31

3.6K 195 13
                                    

FERGUS

Die Lichter des Pubs schimmern bunt in der Flüssigkeit vor mir. Mit dem Gesicht zum Raum sitze ich in einer Ecke der Bar und starre schon seit Stunden in das volle Glas Schnaps, ohne es je angerührt zu haben. Mir ist nicht danach zumute, zu trinken. Im Grunde genommen bin ich mir nichtmal sicher, wie ich hergefunden habe. Der Taxifahrer sollte mich von der Airbase zu einem Ort bringen, an dem man gut nachdenken kann. Anscheinend schätzte er diesen Ort als solchen ein. Tatsächlich hat mich niemand angequatscht und ich konnte in Ruhe meinen Gedanken folgen. Langsam verarbeite ich, das Mila, Neals Schwester ist. Ich hätte nie gedacht, das mein bester Freund mir so etwas verschweigen würde... Ich habe schon vor einer langen Zeit akzeptiert, das Neal nicht über seine Familie sprechen wollte. Das verstand ich auch, aber er hätte wenigstens erwähnen können, das er eine Schwester hat... und dann auch noch so eine wie Mila.
Fuck, die kleine Britin hat sich in mein Gehirn gefressen wie ein Parasit.
Müde wische ich mir über die Augen und stütze meine Stirn anschließend gegen die Handflächen. Dabei schmerzt meine eine noch immer vom Abend im Bad, als ich mich schnitt. Mila vorhin so zu behandeln war nicht meine Absicht... Ich will es auf den Entzug schieben, aber das wäre nicht fair.
Sie sollte mir egal sein, doch das ist sie nicht. Dem muss ich mir bewusst werden. Egal ob ich möchte oder nicht.

Tief durchatmend schließe ich meine Augen für einen Moment. Er ist kurz und aufwühlend. Ich hasse geschlossene Räume, mit dem Rücken zur Masse zu sitzen oder nicht alles bis zum letzten Winkel einsehen zu können. Es weckt zu viele böse Erinnerungen aus meiner Zeit im Krieg. Meine Finger zittern als ich das Glas Schnaps fest umschließe, doch nicht vorhabe tatsächlich daraus zu trinken. Mir ist nicht nach Alkohol zumute. Am liebsten würde ich den ganzen Tag schlafen und hoffen das diese Phase schnell vorüber ist. Das Adrenalin in mir ist da anderer Meinung.
Und dann ist da noch Mila, an die ich pausenlos denken muss. An ihre fast schwarzen Haare, die grünen Augen und die vollen Lippen. An ihre gezupften Augenbrauen und die gerade Nase, ihr zartes lächeln und die Wärme ihrer Berührungen.
Ich muss mich bei ihr entschuldigen, das weiß ich sicher. Habe ich auch den Mut dazu? Fraglich. Ohne das Kokain fühle ich mich noch leerer als zuvor. Die letzten Tage habe ich mit den Erinnerungen gekämpft, die ich jahrelang unterdrückt habe. Sie sind alle auf einmal wieder hochgekommen und haben meinen Körper gelähmt wie eine Lawine, die auf mich zurollte.
Trotzdem sehne ich mich nach dem weißen Pulver. Es wäre einfach, an etwas neuen Stoff zu kommen. Vermutlich dealt der Besitzer des Pubs, der mir ausgeschenkt hat. Oder der Türsteher neben dem Eingang. Sie alle wirken verdächtig. Mit jahrelanger Erfahrung erkenne ich sofort, das sie konsumieren. Schluckend schaue ich hinab auf meine Hände. Sie zittern seit Tagen unaufhörlich. Müde reibe ich sie aneinander und ziehe sie anschließend zur Faust - in der Hoffnung es würde besser werden, doch das tut es nicht. Ich weiß nicht woher ich die Kraft nehme, diese Menschen nicht einfach nach etwas Stoff zu fragen. Mein Kopf schreit danach es zu tun, dennoch bin ich nicht fähig mich auch nur einen Millimeter auf sie zu zubewegen.

