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MILA

Fergus' Reaktion hat mich ein wenig Überrascht. Er hat mir gesagt, was er fühlt und das rechne ich ihm hoch an. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Der erste von vielen, die Folgen werden. Ich sehe wie er immer mehr er selbst wird und die Drogen hinter sich lässt. Es scheint, als wolle er es wirklich, selbst wenn es noch ein weiter weg ist. Ich weiß, das er es schaffen kann, wenn er will.
Mit einem Lächeln auf den Lippen steige ich wieder ins Trockene und beginne meinen Körper mit einem weichen Frotteetuch abzurubbeln. Anschließend ziehe ich mir frische Unterwäsche, eine lange schwarze Stoffhose, passende Socken und ein langärmliges Oberteil an. Unter dem Waschbecken finde ich einen Föhn, mit dem ich mir die Haare trockne und sie etwas richte, kämme und mir hinter die Ohren klemme. Sie reichen mir bis über den Busen und glänzen gesund im schwachen Schein der Herbstsonne. Es wird Winter, das spüre ich.
Hergerichtet verlasse ich das Badezimmer und beschließe nach unten zu gehen. Es ist noch immer sehr still im Haus, aber Besteck klappert irgendwo hinter den Wänden.
Im Tageslicht sehe ich endlich die dicken Bilderrahmen, die geschmückt mit Familienfotos an den Wänden die Treppe hinab hängen. Auf ein paar sind zwei kleine Jungs abgebildet. Einer davon muss Fergus sein. Er sah süß aus als Baby. Kaum zu fassen, das dies schon so lang her ist. Wie alt er wohl sein mag? Das ist das erste mal, dass ich mir diese Frage stelle. Er kann nicht viel älter als ich sein, oder? Bei Gelegenheit werde ich ihn fragen, das schwöre ich mir. Mir juckt es bereits unter den Fingern es herauszufinden.

Je näher ich der Küche und dem verbundenen Esszimmer komme, desto lauter werden die Stimmen und Geräusche. Die Türen sind geöffnet und ich sehe Erin mit ihrem Baby im Arm am Tisch sitzen. Ewans Mutter sitzt am Kopfende und unterhält sich mit ihr. Das Gespräch der beiden erstirbt als seine Mutter mich erblickt. Sie lässt die Orange, die sie gerade noch in der Hand hielt, sinken und mustert mich prüfend.
»Mila, Setz dich doch«, erhebt sie die Stimme und deutet mit einer ausladenden Handbewegung auf den Stuhl gegenüber von Erin, die mich kauend anlächelt.
»Guten Morgen, danke«, kommt es mir über die Lippen und ich laufe langsam auf dem Stuhl zu, setze mich auf die gepolsterte Fläche und rutsche heran, was sich als schwierig gestaltet mit nur einem funktionierenden Arm.
»Hast du gut geschlafen? Was möchtest du essen?«, durchlöchert mich Fergus' Tante sofort mit fragen. Sie winkt eine Frau aus der Küche herbei, die mir eine Tasse Kaffee eingießt. »Oh ich... also-«, stottere ich unbeholfen und lasse meine Augen über das große Angebot voller Essen schweifen. Das ist mir fremd. Auch wenn meine Familie auf einem Riesen Groschen Geld sitzt, gab es stets nur dasselbe, triste Frühstück, genau wie es meinem Vater beliebte. Ich bin es nicht gewohnt mir etwas aussuchen zu dürfen. Das überfordert mich etwas.
»Hättest du Lust auf Rührei?«
»Also ich möchte keine Umstände machen«, sage ich sofort und blicke auf den Teller von Glenna. So hieß sie doch, oder? Auf ihrem befindet sich ein Pancake. Sie winkt nur ab. »Red keinen Unsinn, sag was du möchtest Kind«, fordert sie mich auf. Hilfesuchend huschen meine Augen zu Erin. Ich bin verdammt überfordert. Was soll ich nur sagen?
»Also ich hätte gern ein Rührei und noch etwas von dem köstlichen Pudding. Du auch, Mila?«, hilft Erin mir lächelnd aus der patsche. Dankend blicke ich ihr entgegen und nicke. »Ja, danke.«

