FERGUS
Ich kann meine Augen nicht von der goldenen Kette nehmen, die in meiner Hand über meinem Gesicht baumelt. Sie glitzert in der untergehenden Sonne. Das feine Gold brennt sich in meine Augen wie Sterne. Ich liege schon seit einer Ewigkeit auf den Kissen und genieße die Wirkung der Tabletten. Es ist schön ein paar Stunden nicht an all das zu denken, sondern nur an das passierte der vergangenen Tage.
Wo soll das noch hinführen? Mein Kopf qualmt bereits. Seufzend lege ich meine Hand auf meinem Brustkorb ab und starre an die kahle Decke. Henry ist noch nicht zurück von seiner Schicht und so können wir nichts tun, um nach Mila zu suchen. Ich weiß nicht viel über ihre Familie, im Grunde gar nichts. Wie heißt sie überhaupt mit Nachnamen? Kara-irgendwas. Sie sagte vor ein paar Tagen das Neal den Namen ihrer Mutter benutzt hat. Conner.Grübelnd zücke ich mein Telefon und wähle Ewans Nummer. Mein Cousin wird mir weiterhelfen.
Es tutet zweimal bis jemand abhebt und es in der Leitung raschelt. »Ja? Fergus?«, fragt er, im Hintergrund höre ich Erin sprechen.
»Habe ich euch bei was gestört?«
»Nein, erzähl was los ist«, fordert er aber das kaufe ich ihm nicht ganz ab. »Fergus? Noch dran?«
»Erinnerst du dich noch an die kleine aus London?«
»Der, der ich eine Knarre an den Kopf gehalten habe? Wie könnte ich das vergessen«, schnaubt er. Wieder knistert und raschelt es, dann schließt eine Tür und die Stimmen im Hintergrund versiegen. »Sorry, Erin hat Rosy gebadet und dabei das ganze Bad unter Wasser gesetzt«, entschuldigt er sich. Meine Mundwinkel zucken.
»Du hörst dich nicht gut an, Bruder«, fällt ihm auf. Ich räuspere mich und rutsche im Bett auf, lehne mich mit dem Rücken gegen das Kopfende. »Hilfst du mir nun?«, hake ich verbissen nach. »Klar, rück schon mit der Sprache raus. Du weißt das du immer auf mich zählen kannst«, sagt er. Ich atme aus und lasse meine Schultern sinken. In meiner verletzten Hand liegt noch immer die Kette von Mila.
»Ich brauche ein paar Namen«, beginne ich geheimnisvoll, »Such nach Neal Conners Verwandten, er hat den Nachnamen seiner Mutter benutzt als er gedient hat. Du musst seinen Vater ausfindig machen«, bitte ich ihn. Vielleicht ist Ewan meine einzige Chance sie zu finden.
»Warte - Neal? Was hat er mit der Sache zu tun?«, will er ebenso verwirrt wissen wie ich zuvor.
»Mila ist seine Schwester«, erkläre ich ruhig und drehe den Anhänger in meinen Fingern. »Nein!«, stößt Ewan ungläubig aus. »Denkst du ich mache Scherze über sowas?«, schnaube ich. Ewan brummt etwas das ich nicht verstehe. »Also nur den Vater, ja? Wie viel willst du wissen?«
»Alles«, antworte ich. Er soll mir jede verfickte Krankenakte über diesen Typ besorgen, ich will wissen wo er zur Schule gegangen ist, sogar wann er auf Toilette geht und bei welchem Frisör er ist. Wenn er auch nur halb so ein schlechter Mann ist wie Mila gesagt hat, wird er nicht zögern etwas dummes zu tun. Ich glaube, das wir uns vielleicht gar nicht so fremd sind wie wir dachten. In den Kreisen in denen meine Familie verkehrt, kennt jeder jeden. Es ist quasi unmöglich das wir uns noch nicht über den Weg gelaufen sind.
»Kannst dich auf mich verlassen Ferg, sonst alles in Ordnung?«
»Geht so«, murmle ich ehrlich. Es bringt eh nichts ihn anzulügen, mein Cousin findet einfach alles heraus. »Dein Stoff?«
»Bin runter seit 'ner Woche. Fühlt sich beschissener an als die zehn mal davor«, brumme ich kehlig und fahre mir über die Augen. Langsam werde ich müde obwohl es erst kurz nach sieben ist. »Das ist toll, wirklich. Ist Mila dafür verantwortlich?«
»Nein, ich werde sonst von der Basis geworfen«, erwidere ich trocken. Er schnaubt belustigt am anderen Ende der Leitung. »Du und sie, läuft da inzwischen was?«
Ich spare mir eine Antwort, denn egal welche Antwort ich geben werde, er wird sie nicht akzeptieren. »Fergus? Ist das ein Ja?«, nimmt er an. »Nein«, korrigiere ich ihn, »da läuft nichts.«Ewan atmet aus, ein Stuhl knarzt im Hintergrund. Ich weiß sofort das er im Arbeitszimmer seines Vaters sitzen muss. Wo Alistair schon wieder ist?
»Lass dich doch mal drauf ein, Cousin. Ich hab gesehen wie ihr euch angeschaut hat. Von ihrer Seite kam definitiv etwas, deine Blicke kann ich nicht einschätzen. Du bist wie eine alte Truhe mit verrostetem Schloss. Man kann sie einfach nicht knacken...«
»Was ein Vergleich«, verdrehe ich meine Augen und lehne meinen Kopf gegen die kühle Wand. Regen hat wieder eingesetzt, er plätschert auf das Dach und strahlt etwas beruhigendes aus. Ich spüre wie langsam all die Anspannung des Tages aus meinen Knochen entweicht und ich nun wirklich müder und müder werde. »Du weißt schon wie ich das meine. Wenn sie wieder da ist, Versuchs doch einfach mal. Vielleicht schaust du dann auch mal freundlicher und nicht so, als würdest du deinem gegenüber glatt den Kopf abreisen wollen«, rät er mir. Mit aufeinander gepressten Lippen schmolle ich im dunklen Zimmer vor mich her. Meine Augen schweifen zur leeren Bettseite neben mir ab. Dort wo Mila noch vor ein paar Tagen lag. Ob ihr Vater sie in seinen Fängen hat? Mir gefällt der Gedanke nicht - nein, kein bisschen. »Danke das du dir die Sache annimmst. Schickst du mir deine Ergebnisse?«, lenke ich wieder auf das eigentliche Thema ab. »Sicher, lass den Kopf nicht hängen. Gute Nacht Fergus.«
»Nacht«, murmle ich und lege auf. Tief durchatmend lege ich das Telefon sowohl als auch die goldene Kette auf meinen Nachttisch und schalte die kleine Lampe an, die das Zimmer in ein warmes Licht taucht. Mit aller Kraft erhebe ich mich und schaffe es irgendwie bis zum Badezimmer. Ich drehe die Dusche auf, lege die Sachen in den Wäschekorb und steige unter das heiße Wasser. Meine Hände lege ich an die kalte Wand und starre sie einen Moment an. Ich hole tief Luft, das Wasser rinnt mir übers Gesicht und tropft auf die Duschwanne. Es ist so still das ich mich dem Geräusch des Wassers völlig hingebe und die Augen schließe. Statt eines Flashbacks sehe ich diesmal Milas Gesicht vor mir, kurz bevor sie mich geküsst hat. Mit jedem weiteren Gedanken den ich ihr widme falle ich ein bisschen mehr für sie, und niemand kann es aufhalten.~
Am Morgen ist der Regen versiegt aber der Himmel noch dunkelgrau. Lustlos stochere ich in meinen Cornflakes herum und kaue sporadisch ein paar Löffel. Wirklich Hunger habe ich nicht aber Tabletten auf leeren Magen zu nehmen ist eine schlechte Idee. So quäle ich mir die Schüssel Frühstück hinunter und leere eine Tasse Kaffee. Das warme Koffeingetränk fühlt sich gut an.
»Guten Morgen«, ertönt Henrys Stimme neben mir. Er betritt gerade die Küche und steuert direkt auf den Kühlschrank zu. Obwohl seine Schicht erst in zwei Stunden beginnt trägt er bereits seine Uniform. Es ist eine lange Zeit her, in der ich meine getragen habe. Sie ist vermutlich schon in meinem Schrank eingestaubt.
»Morgen«, nuschle ich mit vollem Mund und lasse den Löffel zurück in die Milch sinken. »Gut geschlafen? Ich habe dich gestern Abend nicht mehr gesehen als ich nachhause kam«, merkt er fragend an. »Hm«, murmle ich kauend und starre in die Schüssel die immer leerer wird. Am Rande meines Sichtfeldes stellt er sich einen Teller mit Toast und Marmelade auf den Tisch und sinkt auf den Stuhl mir schräg gegenüber. »Ich habe mich gestern nochmal in der Stadt umgehört, aber keiner hat etwas gesehen«, erzählt er beim schmieren seines Frühstücks. Natürlich hat niemand etwas gesehen. Selbst wenn, würde niemand mit der Sprache herausrücken. So läuft das doch hier, oder?
»Ewan besorgt mir ein paar Infos über ihre Familie«, wende ich ein. Mein Cousin wird mir die Ergebnisse sicher noch zuschicken bevor die Sonne wieder untergegangen ist.
Henrys Augen weiten sich interessiert. »Ach ja? Was hast du dann vor?«, möchte er wissen. Ich zucke mit den Schultern und nippe erneut an meinem Kaffee. »Weiß nicht. Erstmal muss ich ihn finden.«
»Denkst du immer noch, das er sie hat?«
»Ich weiß es«, untermauere ich meine Worte mit fester Stimme, »tausend prozentig. Sie hat mir nicht viel über ihn erzählt aber ich weiß das er kein guter Vater sein kann. Jemand der seine Tochter so behandelt kann nicht das beste für sie sondern nur für sich wollen«, sage ich kopfschüttelnd. Das macht mich so sauer, das ich am liebsten die Schüssel gehen die Wand scheppern möchte. Ugh, wie ich diesen Mann hasse.
»Das wird schon Gus«, klopft Henry mir aufmuntern auf die Schultern als er fertig ist mit essen. Ich sehe ihm nach. »Was machst du heute?«
»Übungsflüge für eine Show die am Wochenende stattfindet. Wieso? Willst du mitkommen?«
»Nein danke«, lehne ich ab. Jetzt das Flugfeld zu betreten würde meinen Erfolg wieder zunichte machen. Das ertrage ich noch nicht und schon gar nicht allein.
»Der Boss hat gestern mit mir gesprochen«, erzählt er mir seine Tasse abwaschend. »Ach ja? Was wollte er?«
»Wollte wissen wie es bei dir steht. Er will das du langsam wieder auf die Beine kommst. Spätestens im Herbst sollst du die ersten Flüge absolvieren«, erklärt er. Ich lege meinen Kopf ausatmend in den Nacken und starre an die Decke. Gott, das hat mir gerade noch gefehlt... »Im Ernst? Man, er weiß doch das ich-«
»Du bist sein bester Pilot Fergus, er braucht dich«, unterbricht er mich und trocknet sich die Hände ab. Kurz darauf spüre ich sie auf meiner Schulter. »Er wird dich nicht wieder ins Ausland schicken, ehe du dazu bereit bist. Er will nur das du hier ein paar Flüge absolvierst um langsam wieder das Gefühl dafür zu bekommen. Er will dir nur helfen, das wollen wir alle...«
»Versteht niemand das ich es nicht kann?«, frage ich ihn und schließe die Augen. Henry drückt seine Finger stärker in meine Schulter. »Das tue ich, aber irgendwann musst du dich deinen Dämonen stellen, Gus, du glaubst doch nicht das ich dich das allein durchstehen lasse, oder? Ich war auf dabei als es passiert ist. Es war genau so schwer für mich wie für dich. Vergiss das nicht Bruder«, rät er mir und klopft mir ein letztes Mal auf die Schulter, bevor er sich zurückzieht und mich allein in der Küche lässt. Zeit über seine Worte nachzudenken habe ich nicht, denn Ewan schickt mir eine Nachricht an der ein Dokument angehangen ist - die Antworten die ich über Milas Vater gesucht habe.
Mit klopfendem Herzen öffne ich den Anhang und mir springt ein bekanntes Gesicht entgegen, das weder mein bester Freund noch Mila ist. Fuck.
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Serpent King | 18+
RomanceFergus Duncan, ein drogenabhängiger Ex-Soldat lernt Ludmila Karakov kennen, eine junge Frau die verzweifelter nicht sein könnte und sich in die eisigen Fluten des Meeres stürzen will. Ihr letzter Ausweg vor einer Heirat mit einem Mann, der ihr Vater...