»Kann ich dir noch was bringen?«, erkundigt eine der Kellnerinnen sich. »Nein danke«, schüttle ich meinen Kopf und vergrabe meine Hände in meinen Ärmeln. Die Kellnerin nickt. »Nun Gut, ruf mich wenn du etwas brauchst.»
Sie will mich, nicht irgendeine blöde Bestellung die ich aufgebe. Ich zweifle nicht daran das sie schon öfters Sex in den Toiletten gehabt hat, als dieser Pub alt ist. Hundert prozentig. Sie riecht nach herben Männer Parfüm und Schnaps. Sie war definitiv heute schonmal auf der Toilette mit jemanden. Ekelhaft.

Desinteresse macht sich in mir breit je mehr ich darüber nachdenke. Mein Kopf schweift wieder zurück zu Mila, der dunkelhaarigen Schönheit. Ich überlege schon die ganze Zeit, was Neal dazu gesagt hätte, wenn er wüsste das ich Mila angefasst habe und sie mich. Ich bin sicher er hätte mir den Kopf abgerissen und mir gleichzeitig gedroht, das ich es ja nicht versauen soll. Der Gedanke entlockt mir ein schmales Schmunzeln. Ich vermisse meinen besten Freund.
Meine Augen driften in die Bar ab. Hier und da sitzen ein paar komische Gestalten an den Tischen, doch der größte Teil der Bar ist mit Fernfahrern gefüllt. Hier würde mich niemand von der Basis vermuten, genau deswegen ist es so perfekt um allein zu sein.

Mein Telefon vibriert stetig in meiner Hosentasche und lässt mich die Stirn runzeln. Auf dem Display leuchtet Henrys Name in schwarzen Buchstaben auf. Was will der denn?
»Wenn du mir auf die Nerven gehen willst, wegen-«
»Mila ist verschwunden«, unterbricht er mich und mir entweicht alle Luft aus den Lungen. Fuck.
Direkt nach unserer Ankunft habe ich ihr klar gemacht, das sie die Basis unter keinen Umständen verlassen soll. »Wohin? Hast du überall nachgesehen?«, frage ich nach. Der Soldat am anderen Ende der Leitung schnaubt spöttisch. »Natürlich habe ich das, Fergus! Sogar in deinem Auto, aber von ihr fehlt jede Spur. Ich war bei dem Typen am Tor, er sagte das eine hübsche schwarzhaarige Frau das Gelände verlassen hat und nach einem gewissen Lieutenant Duncan sucht«, erzählt er. Die dumme Plappertasche am Tor hat sich also verquatscht. Ich habe ihn extra bestochen, dafür das er die Klappe hält. Wie man sieht hat es nichts gebracht. Meine verletzte Hand zieht sich zur Faust zusammen. Der Gedanke daran, das Mila allein da draußen ist löst ein beklemmtes Gefühl in meiner Brust aus. Wenn ich an die Typen denke, die uns verfolgt haben - die Rottweiler ihres Vaters - braut sich in meinem Kopf ein Gewitter zusammen. Die Zähne fest aufeinanderpressend hole ich Luft. Bei unserem ersten Aufeinandertreffen wäre mir egal gewesen wenn sie sie wiederbekommen hätten. Mila war im so egal wie ein Stück Brot. Aber jetzt... kann ich es nicht. Neal würde mir nie verzeihen, wenn ich sie sie nicht wiederfinde. Oder zu spät bin. Und ich Idiot bin an allem schuld. Wie konnte ich nur so dumm sein?
»Fergus? Bist du noch dran?«, holt Henry mich aus meinen Gedanken. Die ganze Zeit über habe ich unbemerkt die Luft angehalten, die mir nun aus den Lungen entweicht. Ich krame ein paar Scheine aus meiner Hosentasche und lege sie achtlos neben das volle Whiskyglas auf den Tisch. »Triff mich am Pub in der Kings Street. Wir werden sie suchen gehen«, beschließe ich und stürme aus dem Lokal in die kalte Nacht.

Serpent King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt