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MILA

ein paar Tage später...

Fergus hat nicht eine der Tabletten genommen, die ihm verschrieben wurden. Die letzten Tage habe ich ihn in Ruhe gelassen. Wir haben ihm essen vor die Tür gestellt und es Stunden später wieder ungerührt abgeholt. Ich habe auf dem Sofa geschlafen, weil Fergus sich im Zimmer verbarrikadiert hat. Niemand kommt mehr an ihn heran. Aus irgend einem Grund hat er Sichtung den Kopf gesetzt, nichts von den Medikamenten zu nehmen, die ihm nur helfen sollen. Es ist ein kalter Entzug, den er da gerade durchlebt. Henry sorgt sich sehr um ihn. Ich kann mir nicht vorstellen was die beiden für eine Verbindung haben müssen. Was ist der eine für den anderen, wenn sie zusammen im Krieg waren? Wenn sie aufeinander aufgepasst und sich beschützt haben? Wie geht er damit um, seinen Kameraden so zu sehen? Henry sitzt seit Stunden auf dem Sofa und schweigt. Der Fernseher plappert im Hintergrund aber ich bin nicht sicher wieso er überhaupt eingeschaltet ist. Niemand schenkt dem Programm Aufmerksamkeit.
»Kochst du ihm etwas?«
»Als hätte er in den letzten Tagen einen Happen davon angerührt«, schnaubt der bullige Soldat. »Nein, ich muss zum Flugtraining. Heute stehen Nachtflüge an, ich bin also nicht vor vier zurück. Du kannst dir auch eine Pizza bestellen, wenn du magst«, schlägt er mir vor. Skeptisch verlagere ich mein Gewicht vom einen aufs andere Bein. In der Tür stehend schaue ich ihn unsicher an. »Das mag dumm klingen, aber ich besitze im Moment kein Telefon. Außerdem habe ich noch nie etwas bestellt...«, gestehe ich dem großen Mann. Seine Augen weiten sich ungläubig bei meinen Worten. »Das ist wirklich nur schwer zu glauben, aber okay; was möchtest du? Ich werde dir etwas bestellen«, lächelt er. »Hm...«, denke ich. Zugegeben habe ich die letzten Tage wenig Hunger gehabt. Der Stress ist mir auf den Magen geschlagen. Selbst heute habe ich nur eine Mandarine gegessen, mehr nicht. Doch je mehr ich darüber nachdenke, desto lauter wird das Knurren in meinem Bauch. »Pizza mit Salami, danke.«
»Gut. Ich ziehe mich mal um, hältst du so lange die Stellung?«, bittet er mich. Wir tauschen Plätze und ich setze mich auf das Sofa, während er im Flur verschwindet. Zwanzig Minuten später klingelt es an der Tür, als Henry gerade die Treppen nach unten kommt. Er trägt seine Uniform, die glatt gebügelt wurde. Jede Ecke sitzt perfekt. Er reicht dem Pizzaboy an der Tür das Geld und nimmt ihm meine Pizza ab. Ich biete ihm ein Stück an, was er dankend annimmt und der Karton auf dem Tisch platziert. »Nun Gut, wir sehen uns. Bis später Mila. Komm zum Flugfeld falls etwas mit Fergus ist«, bittet er mich. Ich nicke selbstverständlich. Natürlich werde ich das. Für ihn scheint der Schotte wie ein Bruder zu sein. Familie. Die beiden verbindet ihr gemeinsamer Einsatz. In den letzten Tagen habe ich ein paar wenige Infos aus Henry rausquetschen können. Er erzählte mir, das die beiden in Afghanistan waren und davon, wie ihr Camp angegriffen wurde. Mehr nicht. Den Rest, sagte er, müsste Fergus mir erzählen. Ich verstehe das.

Stunden später sitze ich mit einer Decke über den Beinen vor dem Fernseher und schaue eine Novela, die ich nicht kenne. Sie ist ganz okay. Draußen regnet es wie fast immer die letzten Tage. Der Herbst neigt sich langsam dem Ende zu, die letzten Blätter fallen von den Bäumen, bis nichts mehr übrig ist. Die Natur ist faszinierend. Jedes Jahr das gleiche Schauspiel von Wachstum bis zum verwelken. Ein Prozess, den man nicht abändern oder beeinflussen kann. Es ist genau so mit den Menschen. Man wird geboren, wächst heran und stirbt. Manche früher, manche später. Es ist nicht fair, aber so ist das Leben. Nichts ist gerecht. Die guten gehen immer zuerst.

In der ersten Etage poltert es gewaltig. Glas zerspringt und Porzellan platzt. Erschrocken schnippe ich vom Sofa auf und reiße mir die Decke von den Beinen. So schnell es meine Füße zulassen eile ich die Treppe nach oben und stürme auf die Tür des Gästezimmers zu. »Fergus!«, rufe ich und hämmerte mit der flachen Hand gegen die Tür, »Darf ich reinkommen? Was tust du da drin?«, will ich wissen. Erneut zerscheppert etwas in tausend Teile. Mein Puls beginnt zu rasen, Adrenalin macht sich in meiner Blutbahn breit. Was, wenn er sich etwas antut? Schockiert rupfe ich die Tür auf und stolpere ins Zimmer. Die Laken sind zerwühlt und es herrschen tropische Temperaturen im Zimmer. Ich finde ihm im Badezimmer vor, mit dem Rücken zu mir und dem Gesicht zum Badezimmerschrank. Er räumt achtlos die regalböddn ab und pfeffert alles auf den Boden um sich. »Fergus!«, stoße ich schockiert aus. Er denkt nicht einmal daran zu stoppen. Zahnputzbecher zerspringen auf ddn Fließen, ich muss mir Mühe geben nicht hineinzulaufen.
»Fergus!«
Ich hasche nach seinem Arm und schaffe es ihn irgendwie zu mir zu drehen. Ein Blick in sein Gesicht reicht, um mir das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Das hier ist nicht der, den ich in Erinnerung habe. Dicke schwarze Augenringe schmücken ihn. Die Haut blass und seine Mundwinkel hängend. Er schaut aus als würde er jeden Moment zusammenbrechen. Mein Herz zerreißt innerlich bei seinem Anblick. Er ist ein wandelnder Toter, zittert am ganzen Leib. »Fergus...«, wispere ich schluckend und berühre seine Stirn. Sie ist schwitzig und kalt. Er schlägt meine Finger sofort von sich. »Verpiss dich!«, zischt er. Kopfschüttelnd gehe ich nirgendwo hin. Das kann er vergessen. Er ist völlig im Wahn und wird sich noch unbrimgen, wenn er so weiter macht. »Was suchst du?« Obwohl ich die Antwort kenne, frage ich nach, in der Hoffnung ein Gespräch mit ihm aufbauen zu können. Sein Auftreten verschafft mir berechtigte Bauchschmerzen. Ich wusste von Anfang an, das es eine blöde Idee war, sich nicht in Behandlung zu begeben.
»Die Tüte, die-«
»Die hast du schon vor über einer Woche leer gemacht«, unterbreche ich ihn und trete näher. Panisch schüttelt er den Kopf und durchwühlt den Schrank weiter. »Fergus...«
»Nein!«, er schlägt meine Hände weg und stößt mich rückwärts gegen das Waschbecken. Ich stoße beim Aufprall einen spitzen Schrei aus und reibe mir meine Wirbelsäule. Das wird sicher ein blaues Fleck geben.
»Ihr habt es versteckt! Ihr wollt nicht, das die Stimmen in meinem Kopf leise werden!«, beschuldigt er mich, kneift die Augen zusammen. Plötzlich hört er auf und schlägt sich die Hand gegen die Stirn. »Fuck, sag mir einfach wo es ist, damit es aufhört. Ich ertrage es nicht mehr...«, fleht er mich an. Meine Augen werden glasig. Blinzelnd wende ich mein Gesicht ab und beiße mir auf die zitternde Unterlippe. »Was sagen die Stimmen?«, möchte ich leise wissen. Es tut weh. Alles tut weh, wenn ich ihn sehe. Mein Herz schafft das nicht. Fergus ist so kaputt und so am Ende der Nerven, das ich nicht mehr zwischen lebend und Tod unterscheiden kann. Er ist ein Wrack und ich weiß nicht, ob ich ihn noch retten kann oder nur von ihm in die Tiefe gezogen werde.
»Die Schüsse... die Stimmen...«
»Du musst deine Tabletten nehmen...«, flehe ich, »sie werden dir helfen.« Versichernd schaue ich ihn an. Ungläubig wühlt er weiter und mehr Porzellan geht zu Bruch. Jedes Mal zucke ich erschrocken zusammen. Er ist nervös und wirkt abwesend. Schwer atmend krallt er sich in das hölzerne Möbelstück, als wäre es sein letzter Anker, bevor er untergeht. Sein Kopf hängt herab als wäre er eine Bowlingkugel, die er nicht mehr halten könnte. Schnaufend tastet er nach etwas und schneidet sich dabei in die Hand. Ich ziehe die Luft ein als ich sein Blut auf die Fließen tropfen sehe. Was tut er da nur? »Fergus...«, flehe ich immer weiter, doch er hört nicht auf. Keuchend rauft er sich die Haare und schlägt sich erneut gegen die Stirn. »Überall ist... sind...« seine Stimme bricht. Sein Körper zuckt zusammen als wäre er mitten im Schlachtfeld. Hyperventilierend bildet er seine verletzte Hand zur Faust und trümmert sie in die Scheibe des Schränkchens. Seine Fingerknöchel platzen an den Spitzen Ecken der Glasscheiben auf, schneiden ihm tief in die Haut. Ich schlage mir vor entsetzten die Hand vor den Mund. Er wird sich umbringen, wenn es so weitergeht.

»Fergus!«, herrsche ich ihn an. Er schüttelt panisch seinen Kopf und hämmert erneut darauf ein. In mir brennen alle Sicherungen durch. Ich springe über die Scherben und pralle mit voller Wucht gegen seinen Oberkörper. Allein die Wand in seinem Rücken stoppt uns nach ein paar Schritten, vor dem Fall. Der tätowierte Schotte will mich von sich drücken, beschmiert meine Kleidung mit Blut, doch ich lange nach seinem Gesicht und ziehe es hinab zu meinem, um ihn zu küssen. Ein leidenschaftlicher, fordernder Kuss, um ihn irgendwie abzulenken. Ich spüre seine warmen Lippen auf meinen, die Wärme die von seinem Körper ausgeht. Sein Duft benebelt meine Sinne fasst so sehr wie sein Mund auf meinem. Genießend schließe ich meine Augen und presse auch den Rest meines Körpers gegen ihn. In meinem Magen flattern Schmetterlinge, mir wird von Sekunde zu Sekunde heißer. Euphorie macht sich in meinen Gliedern breit, meine Hormone spielen verrückt. Fergus erwidert den Kuss und in dem Moment verliere ich mich ganz an seinen Lippen. Ich fühle mich als würde ich über den Wolken schweben, betrunken sein und gleichzeitig Sex haben. Als würden sich Sonne, Mond und Sterne zu meinen Gunsten bewegen. Als wäre die Welt nicht mehr die, die so zuvor war. Sein Kuss ist so sanft und zugleich traurig, das mir Tränen über die Wangen kullern und sich ihr Salz zwischen uns vermischt. Erst nach Luft schnappend wage ich es, unseren Moment zu unterbrechen. Meine Daumen fahren vorsichtig über seine stoppligen Kieferknochen, die er schon ein paar Tage nicht mehr rasiert hat. Mit geschlossenen Augen atmet er zitternd ein, sein Körper so kalt und heiß zugleich. Erst als seine Hände schlaff nach unten fallen und sein Kopf wortlos in meine Halsbeuge sinkt, weiß ich das ich seine Mauer durchbrochen habe.

Serpent King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt