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FERGUS

Lustlos spiele ich mit dem Ausweis in meinen Händen. Bereits seit Stunden sitze ich hier und warte auf einen Anruf von Henry. Er wollte allein in der Stadt nach ihm suchen, weil Mrs McMiller mich unbedingt sehen wollte. Ich hoffe sie merkt, das ich am liebsten wo anders wäre und nicht auf ihrem lausigen Sessel in ihrem dummen Therapiezimmer.
»Wollen Sie jetzt endlich mit mir sprechen?«, erkundigt sie sich ungeduldig bei mir. Ich tue nicht dergleichen und drehe den Ausweis weiter zwischen meinen Fingern.
»Fergus... Was ist passiert?«
»Nichts, dass sie angehen würde«, knurre ich ihr entgegen. Die Blondine notiert sich etwas bevor sie fortfährt. »Hat es etwas mit dem netten Mädchen zutun, mit dem ich vor ein paar Tagen gesprochen habe? Mila, oder?«, fragt sie mich weiter. Gott, wann hört sie endlich auf mich wie eine Zitrone auszuquetschen?
»Was ist passiert?«
»Wenn ich es erzähle, darf ich dann endlich gehen?«, raune ich genervt. Ich würde nichts lieber tun als mich schleunigst von diesem Ort zu verpissen. Mein Entzug schwächt meinen Körper schon genug. Zwar bin ich Uhr dankbar das sie dichthält und nichts ausplappert, aber Kaffeekränzchen will ich nicht halten. Es gibt wichtigere Dinge die ich zutun habe - Mila finden. Ihr muss etwas passiert sein, sonst wäre sie schon längst zurück oder wir hätten sie gefunden. Ich glaube nicht, das sie noch da draußen ist. Was, wenn ihr Vater sie geschnappt hat? Er uns auf die Schliche gekommen ist und nur darauf gewartet hat, das sie die Basis verlässt? Wenn ja, habe ich mit meiner Flucht dafür gesorgt, das sie hinter den schützenden Zäunen und Mauern hervorkommt. Dann habe ich sie genau zu ihm gelockt...
Ich beiße mir hart auf die Wange, um mich abzulenken. Meine Schuldgefühle sind zu groß.
»Ja, erzähl mir was passiert ist«, versichert sie mir.
»Ich habe herausgefunden das sie die Schwester von meinem besten Freund ist«, murmle ich.
»Neal?«
Auf den Teppich schauend nicke ich.
»Das kam plötzlich...«
»Sie wusste nicht das Neal und ich Kameraden waren. Wir haben es nur durch Zufall erfahren, das er-« ich lasse den Rest des Satzes in der Luft hängen. Durcheinander fahre ich mir durch die Haare und schüttle meinen Kopf. »Ich habe einen Fehler gemacht und sie wollte nach mir suchen. Seitdem ist sie nicht mehr wiedergekommen...«
Mrs McMiller überschlägt ihre Beine und strafft ihren Rücken. Interessiert schaut sie mich an als würde mir die Antwort auf ihre Fragen auf die Stirn geschrieben sein. Nach wenigen Sekunden merkt sie selbst, das dort nichts zu finden ist und presst ihre Lippen enttäuscht aufeinander.
»Bedeutet sie dir etwas?«
Eine gute Frage... Sie war immer selbstlos und nett zu mir, aber reicht das wirklich aus, um jemandem etwas zu bedeuten? Ich weiß es nicht. Wenn ich daran denke wie sie es mir besorgt hat, wird mir anders zumute. Mein Bauch wird flau, doch nicht im schlechten Sinne. Bedeutet sie mir etwas? Die Schwester meines besten Freundes? Ich sehe einen Teil von ihm wenn ich sie anschaue. Könnte ich sie jemals im Stich lassen? Neal war wie ein Bruder für mich, das hätte er mir nie verziehen, aber tue ich das wirklich nur wegen ihm, oder tue ich es wegen ihr selbst?
»Ich weiß es nicht«, antworte ich ehrlich. Vielleicht ist dies die einzige Antwort die mein Kopf zulassen will, damit ich nicht verletzt werde. Er spielt mir ohnehin streiche. Selbst jetzt wenn ich zu lange meine Augen schließe höre ich Erinnerungen aus Afghanistan. Die die ich so lang versucht habe mit den Drogen zu betäuben. Mir kribbelt es in den Fingern und ich werde nervöser. Die Tablette die ich vor ein paar Stunden genommen habe lässt langsam nach. Ich will zurück ins Haus um noch eine zu nehmen, doch Mrs McMiller wird sich nicht so einfach abspeisen lassen.

»Was fühlst du, wenn du an sie denkst?«, hakt die Psychologin weiter nach. Nachdenklich schiebe ich mir meine Hände in die Taschen und bilde sie zu Fäusten. »Keine Ahnung.«
»Das ist gelogen«, behauptet sie.
»Woher wollen sie das wissen?«
»Ich sehe es dir an. Deine Haltung hat sich verändert, die Hände sind versteckt. Hältst du sie in Fäusten? Du versuchst deine Gefühle für sie zu unterbinden, weil du denkst das es dir schaden könnte«, entlarvt sie mich. Mal wieder merke ich wie sehr ich sie nicht mag. Sie dringt in meine Gedanken ein - etwas das ich verabscheue.
»Aber das tut es nicht«, fährt sie fort, »Du magst sie und das ist okay, selbst wenn sie die Schwester deines besten Freundes ist. Ist das nicht nur noch mehr ein Grund sie zu finden, falls sie wirklich noch da draußen ist? Sie hat dir schließlich geholfen als es dir schlecht ging und ich sehe, das du immer noch damit kämpfst. Wenn du schon keine Hilfe von mir möchtest, dann nimm wenigstens ihre an. Sie mag dich nämlich genau so sehr wie du sie. Ich bin sicher sogar Henry hat es gesehen, nur ihr nicht.«
Ihr Vortrag bringt meinen Kopf zum qualmen, weil das was sie sagt vielleicht garnicht so absurd ist wie es klingt. Aber kann ich mir das auch wirklich eingestehen? Zugeben das ich sie mag?
Sie hat mich geküsst und es geschafft, das ich für einen Moment aus meinen Flashbacks befreit wurde. Wie hat sie das gemacht? Wie konnte sie meinen Kopf nur so verdrehen?
Durcheinander erhebe ich mich vom Sessel und ziehe mir die Kapuze über den Kopf. »Bis nächste Woche Doc«, verabschiede ich mich ohne auf ihre Worte einzugehen. Ich stürme aus der Tür hinaus und höre noch wie sie etwas sagt, das ich nicht mehr verstehe.

Mit großen Schritten verlasse ich das Gebäude in dem ihre Praxis liegt und eile zurück zu Henrys Haus, das nur wenige hundert Meter entfernt liegt. Mehrere Jets fliegen über meinen Kopf und bringen mein Herz dazu schneller zu schlagen. Die Geräusche sind mir noch immer nicht geheuer. Ich merke wie meine Gedanken düsterer werden und sich ein Schleier droht über mein Gedächtnis zu legen. Fuck, ich brauche dringend diese Tabletten, bevor ich irre werde. Wenn jetzt jemand mitbekommt was los ist, kann ich meinen Job gleich vergessen. Im Moment ist dies meine einzige Einnahmequelle. Zwar sitze ich auf einem Haufen Geld im sechsstelligen Bereich, aber das hier aufgeben kann ich noch nicht.

Die Haustür fällt mit einem Krach hinter mir ins Schloss und weckt Henrys Aufmerksamkeit, der bis eben noch vor dem Kühlschrank stand. Ich eile die Treppe nach oben in den ersten Stock und er schaut mir nach. »Alles okay?«, ruft er mir zu, ich antworte nicht. Im Gästezimmer liegt die Tabletten Packung neben einer Flasche Wasser, die noch von der Nacht hier steht. Ich drücke eine kleine Pille aus dem Film und werfe sie mir mit etwas Wasser ein. Kaum ist sie in meinem Magen atme ich auf und sinke rückwärts aufs Bett.
»Hey...«, macht Henry erneut auf sich aufmerksam. Mit dem Rücken zu ihm gekehrt verschließe ich die Flasche und halte sie in meinen Händen. »Hast du etwas gefunden?«, frage ich nach ohne ihn anzusehen.
»Kurz vor der Stadt sind schwarze Spuren auf dem Asphalt. Ich habe bei der örtlichen Polizei nachgefragt aber niemand scheint einen Unfall gemeldet zu haben«, erzählt er und kommt hörbar näher. Seine Schritte schallen an den Wänden wieder. Meine Stirn legt sich in tiefe Falten. »Denkst du es hat etwas damit zu tun?«, murmle ich verwirrt. Schwarze Reifenspuren auf der Straße? Es ist unmöglich das sie etwas in meiner Wohnung gefunden haben, das mich hiermit in Verbindung bringt, bis auf - meine alte Pilotenjacke der RAF hängt in der hintersten Ecke meines Schrankes. Wenn sie die gesehen haben, dann hat sie das hierher geführt. Fuck.
Henry zieht etwas aus seiner Hosentasche das mich nicht mehr zweifeln lässt, das diese Spuren verwickelt sind. Eine goldene Kette hängt von seinen Fingern hinab. Der Anhänger ist geformt wie ein M, es steht für Mila. Ich habe die Kette öfters an ihrem Hals gesehen.
»Die lag im Straßengraben auf der Wiese. Tut mir leid Fergus«, erzählt der dunkelhaarige mir. Mit schwerem Herzen nehme ich sie ihm ab und schließe meine Hand fest um sie zusammen. In dem Moment wird mir bewusst, das Mila entführt wurde. Und das ist alles meine verfickte Schuld...

Serpent King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt