MILA
Eine cremefarbene Bluse und eine schwarze Skinny Jeans trage ich als mir vorm Spiegel im Bad auffällt, das meine Kette nicht mehr an meinem Hals hängt. Die Kette mit dem Buchstaben Anhänger hat mir Neal geschenkt und nun habe ich sie verloren... Sie muss abgefallen sein als der Wagen mich getroffen hat. Mir ist nach weinen zumute je länger ich daran denke. Tief durchatmend ermahne ich mich, das ich stark bleiben muss. Das ist das einzige was mich davon abhält verrückt zu werden. Unsicher betrachte ich mich ein letztes Mal im Spiegel. Mein altes Ich steht mir gegenüber, in feinen Sachen und doch ist es nicht das gleiche Gefühl. Noch vor ein paar Tagen wollte ich mich umbringen und jetzt habe ich nichtmal mehr die Kraft um es zu beenden. Stattdessen mache ich mich auf den Weg zum Abendessen, wie mein Vater es verlangt hat.
Als ich die Tür von meinem Zimmer öffne stehen die beiden Affen in Anzügen immer noch an Ort und Stelle und mustert mich kritisch. Ich sage kein Wort zu ihnen als ich vorbeigehe. Sie folgen mir auf Schrott und tritt. Super, denke ich mir, nicht mal mehr allein in meinem eigenen Zuhause darf ich mich frei bewegen...
Unwohl schlage ich den Weg hinunter zum Esszimmer ein und beschließe die beiden Männer vorerst zu ignorieren. Ich halte meinen verletzten Arm stets gebeugt damit der Schmerz nicht zu groß ist. Er ist hundert prozentig gebrochen...
Schon als ich durch die Flügeltür des Esszimmers gehe entdecke ich meinen Vater am Kopfende des Tisches. Aus der Küche riecht es verdächtig nach Lammbraten und Gemüse riecht.»Setz dich«, weißt mein Vater mich mit strenger Stimme an. Eine der Angestellten rückt mir den Stuhl zurück sodass ich mich setzen kann. Kaum habe ich das getan, wird mir bereits etwas zu trinken eingeschenkt. Ich beobachte wie das Wasser ins Glas plätschert als wäre es das interessanteste auf der Welt, nur um ein paar Sekunden den Blicken meines Vaters zu entgehen.
»Wieso wolltest du, das wir gemeinsam essen?«, komme ich direkt zum eigentlichen Thema. Er muss einen Hintergedanken dabei haben. Sein undurchdringlicher Blick ist wie eine Mauer vor seiner Seele. Ich kann nichts in seinen kalten Augen lesen, die früher denen von Neal so geähnelt haben. Sie waren warm und herzlich, nicht so verbittert und gleichgültig. Aber das ist schon eine lange Zeit her... Viel zu lang um mich noch genau daran erinnern zu können. Ich weiß nur das er immer distanzierter mir gegenüber als zu meinem Bruder war. Er wollte das er das Geschäft fortführt, bereits vor seinem Tod gab es Streit deswegen. Neal wollte nicht das tun was er mein Vater tat und ging zur Armee. Das RAF hat ihm gutgetan. Er liebte es in den Flugzeugen zu fliegen, hoch über den Wolken frei zu sein. Das erzählt er mir immer wieder und doch war es ein so weit entfernter Gedanke für mich, sich je aus den Ketten meiner Familie lösen zu können. Für ihn war das einfacher als für mich. Er war älter und ein Mann, ganz im Gegensatz zu mir. Seit meine Mutter weg war wurde viel von mir erwartet. Ich sollte die perfekte Tochter sein die nie etwas in Frage stellte oder sich zur Wehr setzte, die die alles über sich ergehen ließ und brav befolgte was ihr befohlen wurde. Ich bin nicht die die mein Vater sich gewünscht hat, denn er wollte eine Marionette, an dessen Fäden er beliebig ziehen kann. Nein, so bin ich nicht und werde es nie mehr sein. Die Zeit mit Fergus hat mich das gelehrt.»Wo warst du die Zeit über?«, fordert mein Vater zu wissen. Er hebt sein volles Weinglas an und trinkt einen großen Schluck daraus. Das interessiert ihn? Er will doch nur wissen, wer Fergus ist um ihm wehzutun. Zu blöd das er nicht weiß, das man Fergus nicht mehr verletzen kann. Er hat schon so viel gelitten das es praktisch unmöglich ist seine Seele noch mehr Schaden zuzufügen - oder?
»In Schottland«, stelle ich mich dumm und beiße mir auf die Innenseite meiner Lippe. Seine Augen werden augenblicklich schmaler. »Stell mich nicht dumm hin, Ludmila«, warnt er mich. Es soll eine Drohung sein die ich ernst nehmen sollte, wieso kann ich es dann nicht? Unter dem Tisch spiele ich nervös mit dem Zipfel meiner Bluse. Der Seidenstoff reibt geschmeidig über meine Fingerkuppen und lenkt mich einen Moment ab.
»Was? Wirst du es nicht sagen?«, hakt der alte grauhaarige nach. Ich senke mein Gesicht gen Boden. »Ihr wart doch schon in seiner Wohnung«, zische ich bissig, »wieso also willst du wissen wo ich war?«
»Weil ich es aus deinem Mund hören will«, keift er mir entgegen. Mein Herz klopft mir so laut in den Ohren, das ich fast das klappern des Porzellans nicht höre, das gerade vor mir abgestellt wird. Tatsächlich befinden sich braten, Gemüse und Soße auf dem Teller. Durch den Dampf der aufsteigt blicke ich meinem Vater mutig entgegen und balle meine gesunde Hand unter dem Tisch zur Faust. »Was wirst du tun?«, frage ich ihn mit zittriger Stimme. Der Gedanke, das er Fergus etwas antun könnte, frisst sich wie Bakterien in mein Gehirn. Ich könnte mir nie verzeihen wenn dem Schotten etwas wegen mir zustößt. Nein, das könnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren.
Mein Vater stößt ein gehässiges Lachen aus und greift sich seine Gabel. »Hast du etwa Angst um diesen dahergelaufenen Typen? Schau dich doch an Ludmila, er ist wahrscheinlich froh, das er dich los ist.«Seine Worte treffen mich hart. Schluckend versuche ich irgendwie die aufsteigenden Tränen aufzuhalten. Ich lange ebenfalls nach meinem Besteck und beginne zu essen. Dabei kreisen meine Gedanken allein um den dunkelhaarigen, mit dem ich die letzten Tage verbracht habe. Nichtmal das Essen schmeckt mir mehr. Ist an den Worten meines Vaters etwas wahr? Sucht er wirklich nicht nach mir weil er froh ist, mich losgeworden zu sein?
Der Kuss im Badezimmer wäre nie passiert wenn er abgeneigt wäre. Er hätte ihn sofort beenden können und mich von sich schubsen, doch das hat er nicht. Er hat ihn erwidert und mich nicht von sich gestoßen. Fergus' Augen haben sich verändert als er mich angesehen hat. Gestern hat er meine Hand gehalten obwohl er Tage zuvor noch nicht berührt werden wollte. Ich muss etwas in ihm auslösen, sonst hätte er nie so reagiert. Diese Konversation ist ein weiteres Psychospielchen meines Vaters. Er will mich brechen, mich am Boden sehen und auf mir herumtrampeln. Seine Absichten sind böse und hinterhältig und ich werde nicht mehr für sie fallen. Das schwöre ich mir hiermit.
Hungrig schiebe ich mir eine weitere Gabel essen in den Mund und meide seine Augen fortan. Das ist der einzige Weg um mich von ihm nicht einschüchtern zu lassen, selbst wenn ich den Braten wieder auskotzen will. Aber ich will nicht unhöflich sein, jemand hat sich Mühe gegeben diese Mahlzeit zuzubereiten. Sie ist nicht dafür gemacht mir zu schmecken, sondern nur meinem Vater. Ich vermisse Fergus seine Rühreier...
»Was siehst du in diesem tätowierten Schotten?«, will er angewidert wissen. Er weiß also genau wer Fergus ist. Ich schließe meine Augen und sehe ihn vor mir stehen, letztens im Badezimmer. Seine ängstlichen Augen als er dieses Flashback hatte und die Fäuste, die bereit waren auf sich selbst einzuschlagen. Seine tiefen Augenringe und die verwuschelten Haare. Ich spüre wie seine Lippen schmecken und die Berührungen seiner Finger an meiner empfindlichen Stelle. All diese Dinge erinnern mich an ihn und doch ist es mein Kopf der am verbundenste mit ihm ist. Wir beiden haben unsere Dämonen, die niemand sonst versteht. Entweder retten wir uns gemeinsam oder gehen einsam unter. Vielleicht ist es Neal der all das eingefädelt hat und uns vom Himmel aus zuschaut. Weil er wusste wie sehr wir einander brauchen obwohl wir uns nicht kannten. Eine Träne kullert mit über die Wange, ich schaffe es gerade so sie wegzuwischen. Tief durchatmend trinke ich einen Schluck Wasser und sammle mich, für meine Antwort.
»Ich sehe all das in ihm, was niemand sonst sieht.«
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Serpent King | 18+
RomanceFergus Duncan, ein drogenabhängiger Ex-Soldat lernt Ludmila Karakov kennen, eine junge Frau die verzweifelter nicht sein könnte und sich in die eisigen Fluten des Meeres stürzen will. Ihr letzter Ausweg vor einer Heirat mit einem Mann, der ihr Vater...