich mir mein Leben vorstelle oder wen ich heiraten möchte. Schon seit ich denken kann, werde ich überall hingefahren. Bodyguards die mich selbst in die Grundschule begleitet haben. Bis zum heutigen Tag, bin ich ein einziges Mal allein in einem Auto gefahren. Bei diesem Fergus in seinen Jeep zu steigen, war tatsächlich das erste Mal. Geschweige denn selbst gefahren, versteht sich. Gott, ich wäre so aufgeschmissen. Ich bin Mitte zwanzig und weiß nicht, wie man fährt.
Die Wohnungstür klappert verdächtig. Aus meinen Gedanken gerissen, stecke ich den Löffel in den leeren Joghurtbecher und erhebe mich, um den Kopf neugierig in Richtung Flur zu strecken. Es ist Fergus. Das fast schwarzhaarige Schotte mit der gleichfarbigen Jacke und dazu passendem Shirt und Hose, marschiert mit zwei Tüten geradewegs an mir vorbei. Juchzend stellt er sie auf der Platte der Kochinsel ab und stemmt sich die Hände in die Hüften. »Du bist immer noch hier«, stellt er ungenügsam fest. Lippenbeißend versenke ich den leeren Becher im Mülleimer und lege den Löffel in die Spüle. »Ja?«, erwidere ich ungläubig, »wenn ich mit dem Ballkleid durch die Stadt laufe, sitze ich auf dem Präsentierteller für meinen Vater«, erkläre ich. Fergus wird hellhörig. Mit gehobenen Augenbrauen beginnt er seine Einkäufe auszupacken.
»Ist es der, vor dem du gestern abgehauen bist?«
»Das geht dich nichts an, fürchte ich.«
Der Schotte schnaubt und presst seine Lippen fest aufeinander. »Ach ja? Dann solltest du dich schleunigstens aus meiner Wohnung verpissen, kleine.«
»Nenn mich nicht kleine!«, fahre ich ihn an. Seine Augen werden immer schmaler, so wie die einer Schlange, bevor sie zuschnappt.
»Sag mir noch einmal, was ich in meiner Wohnung zu tun und zu lassen habe, oder-«
»Oder was?«, zische ich ihn an und packe nach seinem Arm, als er an mir vorbei will. Ich will ihn aufhalten. So blitzschnell wie ich ihn gefasst habe, so schnell drückt er mich gegen die offene Tür des Kühlschranks. Ich stolpere nach hinten und die Tür knallt zu, mein Rücken dagegen. Stöhnend reibe ich mir meine Schulter und schaue Fergus entgegen, der mit dem Finger auf mich zeigt. »Fasst du mich nochmal an, dann hast du keine Hände mehr«, droht er mir leise. Mein Herz schlägt ängstlich auf. Seine Augen triefen nur so vor Hass. Vor lauter Gehässigkeit und Unzufriedenheit. Wer kann denn ahnen, dass er so allergisch gegen Berührungen ist? Ich jedenfalls nicht.»Und jetzt verpiss dich aus meiner Wohnung!«, donnert er weiter und scheppert seine Zimmertür hinter sich zu. Sprachlos lehne ich mich gegen das Metall des Kühlschranks und atme durch. Tränen treten mir in die Augen, als mir klar wird, dass ich noch vor heute Abend wieder bei meinem Vater sein werde. Gott sei meiner Seele gnädig. Das würde ich nicht aushalten. Er würde mich bis zu meiner Hochzeit einsperren und mich anschließend bis an den Altar schleppen. Er würde mir mein eh schon miserables Leben, endgültig zur Hölle machen. Dabei war er früher solch ein guter Vater. Seit mein Bruder tot ist und ich die Einzige bin, die alles erben wird, hat er sich verändert. Er ist bösartig geworden und versessen darauf, das ich in ein reiches Haus einheirate. Er ist um seine Firma besorgter als um seine eigene Tochter. Ich verachte ihn dafür, aber hassen kann ich ihn nicht. Dafür sind mir zu viele Erinnerungen an ihn geblieben, in denen er lieb war. Damals als mein Bruder noch lebte...
Schniefend wische ich mir die Tränen von den Wangen und stelle die Einkäufe kalt.
Vielleicht laufe ich erneut zum Strand und diesmal wird mich niemand aufhalten. Ganz sicher nicht.
Ich werde es zu Ende bringen.
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Serpent King | 18+
RomanceFergus Duncan, ein drogenabhängiger Ex-Soldat lernt Ludmila Karakov kennen, eine junge Frau die verzweifelter nicht sein könnte und sich in die eisigen Fluten des Meeres stürzen will. Ihr letzter Ausweg vor einer Heirat mit einem Mann, der ihr Vater...