Glennas misstrauische Augen liegen auf mir, während sie endlich die Orangen schält und Erin damit beschäftigt ist, dem Baby ihre Flasche zu geben. »Zu viel Auswahl?«, will sie leise wissen. Ich schüttle den Kopf und streiche mir eine Haarsträhne hinters Ohr. »Ich will einfach keine Umstände machen. Außerdem bin ich es nicht gewohnt«, erkläre ich ihr. Sie hebt ihre Augenbrauen. »Mein Sohn hat mir erzählt, dass du im Kensington Palace Gardens Viertel gewohnt hast. Also nehme ich an, dass dich ein paar Angestellte nicht so aus der Rolle bringen«, spricht sie an und beißt in die Orange, »also?«
»Ich bin einfach noch ein bisschen neben der Spur«, Lüge ich und strecke meine Hand nach der Tasse Kaffee aus. Vielleicht hilft das Koffein mir etwas. Ich weiß das Glenna mir kein Wort glaubt, aber lege es auch nicht darauf an, es ihr beweisen zu wollen. Dankend nehme ich den Teller mit meinem Frühstück entgegen und entscheide mich, still zu essen. Das Rührei und der beiliegende Speck schmecken gut. In einem Schälchen daneben gibt es Vanillepudding, der noch warm ist. Die Köchin hat Ahnung von dem, was sie da tut.
Unterhalten tue ich mich nicht. Erin verstrickt Glenna in ein Gespräch und ich bin sehr dankbar darüber. Irgendwie fühle ich mich ein bisschen fehl am Platz neben ihnen. Die beiden scheinen sich gut zu kennen und ich weiß gerade mal ihre Vornamen. Wieso musste Fergus mich auch allein lassen?
Ich fühle mich keineswegs unwohl, aber meine Gedanken kreisen stetig um die Ereignisse der letzten Tage und ich kann nicht aufhören, Bilder aus der Kirche vor mir zu sehen. Mein Magen wird ganz flau wenn ich an meinen Vater denke und ich würde mich am liebsten in einem Bett verkriechen.

Fergus spaziert gutgelaunt durch die Haustür als ich den letzten Happen meines Rühreis esse. In seinen Händen schwingt er eine weiße Plastiktüte.
»Ladies«, grinst er schief und stützt sich auf der Lehne des Stuhls am leeren Ende des Tisches auf. Glenna legt den Kopf schief und wirft einen Blick auf seine Hände. »Warst du schon einkaufen heute?«
»Apotheke. Ich musste das Rezept für Milas Creme einlösen«, erklärt er und sieht mich kurz an. »Willst du sie gleich ausprobieren?«, schlägt er vor und wackelt mit seinem Einkauf herum. Ich schlucke das letzte bisschen Ei herunter und erhebe mich anschließend. »Ja. Vielen Dank für das Frühstück, ich gehe dann mal«, entschuldige ich mich leise und laufe auf den Schotten zu. Er schnappt sich ein Stück Apfel von Erins Teller und folgt mir dann. »Hey!«, beschwert sich diese im Hintergrund doch er schenkt ihr keine Aufmerksamkeit mehr.
»Alles okay?«, fragt er als ich neben ihm die Treppe hochlaufe. Unser Iriden treffen sich einen Augenblick und ich nicke. »Klar«, Lüge ich wieder, weil es so viel einfacher ist, als die Wahrheit zu sagen.

»Sieht aber nicht so aus«, merkt er beim Betreten des Badezimmers an. Ich bleibe vor dem langen Waschtisch stehen und streife mein Shirt mühselig ab. Die Tür schließt sich hinter dem Schotten. »Bist du okay?«, hakt er wieder nach. Durch den Spiegel sehe ich ihn Näherkommen. Ein einfaches Nicken bringe ich zustande, mehr nicht. Fergus legt die Tube Creme auf der Platte neben dem Waschbecken ab und hält hinter mir stehend inne. Ich reiche ihm nur bis zur Schulter, so kann er ohne Mühe über mich hinweg schauen. Seine Augen wirken fast schon besorgt. »Ist es wegen gestern?«
»Nein«, stelle ich klar. Es hat nichts mit gestern zu tun. Überhaupt nichts.
»Also deinem Vater«, stellt er fest. Meine Schultern sinken herab. Fergus schnappt sich die Salbe und beginnt sie vorsichtig auf meinen Malen aufzutragen. Erst auf meinen Rippen, später streicht er mir die Haare zur Seite, um die dunklen Abdrücke auf meinem Hals zu versorgen. Seine warmen Finger und die heilende Creme bringen mich zum seufzen. Ich lehne mich zurück gegen den großen dunkelhaarigen und atme entspannt auf. Die Salbe betäubt die Schmerzen langsam aber sicher.

»Gestern war schön«, murmle ich um Fergus davon abzulenken, weiter über meinen Vater nachzudenken. Ich sehe es ihm an. Die Weise wie er die Stirn kräuselt und die Lippen aufeinander presst. Es ist Wut, die in seinem Blick mitschwingt.
»Was?«, will er ahnungslos wissen. Er hat mir nicht zugehört. Seufzend wende ich ihm meinen Körper zu und nehme ihm die Salbe ab, die er zuvor noch in den Händen hielt. Meine Hände legen sich an seinen Hals und ich lehne mich gegen den Waschtisch. »Gestern Abend war schön«, wiederhole ich mich und Kreise meinen Daumen über seine Wange. Sein Gesicht senkt sich hinab und er drückt seine Lippen sanft auf meine Pulsader. Eine Antwort gibt er mir nicht. Hat er sich denn so an dem Thema aufgehangen?
»Was kann ich tun, damit du nicht mehr an meinen Vater denkst?«, hake ich nach. Er atmet schwer aus und presst die Lippen ertappt aufeinander. »Ist es so offensichtlich?«
»Ja«, antworte ich mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen. »Also?«

Er tritt einen Schritt näher und seine zitternden Hände legen sich auf meine Wangen, während meine Arme sich um seinen Nacken schlingen. »Küss mich«, bittet er kaum hörbar. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Ich presse meine Lippen sofort auf seine und öffne sie, damit seine Zunge sich zwischen meine Zähne schieben kann. Der Kuss ist sanft und so sinnlich, dass mir die Beine glatt so weich wie Wackelpudding werden. Ich gehe einen Schritt auf ihn zu und schließe die Lücke zwischen uns. Meine Schmerzen sind längst vergessen und weit in den Hintergrund gerückt. Ich atme seinen Duft nach herben Parfüm ein und sinke tiefer in seine Arme hinein.
Schwer atmend lösen wir uns einige Zeit später voneinander. Seine Stirn lehnt gegen meiner und die Hände noch immer an meinen Wangen. Ich spüre wie sehr seine Finger zittern. Es beunruhigt mich.
»Ist bei dir alles okay?«, wispere ich ihm fragend zu. Mit geschlossenen Augen lächelt er halbherzig. Sind die nächsten Worte die er sagen wird, eine Lüge? Weil ihm das eher über die Lippen kommt als mir die Wahrheit zu sagen? Es ist kein Geheimnis das er sich schwer damit tut, auszusprechen was er fühlt.
»Fergus?«, hake ich ungeduldig und mit großen Augen nach. Mit hängendem Kopf schnauft er schwer. »Ich muss bald zurück auf die Airbase. Mein Chef will, dass ich spätestens im Herbst wieder einsteige und Flüge bestreite«, offenbart er mir. Überrascht bringe ich etwas Abstand zwischen uns, um ihn ganz betrachten zu können. »Wie bitte?«, sage ich, »wieso denn das?«
»Weil es schon zu lang her ist, das ich geflogen bin. Sie werden mich sonst unehrenhaft entlassen.«
»Das ist unfair«, stoße ich aus, »verdammt unfair.«
»Das ist eben so in der Armee. Ich kann nichts daran ändern«, brummt er und schaut mich verärgert an. Mein Herz schlägt wehleidig auf denn ich weiß, dass er noch nicht bereit dazu ist. Seine zitternden Hände sind nur eins der Indikatoren dafür. Ich greife nach einer von beiden und drücke sie sanft. In diesem Moment schwöre ich mir eins; »ich bin immer für dich da Fergus. Das verspreche ich dir. Du musst das nicht allein durchstehen.«

Serpent King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt