Kapitel 64 ~ * soulwarmer *

22 1 0
                                    

Weit entfernt auf einer Bank, hatte Dimitri Platz genommen und rauchte eine. Verfolgt von seinen wachsamen Blicken, ging ich ein Stück mit dem Mädchen. Ich fragte sie nach ihrem Namen aber bekam keine Antwort. Sie sah aber zu ein paar Koffern, die vor einem Hauseingang lagen. Dahinter befand sich ein Bett aus Wäsche und Plastiktüten. Ihr Blick wich von mir und ich drängte sie nicht weiter mit mir zu reden. »Hier Kleine, damit du nicht frierst und etwas Geld, sei achtsam damit.« Ich drückte sie und steckte es in die Tasche meines Mantels, der von innen weich gefüttert war. Er ging ihr bis zu den Füßen und umschloss ihren dünnen Kinderkörper. Ich sah in ihre glasigen Augen, die wie kleine Perlen anfingen zu glänzen. Als ich gehen wollte, hielt sie mich an der Hand fest und ich wandte mich ihr erneut zu.
»Machst du das noch mal?« Fragend musterte ich ihr schmutziges Gesicht. »Das hat sich so schön angefühlt, wie bei Mama.« Ich schluckte, stand einen Moment wie angewurzelt da. In meinem Hals, bildete sich ein dicker Kloß und als ich langsam begriff, dass sie meine Umarmung meinte - musste ich ein paar Tränen zurückhalten. Ich hockte mich zu ihr, auf ihre Augenhöhe und lächelte sie an. Eigentlich war mir zum Weinen zumute aber sie bekam sicher viel seltener ein Lächeln geschenkt. Ich legte meine Hand auf ihren Rücken und nahm sie in meine Arme. Ich konnte es nicht beschreiben oder in Worte fassen. Es war ein furchtbares aber zugleich warmes Gefühl, am liebsten hätte ich sie mitgenommen aber das stand mir nicht zu. In dem Alter, sollte sie doch im Sandkasten spielen mit Puppen oder kleinen Autos. Das war also das Produkt unserer Umwelt? All diese Menschen, die mit Hunger zu Bett gingen? Kinder, die wegen eines Apfels zur Polizei sollten? Und wir wunderten uns, warum unsere Kinder nicht mehr redeten - sich eher schlugen, als Mitgefühl zu zeigen. Mitleid brachte ihnen keinen vollen Magen. Worte genauso wenig. Mir rollten ein paar Tränen über die Wange, die ich schnell wegwischte. Dimitri wartete aber ich nahm die Kleine noch mit zu dem Café, das an dem Lebensmittelladen grenzte. Befangen bestellte ich ihr dort einen Kinderteller mit einem Schnitzel, Kartoffeln und Gemüse. Um nicht doch noch auf dumme Gedanken zu kommen, bezahlte ich und ließ sie dann mit einer warmen Mahlzeit zurück.

Das hier war kein Film. Es war unfassbar traurig...

            *Das alles von meinem Platz, von der Bank aus zu beobachten, war alles andere als langweilig. Angel nahm ihre Umwelt sehr genau wahr. Sie war eine Träumerin aber sie sah die Realität besser, als sonst irgendjemand den ich kannte. Es war mir nie aufgefallen, wie sie sich um andere bemühte, ganz selbstverständlich sprach Angel den Straßenmusiker auf seine Musik an. Ganz ungezwungen und neugierig hatte sie mit ihm gespielt, sich Tipps geholt und ihm allein mit ihrer Aufmerksamkeit schon eine Freude gemacht. In wenigen Minuten, spielte sie die Gitarre eines Fremden und ließ sich unterrichten. Den gottverdammten Tag stand er da, arbeitete hart und ich blickte in die Straßen, mir war in Sekunden bewusst, dass ich nur Glück hatte, nicht da zu enden, wo jetzt der dunkelhäutige Künstler saß.
Angels Gestik war sanft, ihre Mimik freundlich und ihr Blick war sowohl offen als auch warm. Sie tauschten die Mützen und es wirkte als wären sie ein Leben lang vertraut gewesen. Kaum machten sie zusammen Musik, schien sie die Zeit zu vergessen.
Sie verabschiedete sich mit einem Lächeln auf ihren Lippen und hielt ihm ihre Hand entgegen. Er starrte sie an, reichte ihr seine Hand und mit einem kurzweiligen Druck lief sie dann weiter. Gefolgt von dem Blick des Musikers - der genauso wie ich, gebannt eine Weile ihrem Treiben folgte.

Ich verfolgte, wie Angel andere musterte und einer alten Lady half, die ihren Einkauf hatte fallen lassen, als sie von einer Gruppe Jungs angerempelt wurde. Der alte Mann lächelte kopfschüttelnd, hob seine Gitarre auf und spielte weiter.
Sie sah sich kurz um, wissend, dass ich irgendwo in der Nähe sein musste, und winkte mir zu. Ich hatte einen Termin, eigentlich musste ich längst los aber ihr Lächeln hinderte mich daran, auf meine Uhr zu Tippen und ihr anzudeuten, dass ich weiter musste. Stattdessen nickte ich ihr leicht zu. Grade als sie zu mir kommen wollte und das Gespräch mit einer Straßenmalerin beendet hatte, riss etwas ihre Aufmerksamkeit von mir. Es war kaum in Worte zu fassen, was sich meinen Augen dann bot.
Angel lief zu einem Lebensmittelgeschäft, ein Mann stand erzürnt vor einem Mädchen. Ich wusste nicht, worum es ging und war im Begriff aufzustehen, als Angel ihm plötzlich Geld zusteckte und das Mädchen an sich zog. Sie ging ein Stück mit der Kleinen. Langsam erkannte ich die Situation und es machte sie nicht weniger warm. Im Gegenteil, als ich sah, dass sie für das Kind bei dem kühlen Juliwetter an diesem Tag ihren Parka auszog, war ich einen Moment fassungslos. Der weißgraue Mantel umhüllte den Körper des schmutzigen Mädchens und schon wenige Minuten später, stockte mir der Atem erneut. Um mich herum, blendete sich alles aus. Der Lärm, die Leute - keine Ahnung ob es Tag oder Nacht war. Als Angel ihre Arme um das Mädchen legte, empfand ich etwas, etwas das meine ganzen Pläne zu nichte machte. Wie eine leise Melodie in meiner Gefühlsstille. Mein Herz schlug kräftig gegen meinen Brustkorb. Was für eine Szene.

Loyalty - heart virus (Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt