Kapitel 4 ~ Übermut tut selten gut

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🎶The Time of My Life ~ Bill Medley🎶

Schnaufend ging ich zu Boden, als meine Beine mit der letzten Drehung nachgaben und mein Körper nicht mehr mit der Energie von Jona mithalten konnte. Meine Brust hob und senkte sich schnell unter meinen heftigen Atemzügen, die wieder Sauerstoff in meinen Körper befördern sollten. Jona dagegen war nicht tot zu bekommen. Er sprang in die Luft und begann mit einem Solo, das durch seine neue Statur nicht mehr ganz so verloren wirkte, wie vor zwei Monaten. Im Takt der Musik, die im Hintergrund lief, drehte er sich einmal schnell im Kreis und schnippte mit den Fingern, als er einige Schritte von mir wegtrat und immer mal wieder ein Blick über die Schulter zu mir warf.

Ich lachte leise auf, lehnte mich auf meine Handballen hinter mir und begutachtete das ganze Spektakel, das er zu der Musik von Bill Medley und Jennifer Warnes veranstaltete. Währenddessen fuhr mein Körper wieder ein wenig herunter und meine Atmung normalisierte sich. Mein Herz pochte nicht mehr so stark gegen die Innenseite meiner Brust und meine Beine gewannen langsam wieder an Kraft, die sich erst noch wie Gummi angefühlt hatten.

Draußen brach bereits die Dämmerung an und die Luft, die durch den Pavillon trieb, hatte sich bereits ein wenig heruntergekühlt, auch wenn man dies wohl kaum so nennen konnte. Die Nächte im Sommer hier in Henderson, waren heiß und schweißtreibend. Ich konnte nur von Glück reden, dass wir eine funktionierende Klimaanlage besaßen.

Jona schritt nun langsam in geschmeidigen Bewegungen und wenigen Ausfallschritten nach hinten, wieder auf mich zu und fixierte meine Augen. Wenige silberne Strähnen hingen ihn in der Stirn und sein schwarzes Tanktop klebte vor Schweiß eng an seinen Oberkörper, das dadurch deutlich seine neue Figur hervorhob. Wenige Muskeln zeichneten sich ab und ließen ihn männlicher wirken, als er in diesem Alter dürfte. Ich konnte sie unter meinen Fingern spüren, als er mich durch den Raum wirbelte. Der neue Jona war nicht mehr vergleichbar mit dem Jona, den ich vor den Ferien, so dünn und zerbrechlich, kannte. Im Ganzen war er kaum wiederzuerkennen, vor allem ohne seine Brille, die er im Training immer ablegte.

Noch immer schritt er mit langsamen tanzenden Bewegungen in meine Richtung und nickte mir zu. Das Lied war noch lange nicht verstummt und anscheinend würde er es bis zum Ende durchziehen. Sein Nicken wurde stärker und seine Hände winkten mich zu ihm, als er mich erneut fixierte und ich langsam begriff, dass das nicht mehr zu der Choreografie gehörte. Mit einer hochgezogenen Augenbraue betrachtete ich ihn. »Bist du dir sicher? Das haben wir noch nie gemacht«, rief ich über die Musik hinweg.

»Komm endlich!«, rief er zurück und tanzte rückwärts ein wenig von mir weg. Also rappelte ich mich widerwillig auf und stellte mich gerade ihm gegenüber hin. Wenn dies schiefgehen würde, könnte das richtig übel für uns ausgehen. Jona war schließlich immer zu schwach gewesen, um mich heben zu können. Ich musste mich immer an ihm hochstemmen und nun wollte er alles auf eine Karte setzen. Was war nur in ihm gefahren? Und warum vertraute ich ihm bereits so sehr, dass ich mich darauf einließ?

Nach einem tiefen Atemzug und dem Herunterschlucken eines Kloßes in meinem Hals, sprintete ich los und lief geradewegs auf Jona zu, der wiederum ein wenig in die Hocke ging und seine Arme für mich öffnete. Mit wild pochendem Herzen stürzte ich mich auf ihn und begann für den Bruchteil einer Sekunde zu fliegen und streckte meine Arme über Jonas Kopf aus, als würde ich segeln. Doch viel zu schnell verloren wir beide unser Gleichgewicht und ich raste auf den Holzboden zu, nachdem die haltenden Hände unter mir verschwunden waren. Ehe ich mit dem harten Boden unter uns Bekanntschaft machen konnte, fingen mich jedoch zwei starke Arme ab. Mit einem Ruck befanden wir uns beide auf den Boden der Tatsachen, ich in Jonas Arme und er mit geschockten großen braunen Augen, die in meinen blickten.

Das war der Augenblick, in dem ich realisierte, warum ich Jona so grenzenlos vertraute und er mein Tanzpartner war, denn er würde mich niemals fallen lassen, nicht wenn er etwas dagegen tun konnte. Er überlegte nicht einmal und handelte sofort, egal ob er sich dabei verletzen mochte. Denn der Sturz auf seine vier Buchstaben konnte nicht schmerzlos sein, da mit seinem Gewicht noch meins obendrauf kam.

Strong and SelflessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt