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MILA

Es vergehen endlose Minuten bis er sich irgendwann wieder regt. Nur, als ich ihn auf Sine Verletzungen aufmerksam mache. »Deine Hand muss verarztet werden, Fergus...«, flüstere ich gegen seine Haare. Meine Hand liegt auf seinem Hinterkopf, streift seinen Nacken und die Haut. Er lässt es zu. Ist einverstanden das ich ihn berühre. Er hat schon so lange kein Wort mehr gesprochen. »Fergus...«, wispere ich erneut. Es ist eine einfach bitte, mich machen zu lassen. Doch er tut nicht dergleichen. Zaghaft gleitet meine Hand hinab zu seiner. Ich hebe sie an und betrachte sie. Ein Schnitt auf seiner Handfläche, drei auf seinem Handrücken. Sie sind nicht tief, aber müssen verbunden werden, bevor Dreck in die Wunden gelangt.
Behutsam schiebe ich mich von ihm. Der Schotte wagt es nicht, mir in die Augen zu schauen. Stumm wie eine Maus sinkt er auf den Rand der Badewanne und lässt mich machen. Ich suche einen Verbandskasten den ich unter dem Waschtisch finde, mich damit vor ihn Knie. In seinem Schoß liegen seine zitternden Hände, die wackeln wie Pudding. Schluckend ergreife ich die Verletzte und wische ihm jeden Tropfen Blut von den Fingern. Immer wieder zucken sie unter meinen Berührungen. Es fühlt sich an, als wäre er nicht mehr Herr über seinen Körper. Als hätte ein Dämon Besitz von ihm ergriffen.
Seine Haut ist rau und warm, er zittert nicht weil ihm kalt ist.

Im Verbandskasten finde ich weiße Tapes die ich zaghaft über die Schnitte klebe. Anschließend folgt eine Mullbinde. Vor ein paar Jahren als mein Bruder noch gelebt hat, musste ich seine Wunden verbinden, nachdem er nach einem Streit mit meinem Vater so sauer war, das er zwei Teller zerscheppert hatte. Ich weiß noch genau das es aussah wie in einer Fleischerei, als ich in die Küche kam. Seit dem kann ich es.
»Fertig«, wispere ich und erhebe mich, schmeiße den Müll in den schmalen Eimer neben der Toilette. Den Kasten stelle ich zurück an seinen Platz und husche durch die Tür ins Schlafzimmer. Auf dem Nachttisch geht eine kleine Flasche Wasser, die er nicht angerührt hat. Ich nehme sie mir und kehre ins Bad zurück. Vor Fergus zum stehen kommend strecke ich ihm meine flache Hand entgegen, direkt unter die Augen, sodass er es sieht. »Nimm, du solltest schlafen«, fordere ich ihn auf. Denn ich merke, wie er wieder abzudriften droht. »Fergus«, spreche ich wieder zu ihm. Blinzelnd streckt er seine zitternde Hand aus. Seine Schultern sind nach vorne gefallen und der Kopf hängt. Ich schraube ihm die Flasche auf und reiche sie ihm. Er trinkt nur winzige schlucke als er die Tablette nimmt. Es ist besser als nichts. »Danke. Du wirst dich bald besser fühlen«, versichere ich ihm. Von ihm geht keinerlei Reaktion aus. Ich strecke ihm meine Hand entgegen, die er mit der Gesunden annimmt. Hinter mir gehend gelangen wir zurück ins Schlafzimmer in dem es stickig und heiß ist. Während Fergus ins Bett fällt reiße ich die Fenster auf und gönne mir einen Moment um die kalte frische Luft einzuatmen, die in den Raum strömt.
Als sich mein Herzschlag wieder etwas beruhigt hat stoße ich mich vom Fensterbrett ab und gehe zurück zu ihm. Er liegt auf der Seite und hat die Augen geschlossen, doch ich sehe das sie flimmern. Behutsam sinke ich auf die Matratze vor ihm und Decke seinen Körper bis zur Schulter zu. Meine Hand verweilt auf ihm. Ich werde bleiben bis die Tabletten ihre Wirkung entfalten und anschließend das Chaos im Bad beseitigen, bevor noch jemand reintritt.

Tief ausatmend betrachte ich sein ruhiges Gesicht und die geschlossenen Augen. Er schläft nicht, das ist mir bewusst, aber er wirkt plötzlich so friedlich. Ihm scheint meine Hand auf seiner Schulter nicht zu stören. Ich hatte noch keine Zeit über das geschehe nachzudenken. Mir nie Meinung zum Kuss zu bilden. Ich weiß nur, das es sich so gut angefühlt hat, ihn zu küssen. Ich hätte nicht gedacht, das ich mich das je getraut hätte. Ich bin davon ausgegangen, das er mich von sich stoßen wird, doch das hat er nicht getan. Bedeutet dass, das er es auch wollte? Oder nur das ich seine Gedanken damit zum schweigen gebracht habe. Was auch immer sein Grund gewesen sein muss, ich werde es nicht erfahren.

Ich verweile an der Bettkante bis er eingeschlafen ist. Seine Atemzüge werden ruhig und gleichmäßig als er in einen tiefen Schlaf abdriftet. Er sieht aus als hätte er das tagelang nicht mehr gehabt. Seufzend erhebe ich mich und schleiche über den Holzboden ins Bad, die Tür schließe ich sachte hinter mir.
Das Licht ist noch an und so sehe ich das ganze Ausmaß von Fergus. Mir bietet sich ein Chaos der ganz neuen art. Die Zahnbürsten liegen zwischen den vielen Scherben des Bechers und unzähliger anderen Dinge. Die Glastür des Schränkchens ist unter seiner Faust in Millionen Einzelteile zersplittert und liegt wie ein Puzzle vor mir. Zahnpasta, Shampoo und Creme hat er achtlos hinter sich geschmissen. Ich bin so baff, das ich nicht weiß wo ich anfangen soll. Ich entscheide mich, zuerst die Scherben um der Toilette aufzusammeln. Sie landen alle im Mülleimer, mit dem ich mich durchs Bad arbeite. Es dauert Stunden bis ich es alles beseitigt habe und es wieder halbwegs normal ausschaut.
Geschafft picke ich eine Scherbe aus meinem Fuß und Klebe ein Pflaster darüber, damit das Blut nicht auf die frisch gesäuberten Fließen tropft. Ich gönne mir eine kurze Dusche bevor ich mir etwas überwerfe und ins Schlafzimmer zurückkehre. Inzwischen ist es kalt in den Räumen. Ich schließe das offene Fenster und gehe auf Zehenspitzen zurück zum Bett, um mich hinzulegen. Fergus hat sich inzwischen im Schlaf gedreht, so blicke ich ihm nun ins Gesicht. Ausatmend betrachte ich seine angestrengte Mine und wage es meine Hand zu seiner Stirn zu heben. Seine Haut fühlt sich schwitzig aber kalt an. Seine Lider flattern immer wieder, die Augen huschen hin und her. Ich weiß nicht was mich dazu bewegt, als ich meine Hand auf seine Wange lege und sie dort verweilen lasse. Meine Finger fahren über seine drei Tage Bart, sein Kinn und seinen Mundwinkel. Meine Augen fliegen über seine Lippen, die Nase und Augen. Jetzt, wenn er schläft, kann ich ihn mir nicht im Krieg vorstellen. Obwohl er immer so abgehärtet und stark wirkt. Jetzt ist er es nicht, nur ein Junge der schreckliches erlebt hat. Und etwas in mir verlangt, das ich ihm nicht allein durch die Hölle gehen lasse. Mein Herz schmerzt bei dem Gedanken, das er das vielleicht nicht aushält. In den letzten Wochen haben wir so viel Zeit miteinander verbracht. Ein Teil von mir will glauben, das alles gut wird. Das er es schafft von diesem Zeug wegzukommen und danach endlich frei ist. Aber auch, das mein Vater mich nie findet. Das er es irgendwann aufgibt, selbst wenn mir bewusst ist, das es so nicht kommen wird. Bei Fergus fühle ich mich zum ersten Mal sicher, selbst wenn er wie ein Wrack neben mir liegt und schläft. Ich weiß, das es noch lang nicht vorbei ist, aber hoffe, das es ihm bald besser geht. Langsam muss ich mir eingestehen, das er mir wirklich am Herzen liegt. Ich kann das gute in ihm sehen, das schon so lange versucht hervorzubrechen.

Serpent King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt