MILA
Der Himmel ist grau am nächsten morgen, doch die Erde trocken. Nachdem es den gestrigen Tag geregnet hat, drückt sich heute die Sonne durch die dicke Wolkendecke. Die ersten Strahlen kitzeln meine Wangen als ich vor den Waschbecken in der Küche stehe und zum Fenster hinausblicke. Das stetige Geräusch der Flugzeuge ist zu hören, manchmal klappern sogar die Tassen im Schrank wenn eines dieser Dinger über uns fliegt. Ihm Wohnzimmer habe ich ein Bild von Henry entdeckt. Zumindest nehme ich an, das er es ist. Er trägt einen Helm, genau wie die vier Männer neben ihm. Zusammen stehen sie vor eines der Kampfflugzeuge. Ich habe es eine halbe Stunde angestarrt und darüber nachgedacht, welcher von ihnen Fergus sein könnte, es schließlich aufgegeben. Nachfragen will ich nicht, Henry schläft nach seiner Nachtschicht und Fergus will ich nicht stören. Er ist vor einer Stunde unter der Dusche verschwunden. Vermutlich hat er sich schon wieder schlafen gelegt. Seit dem Kuss haben wir kein Wort mehr miteinander gewechselt, was mir schwer im Magen liegt. Ich weiß nicht was er darüber denkt. Sicher ist es ihm nur gegen den Strich gegangen. Ich würde zu gern seine Meinung hören...
Es klopft so zaghaft an der Tür, das ich zuerst glaube mich verhört zu haben. Erst nach dem dritten Mal greife ich meine Kaffeetasse und laufe auf die Haustür zu. Ich drücke die Klinke nach unten und ziehe das Stück Holz auf. Eine blonde Frau steht vor mir. Sie ist hübsch, hat eine Bluse und eine enge Jeans an. In ihren Händen hält sie eine Art Mappe, oder ein Notizbuch. Ich kann es nicht richtig erkennen. »Ja?«, frage ich sie. Gott, ist das Henrys Freundin? Nein, das hätte er doch erwähnt, oder?
»Sie müssen die Frau sein, mit der Fergus hier ist«, lächelt sie und streckt mir ihre Hand entgegen. Verwundert nehme ich sie an und schüttle sie kurz. »Mila«, stelle ich mich vor, »und sie?«
»Tina McMiller. Psychologin«, erwidert mir. Ich atme ein als mir ein Licht aufgeht. »Natürlich, Henry hat davon erzählt... kommen sie rein«, bitte ich sie. Sie soll nicht weiter in der Kälte stehen müssen. »Möchten sie etwas trinken?«, biete ich ihr an. Sie schaut sich im Flur um und schüttelt den Kopf. »Nein danke«, lehnt sie ab. »Wissen sie, ich betreue Fergus, aber er war schon seit über einer Woche nicht mehr bei mir. Ich wollte nur sehen, ob alles in Ordnung ist. Er ist doch zuhause, oder?«, fragt sie neugierig. Ich nicke und deute nach oben. »Er ist im Bad gewesen, vermutlich schläft er jetzt, soll ich ihn weck-«
»Oh nein, nein! Nicht nötig. Wir können uns doch auch ein wenig unterhalten, oder?«, winkt sie lächelnd ab. Ist das ihre Art auszudrücken, das sie mit mir sprechen will? Zögernd deute ich schließlich aufs Wohnzimmer. Zufrieden geht sie voran und sinkt mit ihren, nun erkennbaren, Notizbuch in den Sessel gegenüber dem Sofa augenblicklich fühle ich mich als wäre sie meinetwegen hier. Soll das ein Verhör werden? Lippenbeißend setze ich mich auf die Couch und überschlage meine Beine, stelle die Tasse auf meine Oberschenkel und umklammere sie wie einen Rettungsanker.Mrs McMiller schaut sich kurz im Raum um, mustert mich anschließend. Räuspernd lehnt sie sich zurück und faltet ihre Hände. »Kennst du Fergus gut?«
Ich schüttle meinen Kopf.
»Hm, wieso seit ihr dann zusammen hergekommen?«
»Hat er ihnen das nicht erzählt?«, frage ich und nippe an der warmen Tasse Kaffee, der meine Kehle wohltuend flutet. Nach den letzten Tagen ist es genau das Getränk, was ich brauche um mich wachzuhalten. Aber eine Cola ab und zu wäre auch ganz nett.
Die Psychologin legt den Kopf schief und presst die Lippen aufeinander. »Er hat mir nicht sehr viel erzählt. Das tut er nie. Aber ich nehme an, das sie ihm etwas bedeuten müssen«, sagt sie. Ich verschlucke mich fast am Kaffee. Hustend schüttle ich meinen Kopf. »Niemals. Er hat mich nur aus der Not heraus mitgenommen, wir-«
»Woher kommen sie? Ihr Akzent ist nicht schottischer Herkunft. Es klingt ein wenig-«
»London«, unterbreche ich sie und runzle meine Stirn. Wieso sie das plötzlich wissen will ist mir ein Rätsel. Was hat das mit Fergus und mir zu tun?
»Und ihre Familie? Fergus sagte, das sie Streit mit ihrem Vater hatten. Ist er der Grund, wieso sie sich nicht auf Männer einlassen können?«Ich schnappe nach Luft und setze die Tasse lauter als beabsichtigt auf dem Couchtisch ab. »Also hören sie mal! Das hat überhaupt nichts mit der Sache zu tun! Ich kann mich sehr wohl auf Männer einlassen!«, stelle ich entsetzt klar. Was glaubt sie wer sie ist, mich einschätzen zu wollen? Basierend auf zwei Dingen die Fergus ihr genannt hat?
Ihre Mundwinkel zucken verdächtig. Fuck, denkt sie etwa sie hat genau ins Schwarze getroffen? Sicher nicht. Mir verschränkten Armen starre ich sie an. »Ich kann mich sehr wohl auf Männer einlassen«, untermauere ich meine Worte erneut mit einem ernsten Ton. Rede ich spanisch? Ihr Blick sieht mich immer noch ungläubig an. Pff.
»Erzählen sie mir von ihrem Leben, wie sind sie aufgewachsen?«, bittet sie. »Was nützt ihnen das? Meine Kindheit hat rein gar nichts mit Fergus zu tun«, brumme ich. Langsam wird mir das alles zu viel. Ich will das sie geht.»Ich versuche nur etwas zu finden, an das sie beide gemeinsam anknüpfen können. Glauben sie mir Mila, Fergus braucht jemanden, der ihn unterstützt und sie sind nunmal die erste Person, die er hat. Mit seinen Kameraden spricht er genau so wenig wie mit mir. Es ist mein Job ihm zu helfen, und wenn ich so an ihn herankomme, dann ist es so. Also bitte, erzählen sie mir von ihrem Leben«, erklärt sie mir. Nachdenklich blicke ich ihr in die Augen. Sie sind so warm und herzlich... fast schon beruhigend, genau wie ihre Aura. Ich erinnere mich daran, das sie genau wie andere Ärzte eine Schweigepflicht besitzt. Nichts hier von wird den Raum verlassen. Also entscheide ich mich, etwas preis zu geben.
»Nun Gut... Ich bin in einer großen Villa aufgewachsen. Meine Mom ist schon früh abgehauen und lies mich, meinen Bruder und meinen Dad allein. Sie hat sich wohl an einen saudischen Scheich geschmissen, mit dem sie jetzt in Dubai lebt. Aber ich habe nie Kontakt zu ihr gehabt. Mein Bruder war alles für mich. Nach seinem Tod hatte mein Vater Angst, das alles was er sich aufgebaut hat, den Bach hinunter geht, also wollte er das ich heirate. Er hat mich in der Vila eingesperrt, bis er einen perfekten Kandidaten gefunden hatte. Ich habe jahrelang hinter diesen Wänden verbracht, hatte keine Freunde, kein Leben. Dann als wir nach Inverness reisten und ich diesen widerlichen Schnösel heiraten sollte, habe ich die Gunst der Stunde ergriffen und bin geflohen. Fergus hat mich vor einer dummen Idee bewahrt... das ist alles«, gestehe ich in Kurzfassung. Details zu meinem Leben muss sie nicht erfahren. Es geht sie nichts an. Loyalität steht ganz oben in meiner Familie. Selbst nach all den Dingen die ich erleiden musste, kann ich meinen Vater nicht verraten, selbst wenn er es verdient hätte. Blut ist dicker als Wasser, obwohl ich ihn aus tiefster Seele verabscheue.
Mrs McMiller legt ihr Notizbuch zur Seite und rutscht etwas mehr zurück in den Sessel. Ein Zeichen, das sie das Gespräch vertiefen möchte. Sie lässt sich meine Worte durch den Kopf gehen, bevor sie die Lippen öffnet. »Verstehe. Hast du dich je einem anderen anvertraut? Mir ist bewusst, das da nicht viele gewesen sein können. Aber Fergus? Du solltest mit ihm darüber sprechen. Auch über deinen Bruder. Er hat seinen besten Freund verloren und ich bin sicher, das ihr beide sehr darunter leidet. Es wird euch gut tun«, rät sie mir. Wenn ich daran denke mit Fergus über meinen großen Bruder zu sprechen wird mir mulmig im Bauch. »Ich weiß nicht...«, wispere ich zweifelnd, »er spricht nicht über seine Gefühle oder die Dinge die passiert sind...«
»Versuche es. Etwas anderes kannst du nicht tun. Entweder helft ihr euch gegenseitig, oder ihr geht zusammen unter. Recht simpel, oder?«
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Serpent King | 18+
RomanceFergus Duncan, ein drogenabhängiger Ex-Soldat lernt Ludmila Karakov kennen, eine junge Frau die verzweifelter nicht sein könnte und sich in die eisigen Fluten des Meeres stürzen will. Ihr letzter Ausweg vor einer Heirat mit einem Mann, der ihr Vater...