Kapitel 20 ~ Der letzte Tag im August

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Es war Mittwoch, der letzte Tag im August. Ein Tag wie jeder andere für mich auch. Mein Wecker holte mich aus dem Schlaf, ich weckte wiederum meine Schwester, die mit ihren Beinen nach mir trat, und frühstückte nach wenigen Minuten allein, da jemand das Schminken und Frisieren wichtiger war, als eine ausgewogene Mahlzeit am Morgen.

Nachdem wir wieder zusammen den Schulweg bestritten hatten und Nancy mir immer noch in den Ohren lag, dass ich mir ein eigenes Auto kaufen sollte, um auf ihrer Beliebtheitsskala nach oben zu steigen, statt immer weiter zu sinken, stand ich wie jeden Morgen in der Schule an meinem Spind und kramte nach meinen Geschichtsbüchern, die ich für meinen ersten Kurs benötigte. Als ich sie dann endlich gefunden hatte, unter meinen riesen Stapel an Schulliteratur, packte ich sie in meine Tasche, schloss mein Schließfach und ließ mich mit dem Rücken dagegen plumpsen. Jona und Mila waren noch nicht da, weshalb ich meinen Blick durch den Flur gleiten ließ und feststellen musste, dass heute doch kein Tag wie jeder andere zu sein schien.

Irgendwie wirkte heute alles wuseliger und belebter als in den letzten Tagen. Schüler kehrten öfters zu ihren Spinden zurück, da sie etwas vergessen hatten, andere waren so mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, das sie fast jeden Entgegenkommenden anrempelten, und eine Gruppe von Freunden schien sich heute ganz besonders laut und aufgeregt zu unterhalten. Hatte ich irgendetwas verpasst?

»Hey, Spindnachbarin«, ertönte eine mir bekannte Stimme, dessen Besitzer auch das fürchterlich quietschende Geräusch neben mir zu verursachen hatte, weshalb ich zusammenschrak und gegen die geöffnete Spindtür meines Nachbarn knallte. Daraufhin ertönte nur ein schmerzvolles Zischen von der anderen Seite, dass ich mehr als deutlich wahrnehmen konnte.

»Oh mein Gott! Christoph, ist alles okay?«, fragte ich hysterisch und sprang mit zwei schnellen Schritten um die Tür herum, um bei ihm zu sein. Mit einer gerümpften Nase und zusammengekniffenen Augen rieb er sich eine Stelle in seinem roten Haar.

»Ich denke, damit sind wir quitt«, stieß er aus zusammengebissenen Zähnen hervor und versuchte sich an einem Lächeln, das eher einer grauenhaften Grimasse glich. Der Schmerz, den ich verursacht hatte, konnte ich deutlich von seinem Gesicht ablesen, weshalb ich mir wünschte, das ich diejenige gewesen wäre, die hinter dieser Spindtür gestanden hätte.

»Sag sowas nicht, du schuldest mir rein gar nichts«, erwiderte ich und legte meine rechte Hand auf den breiten Oberarm des Rotschopfs vor mir, um ihn ein wenig zu mir drehen zu können. Mit Besorgnis sah ich mir Christoph, der zum Glück wieder seine Augen öffnete, an. Seine grünblauen Augen trafen direkt auf meine und sofort erweichte seine Miene innerhalb eines Wimpernschlages. Ich ließ meine Hand wieder von seinem Oberarm gleiten und sah ihn prüfend an. »Geht es dir gut? Soll ich dich zum Krankenzimmer bringen?«

»Ich weiß deine Besorgnis zu schätzen, aber ich denke es sollte auch ohne eine Schwester gehen. Vielleicht werden den Tag über leichte Kopfschmerzen bleiben, die mich daran erinnern, wie schlagfertig du bist«, versuchte er die Situation aufzulockern und hatte auch ein wenig Erfolg, doch blieb in mir das schlechte Gewissen meiner Tollpatschigkeit.

»Das tut mir so leid«, entschuldigte ich mich und ließ meinen Blick erneut prüfend über sein Gesicht fahren, das sich kein bisschen mehr vor Schmerz zu verziehen schien. Ein kleines Lächeln zierte seine Lippen, während er seine linke Hand sinken ließ und sich wieder in seiner vollen Größe vor mir aufrichtete. Langsam schloss er seine Spindtür, ohne mich ein einziges Mal aus den Augen zu lassen.

»Ob unsere Zusammenkünfte jemals normal verlaufen werden?«, fragte er mich und grinste noch breiter.

»Wahrscheinlich nie«, gab ich ehrlich zu. Ich rückte wieder ein wenig von dem Rotschopf ab, da ich mir seine Nähe mehr als bewusst wurde. Sofort musste ich an Jonas gestrigen Worte denken. Dieser Junge vor mir war im Inbegriff mich zu mögen, zu sehr zu mögen, weshalb ich unbedingt aufpassen musste ihn keine falschen Signale zu senden. Andererseits wollte ich ihm gegenüber nicht eiskalt wirken, weshalb ich Jona gerade ein wenig verfluchte mich in diese missliche Lage gebracht zu haben, schließlich hatte er die Jungs angeschleppt. Aber Jona allein die Schuld geben konnte ich auch nicht, denn Christoph hatte schließlich seinen Spind neben meinen, da wäre es sowieso kaum vermeidbar gewesen sich über den Weg zu laufen. Ebenso wirkte er nicht so als wäre er ein Feigling, der sich nicht trauen würde ein Mädchen anzusprechen, das er mochte. Jona hatte recht, er hatte bereits mehrere Versuche gewagt und ich hatte es nicht erkannt oder wollte es nicht wahr haben.

Strong and SelflessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt