MILA
Am nächsten Morgen spüre ich seine warmen Lippen auf meiner Wange. Er liegt nicht mehr im Bett, sondern beugt über mir.
»Ich gehe einkaufen, bin bald zurück«, versichert er mir wispernd gegen die Wange. »Mhm«, murmle ich im Halbschlaf. Seine Lippen verziehen sich zu einem schmalen Lächeln. Wieder üben sie mehr Druck auf meine Haut aus, bevor sie ganz verschwinden und er aus dem Zimmer schleicht. Ich schlafe wieder ein als ich höre wie er die Tür hinter sich schließt.Erst Stunden später wache ich wieder auf. Zumindest nehme ich das an. Es ist zehn Uhr und draußen ist es trüb und regnerisch. Da die Sachen sehr dünn sind fröstelt es mich, als ich nach einem Besuch im Badezimmer, in Richtung Küche laufe. Von der Sofalehne schnappe ich mir eine Wolldecke und lege sie mir um die Schultern. Neben dem Türrahmen ist ein kleines Display in die Wand eingelassen, mit dem ich die Temperatur der Heizung erhöhe. Schon bald sollte es angenehm warm hier sein.
Meine Enttäuschung ist groß als ich den Kühlschrank öffne und feststelle, das nicht mal mehr Eier da sind. Mist. Dabei knurrt mein Magen laut auf und hinterlässt ein merkwürdiges Gefühl in mir. Seufzend schließe ich den Kühlschrank und laufe aufs Sofa zu, auf das ich mich fallen lasse und Lippenbeißend überlege, was ich nun tun werde. Ob Fergus noch lange weg ist? Hoffentlich nicht. Ausatmend lange ich nach der Fernbedienung und drücke den großen roten Knopf. Eine Serie läuft gerade, deren Namen ich nicht kenne. Gelangweilt rutsche ich tiefer in die Polster des Sofas und warte, die Augen auf den Fernseher gerichtet, doch sie schweifen immer wieder auf das Flugzeugmodell auf dem Kaminsims. Wie lang Fergus schon nicht mehr geflogen ist? Ich bin mir sicher, das er es vermisst auch wenn er es nie zugeben würde. Vielleicht ist es das letzte bisschen, das er braucht um wieder ganz in die Spur zu kommen. Aber alles mit der Zeit.Die Tür öffnet sich zehn Minuten später und das Geraschel von Papiertüten ist zu hören. Ich neige meinen Oberkörper über die Rücklehne des Sofas und beobachte wie Fergus zwei Tüten ins Wohnzimmer schleppt. Was hat er denn da alles gekauft? Mit krauser Stirn lege ich meinen Kopf schief und beschließe nachzufragen.
»Hast du einen Laden ausgeraubt?«
»Nein, wirklich witzig«, verneint er und langt in die linke. Er zieht einen braunen Mantel hervor, der mir ungefähr bis zu den Hüften gehen müsste. Ich fange ihn geschickt mit einer Hand und drehe ihn zwischen meinen Fingern umher. »Für mich?«, frage ich sicherheitshalber nach.
»Ja, hier oben ist es kalt im Winter und in dem Kleid kannst du wohl kaum hier rumlaufen«, erklärt er und wühlt weiter herum. Als nächstes zieht er eine schwarze Jeans hervor, die er neben mich auf die Lehne legt. »Du kennst meine Größe?«, will ich überrascht wissen. Fergus schüttelt abermals den Kopf und wühlt weiter. »Nein, aber Erins Hose hat dir gepasst, also nahm ich an, das ihr die gleiche Größe habt.«
Als nächstes folgt ein dicker Wollpullover in schwarz. Sogar an Schuhe hat er gedacht. Die farblich passenden Schuhe sind Boots zum schnüren und haben innen weiches Fell. »Danke, ich weiß nicht was ich sagen soll«, gebe ich ehrlich zu. Ich hätte nicht gedacht, das er an sowas denken würde... Fergus winkt ab und stopft die Kleidung zügig zurück in die Tüten. »Schau dir den Rest auch an und zieh dich um. Ich konnte dir einen Termin bei einem Arzt machen«, eröffnet er. Lächelnd erhebe ich mich und nehme die Tüten entgegen. Es ist süß wie zuvorkommend er plötzlich ist. Ich schenke ihm ein letztes schüchternes Lächeln und ziehe mich zurück um seinen Worten folge zu leisten.Ich muss feststellen, das sogar Unterwäsche in der Tüte liegt. Skeptisch drehe ich den BH in meinen Händen und versuche mir vorzustellen, wie er ihn gekauft haben muss. Der Gedanke ist göttlich. Ich lege die Unterwäsche belächelnd zur Seite und entscheide mich für die Jeans, den Pullover und den Mantel. Außerdem in der Tüte waren ein paar T-Shirts und eine Leggings die der von Erin ähnelt, in der ich geschlafen habe.
Ich brauche nicht sonderlich lang um mich umzuziehen und bin schnell wieder im Wohnzimmer. Ich schlüpfe auf dem Sofa sitzend in die Schuhe, aber scheitere an einer einfachen Schleife. Meine linke Hand ist einfach zu nichts zu gebrauchen. Fergus fällt mein Dilemma schnell auf und er kniet sich vor mich auf den Teppich, legt meinen beschuhten Fuß auf seinem Knie ab und bindet ihn straff an den Schnürsenkeln zusammen. »Danke«, lächle ich ehrlich und schaue ihm ins Gesicht. Seine Augen sind auf meine Schuhe gesenkt aber auch an seinen Lippen zupft ein zaghaftes Grinsen. Mein Herz schlägt auf wenn ich ihn so sehe. Es scheint ihm so viel besser zu gehen...
Er hilft mir auf und ich schlüpfe in meinen Mantel. Auf dem Weg hinab zu seinem Jeep reicht er mir ein Folie eingewickeltes Stück Gebäck. »Ich dachte, du hättest vielleicht Hunger. Croissants vom Bäcker an der Ecke. Sie sind mit Nutella und Marmelade gefüllt«, erzählt er beim Treppen hinabsteigen. Nickend nehme ich es entgegen und rieche an dem süßlich riechenden etwas. Mir knurrt sofort der Magen.»Möchtest du auch ein Stück?«, biete ich ihn im Auto sitzend an. Er fädelt den Jeep gerade in den regen Stadtverkehr ein. »Nein, ich hatte einen Kaffee, das reicht.«
»Sicher?«, hake ich nach. Mein Kopf wird noch immer vom Hintergedanke seiner Sucht beherrscht. Als ich ihn zurückließ war er so am Boden, steckte tief im Entzug. Es erfüllt mich ehrlich mit stolz, ihn nun so zu sehen.
In den Croissant beißend lehne ich mich in Sitz zurück und genieße mein Frühstück. Ich weiß nicht wohin wir fahren, aber bin sicher das der Weg zum Arzt nicht weit ist.
Fergus hatte recht als er sagte, das es hier oben kalt wird. Das Thermometer am Auto zeigt nur zehn Grad an. Die bunten Blätter fallen sanft zur Erde, die Bäume werden immer kahler. Bald soll es schneien, bald ist Weihnachten. Es wird das erste in Freiheit sein. Wie jedes Jahr werde ich meinen Bruder schrecklich vermissen, das weiß ich bereits jetzt. Früher brachte Neal mir immer Zimtsterne und Lebkuchen mit, wenn er über die Feiertage nachhause kam. Sein Geschenk für mich war stets in einem roten Papier eingewickelt und mit einer goldenen Schleife bestückt. Ich liebte seine Geschenke am meisten, da er der einzige war, der mich wirklich kannte. Während mein Vater jedes Jahr jemanden losschickte um mir eine teure Handtasche oder Schmuck zu kaufen, schenkte Neal mir persönliche Dinge, so wie auch meine Kette. Nervös Taste ich meinen Hals ab. Ich vermisse sie schon seit meiner Entführung. Das goldene Kettchen um Fergus' Hals ist mir gestern nicht entgangen. Ich finde es süß, das er sie aufbewahrt hat und bin erleichtert, das sie nicht verschwunden ist. Aus dem Grund habe ich geschwiegen und sie ihn tragen lassen. Ich will ihn heute Abend darauf ansprechen. Ob dass dann der richtige Zeitpunkt ist? Ich hoffe es.Vor einem beschaulichen mehrstöckigen Haus parkt Fergus den Wagen am Straßenrand und steigt aus. Ich folge ihm über den Bordstein ins Innere und wir nehmen den Aufzug in den zweiten Stock. Hinter einem weißen Thresen sitzt eine rothaarige Frau mit Brille, die bereits auf uns zu warten scheint. »Mister Duncan, bitte gehen sie direkt in Zimmer fünf durch«, begrüßt sie uns. Ich bin ein wenig überrascht, aber folge dem Schotten durch die Praxis. Er scheint hier bekannt zu sein.
In einem Zimmer sitzt ein Arzt im weißen Kittel hinter einem Computer und erhebt sich ask wir das Zimmer betreten. Fergus schließt die Tür und der Mann schüttelt uns beiden knapp die Hand. »Freut mich, ich bin Doktor Stanford, aber sie können mich auch George nennen. Ich betreue die Duncans bereits meine ganze Karriere«, bietet er mir lächelnd an. »Mila, freut mich«, antworte ich ihm ebenso lächelnd. Er deutet auf die Liege die vor der Wand steht und ich verlasse Fergus' Seite, um auf ihr Platz zu nehmen. Doktor Stanford nähert sich mir und beginnt meinen Arm aus den Verband zu befreien. »Wie lang ist es ungefähr her?«
»Eine Woche«, erkläre ich ihm, »meine Rippen wurden auch in Mitleidenschaft gezogen, doch das Atmen fällt mir schon viel leichter als noch vor drei Tagen«, erzähle ich ruhig, dabei spüre ich durchgehend Fergus' undeutbare Blicke auf mir. Ich weiß nicht, was sie bedeuten, geschweige denn was er denkt. Ich würde am liebsten in seinen Kopf schauen, doch seine Augen sind wie die Tore zu seiner Seele, jedoch mit einem festen Schloss gesichert.
»Hm, können sie ihre Finger bewegen?«, holt mich der Arzt aus meinen Gedanken. Ich schüttle knapp meinen Kopf und versuche es, jedoch regt sich kein Muskel. Doktor Stanford runzelt die Stirn und tastet meinen Unterarm sanft ab. Trotzdem zucke ich bei jeder Berührung vor Schmerz zusammen. »Gut, dann gehen sie den Flur hinunter zum Röntgen, danach wissen wir mehr«, schlägt er vor. Er tastet noch ein letztes Mal meinen Knochen ab und lässt schließlich von mir ab. Ich rutsche wieder von der Pritsche hinunter auf den Boden und blicke zu Fergus, der sich auf einem der Stühle vor dem Schreibtisch niedergelassen hat. »Ich warte hier, geh nur«, versichert er mir auf die Tür nickend. Meinen verletzten Arm festhaltend, verlasse ich den Raum und mache mich auf den Weg zum Röntgen, wie der Doktor gesagt hat. Als ich den Flur hinablaufe, höre ich, wie die beiden beginne sich zu unterhalten und mich lässt das Gefühl nicht los, das es um die Razzia geht.
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Serpent King | 18+
RomanceFergus Duncan, ein drogenabhängiger Ex-Soldat lernt Ludmila Karakov kennen, eine junge Frau die verzweifelter nicht sein könnte und sich in die eisigen Fluten des Meeres stürzen will. Ihr letzter Ausweg vor einer Heirat mit einem Mann, der ihr Vater...