MILA
Samstag...
Die letzten Tage habe ich konstant geweint und um Gnade gefleht, die mein Vater nicht walten lies. Er hat mich betäubt und mich gewaltsam zurück nach Schottland geschleppt, in die Stadt in der ich ihm einst entkommen bin. Im Gegensatz zu damals hat er mehr Sicherheitsvorkehrungen getroffen und ein Haus gemietet. Mehr als zwanzig Wachmänner passieren den Zaun minütlich, schwerbewaffnet und bereit zu töten. Seit Stunden zupfen Stylistinnen an meinen Haaren herum doch haben mein Gesicht noch nicht angerührt. Ich kann nicht aufhören zu weinen, geschweige denn zu zittern. Ich kann nicht mehr. Mit dem Wissen diesen Mann heiraten zu müssen kann ich nicht leben. Ich will es beenden, aber wie? Entkommen kann ich nicht und den Mut es hier zu tun, habe ich auch nicht. Bis jetzt habe ich weder meinen Vater noch die Murdocks gesehen und das ist auch besser so. Mit den wissen das ich schon bald in der Kirche neben diesem Mann stehe und ihn heirate, wird mit speiübel. Gott, muss ich etwa auch heute mit ihm schlafen? Schluckend schlage ich mir die Hand vor den Mund und schluchze.
»Also bitte! So geht das nicht! Ich kann nicht arbeiten wenn Sie die ganze Zeit heulen«, brummt die eine Frau und lässt ihren Haarkamm auf den Tisch vor mir fallen. Frustriert marschiert sie aus dem Zimmer und lässt mich allein mit der anderen zurück. »Tut mir leid«, schniefe ich und erhebe mich aus dem Stuhl. Das wird mir alles viel zu viel gerade. Flüchtend schließe ich mich im Badezimmer ein, in dem das Hochzeitskleid vor dem Fenster hängt. Ich sinke weinend auf den geschlossenen Klodeckel und stemme mein Gesicht in die Hände. Dicke Krokodilstränen rinnen mir über die Haut und Tropfen auf meine Knie - ich kann sie nicht stoppen.
Wie kann ich nur noch entkommen? Fergus irgendwie eine Nachricht senden? Ihn erreichen? Niemand wird mir hier helfen, selbst die Frauen die mich herrichten sollen arbeiten für ihn. Ich kämpfe allein gegen diese Monster in einem Kampf, den ich nur verlieren kann. Ich will mir so sehr einreden das ich stark bin, doch am Ende schaffe ich es doch nicht. Ich bin erbärmlich, mein Bruder wäre enttäuscht von mir. Doch im Moment sehne ich mich nur danach, tief in die Arme des dunkelhaarigen Schotten zu sinken und mich in ihnen zu verstecken. Neal sagte einmal, dass man eine Person nur so sehr mag, wie sehr man sie vermisst. Das stimmt was Fergus betrifft. Ich mag ihn sehr...Tief durchatmend zupfe ich mir ein Blatt Klopapier ab und wische mir damit die letzten Tränen fort. Es bringt alles nichts - je mehr Zeit verstreicht desto länger zögere ich es heraus. Selbst wenn ich mich hasse, so zu denken.
Galle steigt in mir auf und ich schaffe es gerade so, mich vor die Toilette zu knien und den Deckel zu öffnen, bevor es mir hochkommt. Würgend halte ich meine vorderen Haarsträhnen zurück und kneife die Augen zusammen, die sich wieder mit Tränen füllen. Hustend und keuchend kauere ich vor der weißen Keramikschüssel und warte darauf, das es aufhört. Mein Magen verkrampft sich schmerzlich, dreht sich als würde ich Achterbahn fahren. Zitternd betätige ich die Spülung und raffe mich auf. Vor dem Waschbecken stehend lasse ich meinen Kopf hängen und Spüle mir den Mund mit Wasser aus, danach greife ich zur Zahnbürste. Erst als nur noch ein erfrischender Geschmack nach Minze auf meiner Zunge liegt, atme ich auf.Schwere Fäuste trommeln sogleich auf die Badtür ein. Ich habe die Zahnbürste kaum zur Seite gelegt, da wird auf das Holz geschlagen. Ich weiß sofort, das es nur mein Dad sein kann, niemand sonst. Merkt er nicht wie viel Angst er mir macht? Oder ist ihm das einfach nur egal?
»Öffne augenblicklich die Tür!«, keift er und ich zucke bei jedem Schlag auf das Holz zusammen. Mit wackelnden Händen ergreife ich den Schlüssel und öffne, wie er sagt. Er platzt sofort hinein, stößt die Tür auf, sodass sie mit einem wums gegen die Wand fliegt. Mit dem Finger auf mich zeigend stürmt er hinein, seine Miene eiskalt. »Hast du vergessen, was ich dir bei unserer Ankunft gesagt habe?«, zischt er mich an. Ich spüre die winzigen Tropfen seiner Spucke auf meine Haut treffen und zucke zurück. Eifrig den kopfschüttelnd ziehe ich die Schultern zusammen und senke den Blick. Er schüchtert mich ein.
»Anscheinend schon, Ludmila«, er spricht meinen Namen mit solch einer Verachtung aus, das mir fast das Blut in den Adern gefriert. Wie kann jemand, aus dem ich zur Hälfte bestehe, nur so grausam und kaltherzig sein? Das werde ich nie verstehen.
»...Du setzt dich jetzt auf diesen Stuhl und lässt dich fertig machen. Dann ziehst du dieses verdammte Kleid an und steigt in den Wagen! Und wenn ich nur eine, nur eine kleine Träne in der Kirche sehe, dann gnade dir Gott!« Seine Stimme wird so laut, dass sie sich zu einem schreien entwickelt. Er hebt die Hand und ich mache mich auf eine Backpfeife gefasst, doch nichts passiert. Stattdessen spüre ich wie seine Finger mein Kinn ruppig ergreifen und es in die Höhe reißen. Ich bin nun gezwungen in anzuschauen obwohl ich es nicht aushalte in seine verachtenden Augen zu schauen. Er hat nichts mehr für mich übrig. Vielleicht ist dass das einzige, das wir gemeinsam haben. An ihm liegt mir auch nichts mehr. Ich hasse ihn aus tiefster Seele.Seine Augen fahren mein Gesicht mit gerümpfter Nase auf und ab. Er lässt mein Kinn los und ein stechender Schmerz bleibt. »Und Wisch dir dieses Geheule von den Wangen. Das erträgt ja keiner«, weißt er mich angewidert an und marschiert davon. Innerlich will ich weiter weinen, schreien, ihm die Augen auskratzen. Doch ich schnappe mir ein Handtuch und wische mir schnell die letzten Überreste meiner Tränen fort. Ich laufe brav auf den Stuhl im Zimmer zu und schließe die Augen, lasse die Frauen machen. Dabei bete ich zu Gott, das mein Vater all das zurück bekommt, was er mir angetan hat. Er verdient sein Karma mehr als jeder andere. Ich hasse ihn.
~
Ich habe keine Uhr, um zu sagen wie viel Zeit vergangen ist. Es muss mindestens eine Stunde sein, denn die Sonne steht schon hoch am Himmel. Ob es schon zwölf ist? Die Augen zu Boden gehalten mustere ich den weißen Verband an meinem Unterarm und streiche sanft über die Mullbinde. Ich habe es nicht gewagt mich im Spiegel anzuschauen, seid die Frauen mit mir fertig sind. Egal wie schön sie mich hergerichtet haben, ich fühle mich wie ein Häufchen Elend. Schweigend erhebe ich mich und laufe zurück ins Badezimmer. Dort haben die zwei bereits das lange weiße Kleid vom Bügel genommen und es geöffnet. Ich werfe den weißen Bademantel unachtsam in die Badewanne und klettere in das Ungetüm aus weißem Tüll und Stoff. Der Ausschnitt ist eckig und gibt nur wenig von meiner Brust frei, die Schultern bedeckt mit langen durchschimmernden Ärmeln, die mir bis über die Handgelenke reichen. Der Rock fällt flüssig bis zum Boden und ist weder pompös noch zu schwer. Der Schleier den man mir in die gewellten Haare steckt, bildet eine drei Meter lange Schleppe hinter mir. Ich wage es nur einmal mich im Spiegel zu betrachten, und nur bis zu den Hüften. Wären die Umstände anders, wäre es ein schönes Kleid, aber so würde ich es am liebsten verbrennen. Ob es sich mit genug Wasser vollsaugt, um mich bis auf den Grund des Meeres zu ziehen?
Fraglich.
Ich schlüpfe in die unbequemen hohen Schuhe und warte bis die Damen die lange Knopfleiste am Rücken geschlossen haben, bevor ich mich umdrehe und einfach gehe. Die zwei Kasachischen Rottweiler, wie Fergus sie nannte, folgen mir auf Schritt und tritt bis zur Haustür. Einer der beiden reicht mir einen Strauß Blumen während der andere mir die Tür auffällt. Ich nehme ihn lustlos entgegen und schreite die Treppen hinab zum schwarzen Mercedes, der direkt vor mir geparkt hat. Ich schwinge mich auf den Rücksitz, ohne meinen Vater neben mir Beachtung zu schenken. Er verdient es nicht mehr, mir nur einmal ins Gesicht sehen zu können. Das werde ich ihm verweigern. Stur starre ich zum Fenster hinaus und präge mir jedes kleine Detail der Stadt ein. Nirgendwo sehe ich das Meer.
Meine Gedanken kreisen wieder um Fergus. Ob er noch auf der Airbase ist? Oder wieder in der Stadt? Sitzt er in einem der Autos an denen wir vorbeifahren? Besucht er eine der Einkaufsläden? Erschöpft lehne ich meine Stirn gegen die kalte Scheibe und atme tief durch. Ich vermisse ihn so sehr... Ein Teil in mir hat gehofft das er doch noch kommen würde um mich zu finden, aber vielleicht bedeute ich ihm weniger als ich dachte. Vielleicht ist er froh, mich losgeworden zu sein.
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Serpent King | 18+
RomanceFergus Duncan, ein drogenabhängiger Ex-Soldat lernt Ludmila Karakov kennen, eine junge Frau die verzweifelter nicht sein könnte und sich in die eisigen Fluten des Meeres stürzen will. Ihr letzter Ausweg vor einer Heirat mit einem Mann, der ihr Vater...