Kapitel 27 ~ Gefühlschaos

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Gott, Lyn! Was hast du dir da nur wieder eingebrockt? Eine Wette? Ernsthaft? Du hast dich selbst noch nie zu einer Wette mit Jona und Mila hinreißen lassen, also warum gerade von Christian? Ihr habt gerade einmal ein paar Worte miteinander gewechselt und dabei kam DAS raus?

Damit wären dann wohl zwei meiner guten Vorsätze hinfällig. Ich hatte es nicht einmal zwei Wochen geschafft sie aufrechtzuerhalten. Keine Ablenkung, keine Ja oder Nein Fragen und keine Aufmerksamkeit erregen. Wie sollte ich die nur wieder aufgreifen können?

Mit gemischten Gefühlen beobachtete ich wieder meine Freundin, die wie ein Wirbelwind über die Terrasse sauste. Ich war sauer, dass ich es nicht einmal zwei Wochen lang schaffte, mich an meine guten Vorsätze zu halten, andererseits spürte ich ein wenig Freude, die mir dazwischen funkte. Woher auch immer die kam, sie entsprach nicht meines eigentlichen Gemütszustandes. Die Verwirrtheit dieser seltsamen Erinnerung setzte sich dann auch noch an den Tisch zu ihnen und verdoppelte den Einsatz des begonnen Pokerspiels, bis die Sorge sie alle platt machte und die Einsätze für sich einheimste. Dies geschah im selben Moment, wie ich das panische Gesicht von Teresa erblickt hatte, die mich zu sich winkte.

»Ich bin kurz auf der Toilette, falls jemand fragt«, erklärte ich Christian, um abzusichern, dass mich niemand suchen würde.

Ich wartete nicht einmal mehr auf seine Antwort, sondern lief schnellen Schrittes zu Teresa, die mich an der Terrassentür des Hauses erwartete. Bei ihr angekommen konnte sie es nicht mehr an sich halten und sprudelt geradezu los wie ein Wasserfall. Zuerst musste ich sie stoppen und sie darum bitten doch langsamer zu sprechen, damit ich auch alles verstand. Dabei führte sie mich ins Haus.

»Nancy wollte nicht das ich dich hole, doch wusste ich nicht mehr was ich tun sollte«, erklärte sie mit verzweifelter Stimme.  »Sie weint ununterbrochen, übergibt sich andauernd und zittert am ganzen Körper. Ich habe versucht sie zu beruhigen, doch möchte sie sich nicht helfen lassen. Sie hat mich sogar angeschrien, als ich meinte, dass ich dich holen würde.«

Zusammen an der Tür angekommen öffnete ich sie langsam, da ich selbst nach Teresas Schilderung mir nicht vorstellen konnte, was mich dort hinter erwarten würde. »Warte hier draußen, ich sehe nach ihr«, wies ich sie an. Gleich darauf schob ich mich durch den schmalen Spalt der Tür, um den Anblick, der sich dort drinnen ergeben könnte, vor Fremden abzuschirmen.

Sofort schloss ich die Tür wieder hinter mir, nachdem ich komplett eingetreten war. Das Bild, das sich dann vor meinen Augen ergab, hätte ich mir nie ausmalen wollen. Meine kleine Schwester hing völlig ausgelaugt mit dem Kopf auf der Klobrille der Toilette. Tränen rannen über ihr Gesicht, dass ich kaum wieder erkannte. So überzogen mit schwarzen Striemen und roter Farbe, hätte ich sie nie erkannt. Ihre dunklen Haare klebten in ihrem Gesicht und kräuselten sich wieder zurück in ihre alte Form. Wäre sie nicht in diesem Zustand, hätte sie wohl darüber geflucht.

Langsam näherte ich mich ihr, als würde ich mich einem Kaninchen näher ohne es aufschrecken zu wollen. Ein kleines Wimmern entfloh ihrer Kehle. Vorsichtig ließ ich mich neben sie nieder. Ihr Anblick zerriss mir das Herz. Die Sorge um sie war kaum noch im Zaun zu halten, weshalb ich auch den Mut aufbrachte und mit meinen Fingern ihr federleicht die sich kräuselnden Strähnen aus dem Gesicht strich.

Plötzlich schlug sie ihre Augenlider auf und ein dunkelbraunes Augenpaar fixierte mich. Blitzschnell schoss sie von der Toilette hoch. »Was machst du hi ... «

Zum ersten Mal in meinem Beisein schlug sie die Hände vor ihrem Mund zusammen, ehe sie sich über die Toilette beugte und erbrach. Wohl eher versuchte sie es, denn es kam nichts außer ein grauenhaftes Würgen, das lediglich gelbe Magensäure aus ihrem Körper pumpt. Ich reagierte sofort und hielt ihre Haare hinter ihren Rücken zurück. Krampfhaft klammerte sie sich an die Toilettenschüssel und stöhnte vor Schmerzen.

Strong and SelflessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt