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FERGUS

Gegenwart

Ich stehe im gießenden und eiskalten Regen. Vielleicht warte ich darauf das er meine Ängste und Sorgen wegspült, genau so wie es mir mein Dad vor langer Zeit erzählte. Oder das der Himmel sich auftut und sie zurückkehren, genau wie Neal. Es sind dumme Träumerein und Märchen, und dennoch stehe ich hier, die Kleidung und das Haar klitschnass. Tief einatmend habe ich das Kinn gen Himmel gestreckt und lasse die Tropfen über mein Gesicht rinnen. Mir ist egal das es jede Minute blitzt und darauf Donner folgt, oder die Wolken immer schwerer und düsteren zu sein Schein. Im Moment denke ich nur an den kleinen Fergus, der im Flur des Castles, mitten in der Nacht erfuhr das seine Eltern bei einem Autounfall gestorben waren. Die Bilder der Verdächtigen sehe ich noch heute vor mir. Mein Gedächtnis hat sie sich eingeprägt, als wären sie Brandmale auf meiner Seele. Ich habe das Gesicht in der PDF sofort wiedererkannt.

Er ist zwar älter und grauer geworden, die Augen noch schwärzer und der Blick noch finsterer, aber nichts könnte mir je die Erinnerung an den Abend nehmen. Ich habe sofort gesehen, das es der von vor all den Jahren war. Nun weiß ich endlich wer er ist - Sergio Karakov, Anführer der Unterwelt Londons, verdächtiger im Fall meiner Eltern. Bis heute wurde nie aufgeklärt was genau an dem Abend geschehen ist. Ich habe nie geglaubt das es ein Unfall gewesen ist und nun das...
Wie könnte mein Leben noch abgefuckter werden? Erst ist Mila die kleine Schwester von Neal und nun hat ihr Vater wahrscheinlich meine Eltern ermordet. Wie soll ich ihr je wieder in die Augen blicken können, ohne daran zu denken? Meine Mom war schwanger als sie und Dad in dem Auto starben. Schwanger verdammt. Welch grausames Monster tut so etwas? Und vor allem, wieso?
Aufgewühlt spüre ich wie mir immer kälter wird. Mrs McMillers Tabletten haben schon vor einer Ewigkeit nachgelassen und langsam spüre ich wieder das volle Ausmaß meiner Krankheit. Mit zitternden Finger streiche ich mir meine nassen Haare von der Stirn. Mein Körper zuckt wie damals bei jedem Donnerschlag zusammen. Doch im Gegensatz zu damals rinnt mir nun keine einzige Träne über die Wange. Meine Augen sind so trocken wie die Sahara. Einstig die Regentropfen nässen meine Haut.

»Fergus komm rein... erzähl mir drinnen was los ist«, ruft Henry mich. Nervös drehe ich mich in Richtung meines Freundes und nicke ohne zu protestieren, dafür habe ich im Moment nicht genug Kraft. Ich wünschte Mila wäre hier. Es ist das erste mal das ich mir eingestehe das ich sie brauche, selbst wenn vielleicht ihr Vater der Grund für meine Trauer ist. Milas sanfte Berührungen und leise Worte sind wie Balsam für meine kaputte Seele gewesen. Geschafft lasse ich den Kopf hängen und harre zwei weitere Minuten in der Kälte aus, bevor ich mich auf den Weg ins Haus mache.
»Du tropfst wie ein Pudel«, murmelt Henry unzufrieden und verriegelt die Tür hinter mir. Im Haus ist es viel wärmer als draußen, noch dazu knistert ein gemütliches Feuer im Kamin. Der große Soldat schüttelt seufzend seinen Kopf und betrachtet mich. »Du solltest vielleicht duschen gehen, danach reden wir?«, schlägt er fragend vor. Ich nicke stumm und setze mich wieder in Bewegung. Er nimmt mir noch meine Jacke ab, dann bin ich oben im Badezimmer. Die restlichen nassen Sachen hänge ich vorerst über den Rand der Badewanne und steige unter die dampfende Dusche. Das Wasser mag viel zu heiß eingestellt sein aber vertreibt durch den Schmerz für ein paar Sekunden meinen Kummer. Ich schrubbe mir die Haut und die Haare, dann wasche ich mir das Shampoo aus und stelle sie ab. Trocken kleide ich mich an, eine graue Jogginghose und ein einfacher schwarzer Pullover reichen fürs erste. Mit dem Handtuch und Föhn sind meine Haare binnen weniger Minuten trocken. Ich meide die ganze Zeit über mich im Spiegel anzusehen. Das ertrage ich im Moment nicht.
Auf dem Kiefer mahlend trete ich zurück ins Schlafzimmer und krame mir ein paar Socken aus dem Schrank. Während ich auf der Bettkante sitze und sie mir überstreife blitzt mir Milas Kette entgegen. Vermutlich sollte ich sie nicht so herumliegen lassen, sondern sie an einem Ort aufbewahren, an dem ich sie nicht verliere. Sie trug sie immer, also nehme ich an, das sie ihr viel bedeutet. Ausatmend lege ich mit das feine goldene Kettchen mir dem Buchstaben Anhänger um den Hals und verschließe sie, damit sie mir nicht verloren geht. Ich will sie ihr wiedergeben wenn wir sie gefunden haben. Ich schiebe sie fürs erste unter den Stoff meines Pullovers und erhebe mich. Es wird Zeit mit Henry zu sprechen, das tue ich gerade lieber als mit Mrs McMiller. Selbst wenn ich mich am liebsten im Zimmer verstecken würde. Es muss raus.

»Ich habe dir einen Kaffee gemacht«, begrüßt Henry mich am Küchentisch. Dankend setze ich mich unters Fenster auf einen der Stühle und puste das heiße Getränk langsam kalt. Donner trommelt durch den Himmel, Blitze erhellen die Küche.
Es ist genau wie damals.
»Erzähl was los ist. Als ich weg bin, warst du nicht so fertig«, möchte er besorgt wissen und schüttet etwas Milch in seinen Kaffee. Anschließend rührt er mit einem kleinen Löffel darin herum.
»Ewan hat mir die Infos über ihren Vater geschickt und ich habe ihn wiedererkannt«, erkläre ich ehrlich. Mein guter Freund blickt mich an, will etwas in meinen Augen ablesen was er nicht schafft. Dazu verberge ich meine Gefühl heute zu gut. In letzter Zeit hat das nur Mila geschafft. Egal an was ich denke, sie kommt mir immer wieder in den Sinn. Es scheint Schicksal zu sein, selbst wenn ich nicht an den Quatsch glaube.
»Wer ist es?«
»Hast du die Nachrichten in den letzten Tagen verfolgt? Er ist der Anführer des Londoner Untergrunds. Sergio Karakov... und er ist irgendwie in den Mord meiner Eltern verwickelt gewesen.«
»Wie bitte?«, Henry wird ganz blass, hat die Augen weit aufgerissen, nickend hebe ich die Tasse an und schlürfe etwas des braunen Koffeingetränks. Mein Kollege schnaubt fassungslos. »Neals Vater?«, vergewissert er sich. Mit vollem Mund nicke ich minimal, das reicht ihm. Schockiert faltet er die Hände vorm Gesicht und versucht Worte zu finden. Niemand von uns beiden hätte das je gedacht. Ob Neal es wusste? Nein, da bin ich sicher. Er sagte mir immer wieder wie er und sein Vater zerstritten waren, wegen seiner Arbeit. Neal wollte nie das tun, was sein Vater mit ihm vorhatte. Vielleicht waren genau diese illegalen Geschäfte das was er ablehnte.

»Fergus das ist große scheiße, wirklich. Können wir das irgendwie beweisen?«
»Ich fürchte nicht. Wir müssen zuerst eine Verbindung zu meiner Familie und den Karakovs herstellen, dann Mila finden...«, plane ich. Das ist womöglich meine einzige Chance. Plötzlich scheint sich alles aufzuklären. Seit Mila in mein Leben getreten ist, fügt sich jedes noch so kleine und schmerzhafte Teil des Puzzles zusammen, nach denen ich so lang gesucht habe. Es ist als nimmt der Kreis des Lebens endlich Form an und womöglich habe ich das nur der dunkelhaarigen zu verdanken.
»Wie willst du das umsetzen?«, erkundigt Henry sich neugierig. Ich atme tief aus, denn das was ich nun sagen werde gefällt mir noch weniger als gedacht. »Ewan vertraue ich die Verbindung an, er wird etwas heraussuchen das sie auf die Spur bringt und so lange statte ich John einen Besuch ab. Wenn wir Mila finden werde ich seine Hilfe gebrauchen«, erwidere ich. Henry nickt, er weiß genau wieso ich so wehmütig schaue. »John ist im Hangar, er schraubt an deiner F-35. Ich glaube du solltest ihm einen Besuch abstatten.«

Serpent King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt