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MILA

Es dauert über eine Stunde bis Henry zurück kommt. Zwei Tüten stellt er auf dem Küchentisch ab, an den ich mich setze. »Ich habe das brauchbarste gekauft, das ich finden konnte. Hoffentlich passt es...«, spricht er und schiebt mir die Papiertüte über das Holz zu. »Vielen Dank«, lächle ich und ziehe neugierig das erste Teil heraus. Es ist ein schlichtes langes Shirt, dazu eine Jeans und ein paar weitere Oberteile. Ganz unten in der Tüte entdecke ich Unterwäsche. »Die habe ich nicht ausgesucht, keine Sorge. Eine der Angestellten hat mir geholfen«, wendet er sofort ein. Ich lache leise und stecke alles zurück. »Danke Henry. Was hast du da noch mitgebracht?«, möchte ich mit großen Augen wissen. Selbstbewusst zieht er eine große Packung Fleisch hinaus. »Angus Beef, das beste dass es gibt. Eigentlich ist das Fergus sein Part, aber ich denke nicht, das er heute in der Stimmung sein wird zu kochen.«
»Richtig«, murmle ich und angle nach der Plastikdose in meiner Hosentasche. Die hatte ich fast vergessen. Zögerlich strecke ich sie dem großen Soldaten entgegen und beiße mir skeptisch auf die Unterlippe. »Die habe ich bei ihm gefunden. Weißt du, wofür die sind?«
Henry nimmt sie mir ab und begutachtet sie, dreht sie mehrmals in seinen Händen umher. »Hm, jetzt wird mir auch klar wo er war. Das sind Antidepressiva, die sollen ihm beim Entzug helfen. Hier auf der Basis ist ein Konsumverbot. Schon die kleinste Spur von dem Pulver kann ihm seinen Posten und Job kosten. Mrs McMiller wird ihn unter Druck gesetzt haben...«, erklärt er mir, als hätte er gerade einen Lichtblick gehabt. In meinem Kopf macht sich ein überdimensionales Fragezeichen breit. »Mrs Mc - wer?«
»Miller. Sie ist unsere Psychologin und betreut ihn. Ich denke mal das er zu ihr gehen musste um nicht von der Basis zu fliegen. Soweit ich weiß hat er Auflagen. Vielleicht war er deswegen beim Boss...«
Henry räumt grübelnd die Tüte aus und wirft mir die Pillen wieder zu. Nachdenklich schließe ich meine Handflächen um das Döschen. »Er hat Kokain genommen, als ich nach ihm sehen wollte«, seufze ich. Die Tabletten wiegen plötzlich so schwer in meiner Hand. Diese Drogen machen ihn unliebsam und fies. Vor allem aber machen sie mich neugierig darauf, wer Fergus wirklich ist. Ob er auch sonst so grimmig und verärgert ist? Oder ein ganz anderer? Fakt ist leider nur, das diese Droge ihm zu schaffen macht. Wenn er nicht damit aufhört, wird er sterben.

Gott, wieso macht mir das überhaupt so viel aus? Ich kenne ihn fast überhaupt nicht. Trotzdem fühlt sich mein Herz komisch an wenn ich daran denke. Wenn ich an ihn denke...
Mir wird klar, dass der einzige Grund ist, wieso ich das für ihn empfinde, mein Vater ist. Er hat mich all die Jahre jeglichen Sozialkontakten geraubt, sodass ich mich jetzt an die erstbeste Person klammere, die mir über den Weg läuft. Es mag falsch sein, aber fühlt sich auch so verdammt richtig bei ihm an. Fergus löst etwas in mir aus, das ich nicht einordnen kann. Letzte Nacht habe ich von ihm geträumt. Was seine Hände ausgelöst haben, das Kribbeln in meinem Bauch und die Hitze in meiner Mitte. Wie sich seine Hand in meinen langen Haaren verfangen hat als ich mich revanchiert habe. Selbst wenn er mir klar gemacht hat, das es für ihn nichts bedeutet hat. Ich glaube an Schicksal. Vielleicht sollte das am Strand so kommen, weil Gott gewusst hat, das wir einander brauchen. Egal wie fies Fergus zu mir sein mag. Seine Aura ist mysteriös und gleichzeitig so interessant, das er mich anzieht wie das Licht die Motte. Er ist wie ein Schloss das ich knacken will, und nicht aufgeben werde bis ich es geschafft habe. Wenn mir mein Bruder etwas beigebracht hat, dann ist es niemals aufzugeben.
Wieder drehe ich die Tabletten in meinen Fingern und stecke mir eine Strähne meiner Haare hinter die Ohren. Genau jetzt beschließe ich, mehr aus Fergus hinaus zubekommen, ob er will oder nicht. Er hat mich an der Backe und wir müssen irgendwie lernen miteinander auszukommen.

»Er wird es doch aber nie freiwillig machen, oder?«, hake ich nach. Henry schließt die Tür des Kühlschranks und lehnt sich daneben an die Schubladen der Küchenzeile. Er stützt die Arme neben sich auf die dunkle Platte und zuckt mit den Schultern. »Habt ihr denn einen guten Grund hier zu bleiben? Dann muss er es früher oder später wagen. Aber es wird nicht leicht, sogar noch schwerer als jetzt. Ich weiß nicht was das zwischen euch ist, aber vielleicht braucht er jemanden, der einfach für ihn da ist. Wir haben schwere Zeiten durchgemacht und Fergus hat es mehr getroffen. Er konnte es nie verkraften, das jemand gestorben ist den er sehr geliebt hat, verstehst du?«
Ich nicke und mir wird klar, das wir uns nicht so verschieden sind, wie er vielleicht denken mag.
»Aber er hat gesagt, das es ihn nicht interessiert das es mir auch so ging. Ich habe meinen Bruder verloren und ihn hat es nicht gekümmert. Was soll ich tun? Fergus und ich können nicht einfach getrennte Wege gehen...«

Henry hebt seine Augenbrauen interessiert. »Wieso nicht? Was ist vorgefallen?«, will er wissen. Mist. Wie rede ich mich nun wieder heraus? Vielleicht sollte ich ehrlich sein. Die relevanten Sachen kann ich ja auslassen, oder?
»Irgendwie habe ihn mit in mein Schlamassel gezogen und nun ist mein Vater hinter uns her. Er ist kein guter Mann, würde alles tun um mich wiederzubekommen. Verstehst du? Es tut böse Dinge. Ich bin geflohen, Fergus und ich sind uns nur durch Zufall begegnet. Nun denken sie, das er mir geholfen hat. Die Basis ist unsere letzte Zuflucht«, gestehe ich ehrlich. Henry versinkt einen Moment in Gedanken. Grübelnd mahlt er auf seinem Unterkiefer und überschlägt die Beine. »Weist du, ich glaube dennoch, das Fergus jemanden braucht, der ihm hilft. Du kannst das für ihn sein, vielleicht bist du die einzige, die er an sich ran lässt. Immerhin schlaft ihr in einem Bett und er hat dich noch nicht rausgeworfen, wärst du ihm egal hättet ihr euch nie kennengelernt, denn er hätte deine Not einfach ignoriert«, stellt er klar. Vielleicht mag etwas an seinen Worten dran sein, aber das ändert nichts an der Tatsache das Fergus immer noch so gemein zu mir ist. »Er hat mich aus dem Bett getreten... außerdem ist er wie eine Kokosnuss. Ohne die richtige Idee kann man ihn nicht knacken«, seufze ich. Ein komischer Vergleich. Henry schmunzelt. »Klingt nach Fergus. Aber wie auch immer, wenn du tausend mal auf die Kokosnuss haust, wird sie irgendwann kaputt gehen und ihr inneres offenbaren. Versuch es doch nochmal«, rät der Soldat mir. Nachdenklich blicke ich auf die Packung Tabletten in meinen Fingern. Er sagte, das es den Entzug lindern würde. Fergus wird das nie von selbst beginnen, nicht so lang er noch Kokain hat. »Sag mal, wird man eigentlich auf Drogen kontrolliert, bevor man die Basis betritt?«, fällt mir auf. Er schüttelt den Kopf und öffnet den Kühlschrank wieder, bereit den Rest der Einkäufe wegzuräumen. »Nein, aber hier spazieren genug Drogenspürhunde rum, das es sofort auffallen würde. Wieso?«, fragt er mich. Schulterzuckend schiebe ich die Tabletten in meine Hosentasche. »Nur so, dann geht ihm ja irgendwann der Stoff aus. Wir müssen nur darauf warten. Süchtige tun alles für ihr Zeug, oder?«
»Auf was willst du hinaus?«
»Vielleicht erzählt er mir dann etwas.«

Ich schnappe mir die Tüte vom Tisch und verschwinde nach oben. Fergus mag das Gästezimmer belegen aber es gibt ein separates kleines Bad am Ende des Flures, in das ich mich verziehe und die Sachen anprobiere. Dabei geht mir die Frage nicht aus dem Kopf, wann ihm wohl das Kokain ausgehen wird. Früher oder später wird er einen Entzug durchmachen. Er kann hier nicht weg und ist gezwungen dazu. Ich bin gespannt auf den nüchternen Fergus. Wie er wohl sein mag?

Serpent King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt