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MILA

Mit gesenktem Kopf trotte ich hinter Fergus her. Ich fühle mich wie ein Kind, das einen Fehler gemacht hat. Einen sehr großen Fehler. In meinen Händen umklammere ich fest das Modell des Flugzeuges, das ich ihm vorhin entwendet habe. Ich weiß das es nicht richtig war, doch es schien mir das kleinste Übel in der Wohnung zu sein. Wer hätte denn ahnen können, dass es genau das wertvollste für ihn ist? Ich sicher nicht.
Ich hätte es ihm wieder vor die Tür gestellt. Der Pfandleiher hat mir genug Geld gegeben, um den Portier im Hotel bestechen zu können, oder eines der Zimmermädchen. Sie hätten mir nur meine Tasche holen müssen und ich hätte dem Mann das Flugzeug wieder abgelöst. Danach hätte ich es Fergus zurückgegeben und ich bräuchte nicht wie ein Hund hinter seinem Herrchen herzulaufen.

Er spricht kein Wort mit mir. Nicht im Fahrstuhl, nicht vor der Haustür. Erst als er sie mir vor der Nase zuknallt und ich im kalten und kahlen Flur bleiben muss, nehme ich genug Mut zusammen, um meine Stimme zu erheben. »Es tut mir leid«, spreche ich laut gegen das Holz.
»Stell das Flugzeug ab und verschwinde, Mila«, knurrt er gedämpft von der anderen Seite. Ausatmend blicke ich auf das silberne Stück hinab und beiße mir auf die Innenseite meiner Lippe. »Es tut mir wirklich leid, ich wollte es dir später wiedergeben. Bitte mach die Tür auf...«, bettle ich. Die schmerzhafte Wahrheit ist, dass er der einzige ist, dem ich im Moment vertrauen kann. Mir ist auf der Straße fast das Herz in meine nicht vorhandene Hose gerutscht, als ich die Sicherheitsmänner meines Vaters gesichtet habe. Sie scheinen die gesamte Stadt nach mir abzusuchen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie mich finden, sollte ich mich weiter draußen aufhalten. Fergus ist meine einzige Chance.
»Lässt du mich rein, wenn ich dir erzähle, wieso die mich suchen?«, frage ich mit dünner Stimme. Eigentlich möchte ich nicht darüber sprechen. Doch wenn es mich das kostet, damit ich hinein in Sicherheit darf, nehme ich das in Kauf.

Hinter der Tür raschelt es, schließlich springt sie langsam auf und Fergus positioniert sich mit verschränkten Armen im Rahmen. Er ist fast so breit wie die Tür selbst. Schluckend schaue ich in seine eiskalten Augen und strecke ihm das Modell zögerlich entgegen. Seine Augen verlassen für keine Sekunde die meine, auch nicht als er nach dem Flugzeug hascht und zur Seite tritt. Erleichtert trete ich über die Schwelle und atme tief aus. Meine Schultern sinken nach unten. Die Tür knallt hinter mir ins Schloss.
»Setz dich aufs Sofa«, weist er mich streng an. Mein Instinkt sagt mir, dass ich nicht mit ihm scherzen sollte. Er hat mich rein gelassen. Das rechne ich ihm hoch an. Schweigend raffe ich den schweren Rock des Abendkleides zusammen und hebe ihn ein Stück an, um mich darauf auszurutschen und zu stolpern. Meine hohen Schuhe lasse ich neben der Tür stehen, sie reiben an meiner Haut und sind unbequem. »Also?«
Fergus steht mit dem Rücken zu mir vor dem Kaminsims und platziert das Flugzeugmodell akkurat auf seinem alten Platz. Es muss ihm wirklich viel bedeuten, wenn er es so vorsichtig behandelt. »Sprich schon«, fordert er mich erneut auf. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, beginne ich zu erzählen. Es mag dumm sein ihm alles zu erzählen, aber das ist mir egal, wenn ich danach nicht unter einer Brücke oder in den Fängen meines Vaters enden muss.
»Ich soll heiraten.«
»Ist der Typ wirklich so beknackt, dass du dich deswegen ersaufen wolltest?«, schnaubt der ungehobelte Schotte und poliert die silbernen Flügel der Skulptur sorgfältig. Der hat vielleicht gut reden. Ugh, ich hasse ihn genauso sehr, wie er mich.
»Ich liebe ihn nicht.«
»Dann such dir nen anderen?«, schlägt er mit gehobenen Augenbrauen vor und wirft mir einen skeptischen Blick über die Schulter zu. Ich verdrehe meine Augen und lehne mich zurück, meine Beine überkreuzt. »Du denkst wirklich, dass es so einfach wäre? In meiner Familie läuft das nicht so ab. Mein Vater hat Angst, das nach seinem Tod all sein Geld flöten geht und das Imperium, was der Clan seit Jahrzehnten aufbaut, schwindet. Ich, als eine Frau, als seine einzige Tochter, muss diesen Mann heiraten, weil er viel Geld hat und die gleichen Vorstellungen und Intentionen wie mein Vater. Also nein, ich kann mir nicht so einfach einen anderen suchen, aber danke für den Tipp«, brumme ich schnippisch. Fergus dreht sich mit schrägem Kopf zu mir herum und lehnt sich lässig gegen den Kamin. »Wer ist der Typ, den du heiraten sollst?« Als ob ihn das wirklich interessiert. »Wieso? Angst das es dein Vater ist?«, frage ich mit schmalen Lippen. Seine Augen werden schmal wie Schlitze. »Ich wüsste nicht was dich das angeht, aber jetzt weißt du, dass mein Vater Tod ist, also nimm diese Worte je wieder in den Mund und es wird das letzte gewesen sein, was du sagst«, warnt er mich ruhig. Wie er es sagt, jagt mir einen antarktischen Schauer über den Rücken. Es ist so viel beängstigender, wenn er so ruhig dabeibleibt. Das ist viel schlimmer als ein wütender Sturm. Er vergräbt seine Hände tief in den Taschen seiner Jacke und starrt mich an. Sein Blick wie tausend Glasscherben, die meine Haut treffen.

Jetzt fühle ich mich dumm. Das mit seinem Vater hätte ich nicht erwähnen sollen. »Tut mir leid, ich weiß, wie es ist, jemanden zu verlieren der einem viel bedeutet hat...« flüstere ich schluckend. Fergus richtet sich auf und läuft an mir vorbei. »Interessiert mich nicht die Bohne«, gibt er zurück. Seine Schritte entfernen sich mit dumpfen Lauten auf dem Parkett in Richtung Küche. Keine halbe Minute später öffnet er hörbar die Tür des Kühlschranks. Egal wie distanziert und kühl er wirken will, ich weiß das es da noch etwas gibt, was ihm auf der Seele liegt. Mehr als er sich eingestehen will. Das sollte mich nicht kümmern. Er ist nur ein fremder und kann mich nicht ausstehen. Ein Glück ist er noch nicht auf die Idee gekommen, mich meinem Vater auszuliefern.
»Also, wen sollst du jetzt heiraten?«, fängt er wieder damit an. Flaschen klappern, Plastik reißt. Er hat etwas geöffnet. Antworten tue ich nicht. Viel zu viel bin ich vertieft darin, mit dem Stoff des Kleides zu spielen. Eine Ablenkung, damit ich nicht vollends durchdrehe. »Jemanden aus der Stadt?«, durchlöchert er mich weiter. Nickend verliere ich meinen Blick im vielen Tüll, alles andere um mich verblasst langsam. »Ich kenne fast jeden in der Stadt. Wer ist es?«

Kann er es nicht einfach gut sein lassen? Merkt er nicht, dass ich nicht darüber sprechen möchte? Die Antwort auf meine eigene Frage kenne ich bereits. Der dunkelhaarige wird keine Ruhe geben. »Gibst du mir dein Telefon? Dann zeige ich ihn dir«, bitte ich ihn und hebe endlich meinen Kopf. Mit einer Schüssel Müsli in den Händen kommt er auf mich zu und bleibt hinter der Lehne stehen. Das Telefon reicht er mir. Es ist schon entsperrt und der Browser schon geöffnet. Mit kalten Fingern tippe ich den Namen des Mannes ein und klicke auf die Biografie, dir mir als erstes angezeigt wird. Neben seinem Namen prangt das Gesicht des Mannes. Er sieht viel hässlicher in echt aus. Ist um einiges älter, aber das Vermögen, das unten gelistet ist, stimmt wohl. Fergus lacht gehässig auf als er sein Telefon zum Greifen bekommt. Er schwingt sich neben mich auf das Sofa und stellt das Porzellan auf seinen Beinen ab. Schief grinsend starrt er den Mann auf dem Foto an und schüttelt abermals den Kopf. »Dieser alte Hund«, schnaubt er fassungslos. Er kennt ihn anscheinend. In mir keimt ein Gedanke auf, den ich mir am liebsten verbieten würde. Was ist, wenn er ihn anruft und ihm verrät, dass ich hier bin? Das wäre mein Todesurteil. Innerlich bete ich, dass ihm das nicht in den Sinn kommt. »Du - du kennst ihn?«, stottere ich nervös. Der fast schwarzhaarige nickt und legt sein Telefon zwischen uns, das Display schwarz. »Mhm, leider. Er ist der Sohn eines Bekannten«, erklärt er nicht erfreut. Hungrig schaufelt er sich einen gewaltigen Löffel Müsli in den Mund und legt seine Füße auf dem Couchtisch ab. »Geld hat er wirklich, aber nicht so viel wie ich«, fügt er hinzu. Meine Augen werden größer. »Und du konntest mir kein Hotelzimmer spendieren?«, hake ich nach. Er hebt seine Augenbrauen skeptisch. »Machst du Witze? Natürlich nicht. Wir kennen uns nicht mal«, schüttelt er seinen Kopf. »Aber ich darf hier übernachten? Willst du warten, bis ich so verzweifelt bin, dass ich mit dir ins Bett steige?«

Er lacht erneut auf. Es ist nicht herzlich oder ehrlich gemeint. Spöttisch. »Glaub mir, wenn ich das wollte, dann hätte ich das erstens; schon getan und zweitens; würdest du dann sicher nicht neben mir auf dem Sofa sitzen«, schnaubt er. Langsam wird mir das zu blöd. Ich lasse das Kleid los und verschränke meine Arme beleidigt vor der Brust. »Zu deiner Info, nicht das es dich interessieren würde, aber das hätte ich auch schon längst, wenn ich dich gewollt hätte«, zische ich geradeaus ins nichts. Ihn ansehen will ich nicht. Er verdient es nicht, mir in die Augen zu sehen. »Gut«, antwortet er knapp und desinteressiert. »Gut«, erwidere ich bissig. Er schaufelt sich weiter sein Essen in den Mund. Es wird still zwischen uns beiden. Wir sitzen nebeneinander auf dem Sofa, schweigen uns an aber die Blitze, die mich von der Seite treffen, bohren sich tief in meine Haut. Und ich hoffe, dass er die, die ich ihm schicke, ebenfalls spürt.

Serpent King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt